Leitsatz (amtlich)

Ein Arbeitsloser, der nur bereit ist, eine Teilzeitarbeit aufzunehmen, obwohl er nach seinem objektiven Leistungsvermögen auch zur Vollzeitarbeit imstande ist, steht der Arbeitsvermittlung nach AFG § 103 nicht zur Verfügung und hat deshalb keinen Anspruch auf Alg (Fortführung von BSG 1977-06-30 12 RAr 90/76 = SozR 4100 § 103 Nr 6).

 

Orientierungssatz

Auch anerkannte Schwerbehinderte, die objektiv noch eine Ganztagstätigkeit bestimmter Art ausüben können, müssen von Anfang an bereit sein, auch eine andere, nämlich die ihm objektiv zumutbare, Beschäftigung anzunehmen, sofern eine Vermittlung nach ihren Vorstellungen aufgrund der Lage des Arbeitsmarktes nicht möglich ist.

 

Normenkette

AFG § 103 Fassung: 1969-06-25, § 5 Fassung: 1969-06-25

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 25.01.1977; Aktenzeichen L 5 Ar 1104/76)

SG Ulm (Entscheidung vom 17.05.1976; Aktenzeichen S 5 Ar 1930/74)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Januar 1977 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 17. Mai 1976 wird zurückgewiesen.

Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten Arbeitslosengeld (Alg).

Der 1929 geborene Kläger ist seit 1974 als Schwerbehinderter mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 70 vH eingestuft. Nachdem er bis zu seiner Erkrankung 1957 als Gleisbauer gearbeitet hatte, war er seit Juli 1968 als Büro- und Registraturkraft bzw als kaufmännischer Angestellter jeweils je acht Stunden täglich tätig. Von Juli bis September 1970 verrichtete er eine Aushilfstätigkeit beim Landesarbeitsamt mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 43 Stunden. Nach vorübergehender Arbeitslosigkeit war der Kläger dann vom 1. November 1970 bis zum 30. Juni 1974 als kaufmännischer Angestellter bei einem Finanzierungs- und Immobilienbüro mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 33 Stunden tätig. Diese Beschäftigung endete durch Kündigung des Arbeitgebers.

Der Kläger meldete sich am 1. Juli 1974 arbeitslos und beantragte Alg. Dabei gab er unter anderem an, er könne aus gesundheitlichen Gründen nur sechs Stunden täglich arbeiten, wobei die Arbeit um 8.00 Uhr beginnen, von 12.00 bis 14.00 Uhr von einer Mittagspause unterbrochen werden und um 16.00 Uhr enden solle. Auf Veranlassung des Arbeitsamtes stellte ein medizinischer Gutachter - nach Rücksprache bei dem Tbc-Fürsorgearzt - in einem im August 1974 erstatteten Gutachten fest, daß dem Kläger bei geeignetem Arbeitsplatz eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden zugemutet werden könne. Durch Bescheid vom 18. September 1974 lehnte das Arbeitsamt daraufhin den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, daß er der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehe. Sein Leistungsvermögen reiche noch für eine Beschäftigung mit normaler Arbeitszeit aus; der Kläger sei jedoch nicht bereit, jede Arbeit anzunehmen, die er ausüben könne. Im Widerspruchsverfahren holte das Arbeitsamt eine Auskunft des Tbc-Fürsorgearztes ein, der erneut die Zumutbarkeit von achtstündiger leichter Bürotätigkeit bejahte. Daraufhin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. November 1974 den Widerspruch des Klägers zurück.

Obwohl der Kläger in der Folgezeit darauf beharrte, daß er nur mit den von ihm genannten zeitlichen Einschränkungen arbeiten könne, stellte er am 15. November 1974 erneut einen Antrag auf Alg, in dem er angab, er könne ganztägig Büroarbeiten verrichten Unter dem 23. Januar 1975 gewährte ihm die Beklagte hierauf antragsgemäß Alg ab 15. November 1974. Vom 4. Februar 1975 bis 19. Februar 1975 arbeitete der Kläger erneut als Hilfskraft für die Registratur 40 Stunden wöchentlich. Seither steht er nicht mehr in Arbeit.

Mit seiner gegen den Widerspruchsbescheid vom 11. November 1974 erhobenen Klage machte der Kläger weiterhin geltend, daß seine Leistungsfähigkeit eingeschränkt sei. Nur um weitere Nachteile zu vermeiden, habe er sich dem Arbeitsamt ab November 1974 für eine Ganztagsbeschäftigung zur Verfügung gestellt. Das Sozialgericht (SG) hat ein Gutachten des Pulmologen Prof. Dr. med. H. vom 7. Februar 1976 eingeholt. Der Sachverständige hat festgestellt, daß dem Kläger zwar körperlich schwere oder auch nur mittelschwere Arbeiten nicht zugemutet werden könnten. Bürotätigkeiten im Sitzen könne der Kläger jedoch noch ausüben, wobei es günstig sei, wenn seine Arbeitszeit "täglich gestuft" sei. Der Gutachter bestätigte, daß er mit dem im Vorverfahren eingeholten Gutachten weitgehend übereinstimme. Daraufhin hat das SG durch Urteil vom 17. Mai 1976 die Klage abgewiesen, weil der Kläger nicht iS von § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe.

Im Berufungsverfahren hat Prof. Dr. M sein früheres Gutachten dahin erläutert, daß für den Kläger bei Ausübung einer ausschließlich im Sitzen zu leistenden Arbeit von täglich achtstündiger Dauer die arbeitsmarktüblichen Pausen ausreichten. Dem hat sich der Facharzt für Lungenkrankheiten Dr. med. U in seiner vom Landessozialgericht (LSG) eingeholten Stellungnahme angeschlossen. Ein weiteres Auskunftsersuchen des LSG beantwortete die Fachärztin für innere Krankheiten Dr. med. U am 5. Oktober 1976 mit der Feststellung, daß nach den bei ihr vorliegenden Untersuchungsbefunden der Kläger sicher in der Lage sei, leichte Bürotätigkeiten bei normalen Arbeitspausen täglich acht Stunden zu verrichten.

Durch Urteil vom 25. Januar 1977 hat das LSG das Urteil des SG Ulm vom 17. Mai 1976 und die Bescheide der Beklagten vom 18. September und 11. November 1974 aufgehoben. Es hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger vom 1. Juli 1974 bis 14. November 1974 Alg zu gewähren und die Revision zugelassen. Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen folgendes ausgeführt: Der Kläger erfülle die Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg nach §§ 100 ff AFG. Er sei auch nach § 103 Abs 1 AFG in der 1974 geltenden Fassung verfügbar für die Arbeitsvermittlung. Aus den erhobenen Feststellungen ergebe sich, daß der Kläger nicht berufsunfähig sei. Vielmehr habe er für die noch streitige Zeit vom 1. Juli bis 14. November 1974 über ein ausreichendes Leistungsvermögen für eine ihm zumutbare Berufstätigkeit verfügt. Dem stehe es nicht entgegen, daß er seine auf sechs Stunden am Tag beschränkte Arbeitszeit in dem Zeitraum von 8.00 bis 16.00 Uhr mit einer zweistündigen Mittagspause abzuleisten gedenke. Es entspreche den üblichen Bedingungen, wenn die Teilzeitarbeit innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit liege, zumal dann, wenn Beginn und Ende der Teilzeitarbeit mit dem - besonders bei gleitender Arbeitszeit - üblichen Arbeitsbeginn oder -ende zusammenfalle. Auch die Beschränkung des Klägers, nur sechs Stunden täglich arbeiten zu wollen, hindere die Annahme seiner Verfügbarkeit nicht. Der Gesetzgeber habe in § 103 AFG die Verfügbarkeit grundsätzlich auch dann bejaht, wenn die Arbeitszeit der Dauer nach eingeschränkt ist, ohne daß Berufsunfähigkeit vorliegt. Infolgedessen komme es nicht entscheidend darauf an, ob der Arbeitslose nachgewiesenermaßen gesundheitshalber nicht in der Lage ist, die volle Arbeitszeit durchzustehen. Er sei jedenfalls dann noch verfügbar, wenn er - wie der Kläger - aus welchen Gründen auch immer die Arbeitszeit auf sechs Stunden am Tage beschränke. Für den Begriff der Verfügbarkeit könne es keinen Unterschied machen, ob eine Arbeitszeitdauer von sechs Stunden ärztlich belegt sei oder nicht. Maßgebend sei allein die Frage, ob der Arbeitslose berufsunfähig sei oder nicht.

Diese Auffassung trage auch der mit § 103 AFG beabsichtigten Nahtlosigkeit zwischen Leistungen der Rentenversicherung und der Arbeitslosenversicherung Rechnung. Sie solle auch in Fällen, wie dem des Klägers, sichergestellt sein, wenn es darauf ankomme, ob dem Versicherten wegen seiner geminderten Leistungsfähigkeit der Arbeitsmarkt verschlossen ist. Ferner gehe der Einwand der Beklagten fehl, der Kläger schränke seine Leistungsfähigkeit willkürlich ein. Von Willkür könne schon deshalb keine Rede sein, weil der Kläger bereits in den Jahren 1970 bis 1974 regelmäßig nur 33 Stunden in der Woche gearbeitet habe. Da auch die Höhe des Alg vom vorausgegangenen Verdienst und der Zahl der geleisteten Arbeitsstunden abhänge, könne ausgeschlossen werden, daß sich der Kläger durch die Begrenzung der Arbeitszeit einen finanziellen Vorteil habe verschaffen wollen. Selbst wenn das Leistungsvermögen iS des § 103 Abs 1 AFG eine objektive Größe darstelle, es also auf die subjektive Einstellung des Arbeitslosen hinsichtlich der ihm noch möglichen Arbeitszeitdauer nicht ankomme, ändere sich das Ergebnis nicht. Die von der Beklagten, vom SG und vom LSG eingeholten ärztlichen Gutachten und die darauf fußenden Ermittlungen stimmten - ungeachtet der Einwendungen des Klägers - im wesentlichen darin überein, daß der Kläger noch körperlich leichte Büroarbeiten acht Stunden am Tage zu leisten vermöge. Die Gutachter seien sich auch darin einig, daß der Kläger weder schwere oder noch nur mittelschwere Arbeiten zu leisten in der Lage sei. Allerdings habe der im Verfahren wegen Gewährung von Rente aus der Rentenversicherung gehörte leitende Arzt Dr. G von der sozialmedizinischen Klinik L sich dahin ausgesprochen, daß dem Kläger körperlich wenig belastende Arbeiten, unter anderem Büroarbeiten, noch mindestens vier bis sechs Stunden täglich zumutbar seien. Es könne nicht außer acht gelassen werden, daß Dr. G über besondere Erfahrungen in der Beurteilung der körperlichen Leistungsfähigkeit verfüge. Unter diesen Umständen sei es mit Sinn und Zweck der dargestellten Nahtlosigkeit nicht vereinbar, dem Kläger die Vermittlungsfähigkeit abzusprechen.

Es könne schließlich nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Kläger als Schwerbehinderter iS von § 1 des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) anerkannt sei. Es müsse zumindest einem Schwerbehinderten, dessen Erwerbsfähigkeit um 70 vH gemindert sei, unbenommen bleiben, frei darüber zu bestimmen, ob er sechs oder acht Stunden am Tage arbeiten wolle, ohne daß er aus seiner Entscheidung mit irgendwelchen Nachteilen zu rechnen habe.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 103 Abs 1 AFG idF vom 14. November 1973 (BGBl I, S. 1637). Sie trägt hierzu im wesentlichen vor: Nach § 103 Abs 1 Nr 2 AFG stehe der Arbeitsvermittlung nur zur Verfügung, wer bereit sei, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die er ausüben könne. Die Ausnahmeregelung hinsichtlich der Arbeitszeit in Satz 2 des § 103 Abs 1 AFG betreffe nicht diese Arbeitsbereitschaft. Auch aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ergebe sich, daß Einschränkungen der Arbeitsbereitschaft, die nicht objektiv geboten seien, die Verfügbarkeit entfallen lassen. Es komme deshalb im Gegensatz zu der vom LSG vertretenen Ansicht darauf an, ob der Kläger in der Lage gewesen sei, mehr als sechs Stunden täglich zu arbeiten. Der Hinweis des LSG auf die sogenannte Nahtlosigkeit ändere hieran nichts. Das LSG habe übersehen, daß diese Regelung nur die objektive Verfügbarkeit iS des § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG betreffe. Ebensowenig habe die frühere Teilzeitbeschäftigung des Klägers einen Einfluß auf die Beurteilung seiner Arbeitsbereitschaft. Der Wunsch des Klägers, auch künftig nur solche Tätigkeiten auszuüben, hätte lediglich hinsichtlich der Reihenfolge der Vermittlungsbemühungen Bedeutung, berühre jedoch nicht die Frage der Verfügbarkeit in dem Falle, daß die erklärte Arbeitsbereitschaft hinter dem tatsächlichen Leistungsvermögen zurückbleibe. Insbesondere ergebe die frühere Tätigkeit nicht die Unzumutbarkeit einer seinem Leistungsvermögen entsprechenden Tätigkeit in der Zukunft.

Nach den vorliegenden Ermittlungsergebnissen und den darauf beruhenden Feststellungen des Berufungsgerichts sei der Kläger zu mehr als täglich sechsstündiger Arbeitsleistung nach seinem Gesundheitszustand in der Lage gewesen. Dem stehe auch nicht das im Rentenverfahren erstattete Gutachten des Dr. G entgegen. Wenn dieser erklärt habe, daß dem Kläger körperlich wenig belastende Arbeiten noch für mindestens vier bis sechs Stunden täglich zumutbar seien, so bezeichnet diese Aussage lediglich eine Untergrenze, nicht jedoch, wie sich aus der Formulierung "mindestens" ergebe, eine Obergrenze der körperlichen Belastbarkeit des Klägers. Infolgedessen weiche diese gutachtliche Feststellung auch nicht von den übrigen Ermittlungsergebnissen ab. Auch der Hinweis des LSG auf die mehrjährige Teilzeitarbeit des Klägers vor Eintritt seiner Arbeitslosigkeit ändere hieran nichts. Allein die Entrichtung von Beiträgen für eine beitragspflichtige Teilzeitbeschäftigung bewirke im Falle der Arbeitslosigkeit keineswegs zwangsläufig eine dem Umfang der Teilzeitarbeit entsprechende Leistung; denn es bestehe nicht eine so enge Beziehung zwischen Beitrags- und Leistungsrecht. Eine andere Beurteilung sei nur dann zulässig, wenn der Arbeitslose während seiner Arbeitslosigkeit aus objektiven Gründen seine Arbeitsbereitschaft zeitlich einschränken könne. Das sei hier jedoch nicht der Fall. Dem Kläger sei es nach den festgestellten Tatsachen zuzumuten, täglich weitere zwei Stunden, insgesamt also acht Stunden, in dem ärztlicherseits abgesteckten Rahmen tätig zu sein. Auch mit Rücksicht auf die beim Kläger anerkannte KdE um 70 vH könne es ihm nicht zugestanden werden, frei zu entscheiden, ob er sechs oder acht Stunden täglich arbeiten wolle.

Für eine solche Betrachtungsweise ließen sich dem § 103 AFG keine Anhaltspunkte entnehmen. Nur wenn der Schwerbehinderte, der objektiv in der Lage sei, bestimmte Tätigkeiten täglich acht Stunden verrichten zu können, hierzu auch bereit sei, sei die Beklagte in der Lage, ihren sich insbesondere aus § 14 AFG und § 30 SchwbG ergebenden Verpflichtungen in der gebotenen Weise nachzukommen, den Behinderten seinem tatsächlichen Leistungsvermögen entsprechend in den Arbeitsprozeß einzugliedern.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben, die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 17. Mai 1976 zurückzuweisen und zu entscheiden, daß außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind.

Der Kläger ist im Verfahren vor dem BSG nicht vertreten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Dem Kläger stand für die Zeit vom 1. Juli bis 14. November 1974 ein Anspruch auf Alg nicht zu.

Ein Arbeitsloser hat nach § 100 AFG nur dann Anspruch auf Alg, wenn er unter anderem der Arbeitsvermittlung iS von § 103 AFG zur Verfügung steht. Die im Falle des Klägers maßgebliche Bestimmung des § 103 Abs 1 AFG idF des Gesetzes vom 25. Juni 1969 (BGBl I, S. 582) lautet:

"(1) Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer

1.

eine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann und darf sowie

2.

bereit ist, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die er ausüben kann.

Nummer 1 gilt nicht hinsichtlich der Arbeitszeit; der Arbeitsvermittlung steht jedoch nicht zur Verfügung, wer nur geringfügige Beschäftigungen (§ 102) ausüben kann oder darf, weil er

1.

in seiner Leistungsfähigkeit gemindert und berufsunfähig im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung ist oder

2.

tatsächlich oder rechtlich gebunden ist."

Der Kläger war in der Zeit vom 1. Juli bis 14. November 1974 entgegen der Auffassung des LSG nicht bereit iS von § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die er ausüben konnte. Denn er war in dieser Zeit nur bereit, sechs Stunden täglich - von 8.00 bis 12.00 Uhr und nach einer Pause von zwei Stunden von 14.00 bis 16.00 Uhr - Bürotätigkeiten leichter Art auszuüben, obwohl er ganztags (acht Stunden) derartige Tätigkeiten ausüben konnte. Das ergibt sich aus den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG). Das LSG hat aufgrund zutreffender Auswertung der im Verfahren eingeholten ärztlichen Gutachten festgestellt, daß der Kläger trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen noch körperlich leichte Büroarbeiten acht Stunden täglich ausüben konnte (Arbeit im Sitzen unter Einhaltung der arbeitsmarktüblichen Pausen). Diese das Revisionsgericht bindende Feststellung des LSG (§ 163 SGG), die es ausdrücklich unter Zurückweisung der gegenteiligen Auffassung des Klägers getroffen hat, wird nicht dadurch eingeschränkt, daß das LSG auf das im Rentenverfahren des Klägers eingeholte Gutachten des Dr. G  eingegangen ist, wonach dem Kläger wenig belastende Arbeiten, wie Bürotätigkeiten, noch für mindestens vier bis sechs Stunden täglich zumutbar seien. Das LSG würdigt dieses Gutachten ähnlich im Zusammenhang mit seinen Ausführungen über Sinn und Zweck der Nahtlosigkeit zwischen Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung, ohne von seiner vorangegangenen oben angeführten eigenen Feststellung über die tatsächliche Leistungsfähigkeit des Klägers abzurücken.

Entgegen der Auffassung des LSG darf sich die Bereitschaft des Arbeitslosen zur Arbeitsaufnahme als eine Voraussetzung für die Verfügbarkeit nach § 103 Abs 1 AFG nicht auf Beschäftigungen beschränken, die er ausüben möchte, auch wenn diese für sich gesehen arbeitsmarktüblich sein sollten. Vielmehr ist es erforderlich, daß der Arbeitslose bereit ist, jede Beschäftigung an- und aufzunehmen, die ihm nach seinem objektiven Leistungsvermögen zumutbar ist, und zwar nach Inhalt und Umfang. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG, wenn es dort heißt, daß der Arbeitslose zur Erfüllung des Verfügbarkeitsbegriffs bereit sein muß, "jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die er ausüben kann". Das Gesetz sieht in dieser Beziehung keine Ausnahme von der in Frage kommenden Arbeitszeit derartiger Beschäftigungen vor; denn Satz 2 des § 103 Abs 1 Satz 1 AFG sagt ausdrücklich, daß hinsichtlich der Arbeitszeit lediglich die Nr 1 des § 103 Abs 1 Satz 1 AFG nicht gilt. Das AFG schließt insoweit an die Regelung des § 76 Abs 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) an. Dort war es anerkannt, daß in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht objektiv gebundene Arbeitslose, die nicht mehr die volle "übliche" Arbeitszeit in einer Beschäftigung erbringen konnten, gleichwohl der Arbeitsvermittlung iS des Gesetzes zur Verfügung standen, solange sie noch mehr als geringfügig arbeiten konnten (vgl BSGE 17, 164; 19, 226, jeweils mit weiteren Nachweisen). Allerdings muß Lage und Verteilung der dem Arbeitslosen danach noch möglichen verminderten Arbeitszeit den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes entsprechen (vgl BSG vom 19. Dezember 1973 - 7 RAr 10/72 - Dienstblatt C der Bundesanstalt für Arbeit - BA - Nr 1781a zu § 103 AFG, SGb 1974, 519, ABA 1974, 125; BSG vom 11. Februar 1976 - 7 RAr 20/74 - Dienstblatt C der BA Nr 2050 zu § 103 AFG, DRV 1976, 268, SGb 1976, 324; BSG SozR 4100 § 134 Nr 3; Draeger/Buchwitz/Schönefelder, Kommentar zum AVAVG, RdNr 19 zu § 76). Diesen Grundsatz hat das Haushaltsstrukturgesetz-AFG vom 18. Dezember 1975 (BGBl I, S 3113) klarstellend nunmehr ausdrücklich in dem § 103 Abs 1 Satz 2 AFG aufgenommen (vgl BT-Drucks 7/4243, Begründung II, Art 20 zu § 1 Nr 22a).

Auch das AFG sieht demnach von Anfang an für den Faktor "Dauer der Arbeitszeit" eine Ausnahme von den Üblichkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nur in bezug auf solche Arbeitslose vor, die objektiv - wegen Leistungsminderung oder tatsächliche oder rechtlicher Bindungen - die übliche Arbeitszeitdauer - in der Regel die am Markt übliche Vollarbeitszeitdauer - nicht (mehr) erbringen können oder dürfen (§ 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 iVm Satz 2 AFG).

In bezug auf die Arbeitsbereitschaft (§ 103 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG) gilt diese Ausnahme nicht. Schon der Wortlaut des Gesetzes ist, wie dargelegt, in dieser Hinsicht eindeutig. Er entspricht aber auch dem Sinn des für den Leistungsanspruch im Falle der Arbeitslosigkeit maßgeblichen Merkmals der Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung. Ihm liegt die Erwägung zugrunde, daß Leistungen der Arbeitslosenversicherung grundsätzlich nur derjenige Arbeitslose erhalten soll, der allein deshalb nicht in eine Arbeit vermittelt werden kann, weil Arbeitsplätze, für die er in Betracht kommt, nicht frei sind. Deshalb schreibt § 5 AFG (wie schon früher § 36 AVAVG) vor, daß die Vermittlung in Arbeit der Leistungsgewährung vorgeht. Dem stünde es entgegen, wenn der einzelne Arbeitslose die Möglichkeiten für eine sachgerechte Vermittlung in ihm zumutbare Beschäftigungen willkürlich - dh nach freier Entscheidung - einschränken dürfte, selbst wenn dem subjektiv verständliche Motive zugrunde liegen, sofern diese nicht objektiv zwingende Umstände widerspiegeln. Die vom Gesetz erwartete Bereitschaft, jede Beschäftigung anzunehmen, die der Arbeitslose objektiv ausüben kann, entspricht dem Grundgedanken, daß die Vermittlungschancen nicht durch andere als objektiv zwingende Gründe in der Person und den Lebensverhältnissen des Arbeitslosen verkürzt sein dürfen. Denn der Arbeitslose soll die aus Beitragsmitteln der Versichertengemeinschaft - nicht etwa nur des einzelnen Arbeitslosen selbst - finanzierte Lohnersatzleistung "Arbeitslosengeld" im wohlverstandenen Interesse dieser Gemeinschaft nicht länger als unbedingt nötig in Anspruch nehmen müssen. Derjenige, dessen Lebensunterhalt in diesem Sinne zeitweise auf Kosten anderer sichergestellt wird, muß deshalb zur Begrenzung des Versicherungsrisikos seine persönlichen Interessen notfalls bis an die Grenze des ihm objektiv Zumutbaren zurückstellen. Ob das der Fall ist, drückt sich in dem Umfang der Arbeitsbereitschaft nach § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG aus. Diese muß zur Erhaltung des Versicherungsanspruchs grundsätzlich alle der objektiven Leistungsfähigkeit des Arbeitslosen entsprechenden und nach Art und Umfang zumutbaren Beschäftigungen umfassen.

Deshalb hat bereits der 12. Senat des BSG entschieden, daß Einschränkungen der Arbeitsbereitschaft hinsichtlich der Arbeitszeitdauer die Verfügbarkeit iS des § 103 AFG nur dann nicht hindern, wenn Gründe vorliegen, aus denen sich ergibt, daß der Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung für eine längere Dauer anbieten kann oder ihm eine in diesem Rahmen in Betracht kommende Arbeit nicht zumutbar ist (BSG SozR 4100 § 103 Nr 6; vgl auch die Entscheidung des erkennenden Senats vom 21. Juli 1977 in SozR 4100 § 103 Nr 8; siehe ferner Hennig/Kühl/Heuer, Kommentar zum AFG, Anmerkung 3 zu § 103; Schönefelder/Kranz/Wanka, Kommentar zum AFG, RdNr 11 zu § 103).

Dem steht es nicht entgegen, daß die Beklagte im Rahmen sachgerechter Wahrnehmung ihrer Aufgaben bei der konkreten Arbeitsvermittlung auf die subjektiv berechtigten Wünsche und Bedürfnisse des Arbeitslosen einzugehen hat (vgl dazu BSG SozR 4100 § 119 Nr 3). Die bloße Äußerung von Wünschen hinsichtlich der Vermittlung in Arbeit berührt die Verfügbarkeit ebenfalls nicht (BSGE 2, 67). Aus diesem Grunde enthält die oa Auslegung des § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG entgegen der Auffassung des LSG auch keine grobe Unbilligkeit. Es trifft nämlich nicht zu, daß derjenige Arbeitnehmer, der ohne objektiv zwingende Gründe nur beitragspflichtige Teilzeitbeschäftigungen ausübt, keinen Anspruch auf Alg erlangen könnte. Er kann erwarten, daß die Beklagte im Falle seiner Arbeitslosigkeit pflichtgemäß versuchen wird, ihm eine seinen Wünschen entsprechende Arbeitsstelle zu vermitteln. Davon unabhängig muß er jedoch von Anfang an aus den dargelegten Gründen bereit sein, auch eine andere, nämlich die ihm objektiv zumutbare, Beschäftigung anzunehmen, sofern nämlich eine Vermittlung nach seinen Vorstellungen aufgrund der Lage des Arbeitsmarktes nicht möglich ist. Nur dann steht ihm für die Zeit seiner Arbeitslosigkeit nach Wortlaut, Sinn und Zweck des Gesetzes ein Anspruch auf Alg zu. Diese Grundsätze gelten mangels einer besonderen Ausnahmebestimmung auch für anerkannte Schwerbehinderte, die - wie der Kläger - objektiv noch eine Ganztagstätigkeit bestimmter Art ausüben können. Denn die Einschränkung der Arbeitsbereitschaft eines Schwerbehinderten auf eine andere - kürzere - Arbeitszeit als die ihm objektiv noch mögliche ist nicht auf seine Schwerbehinderteneigenschaft, sondern auf subjektive Vorstellungen zurückzuführen.

Die abweichende Auffassung des LSG läßt sich ferner nicht aus dem Gedanken der Nahtlosigkeit zwischen den Leistungen der Arbeitslosenversicherung und der Rentenversicherung rechtfertigen, der in den Regelungen des § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 iVm Abs 2 AFG seinen Ausdruck findet. Arbeitslose, die wegen Minderung ihrer Leistungsfähigkeit nur noch geringfügige Beschäftigungen ausüben können, schließt das AFG vom Bezug des Alg aus, weil zu erwarten ist, daß diese Personen einen Rentenanspruch regelmäßig wegen Berufsunfähigkeit besitzen. Lediglich bis zu dem Zeitpunkt, in dem über die Berufsunfähigkeit abschließend vom zuständigen Rentenversicherungsträger entschieden ist, wird die Verfügbarkeit solcher Arbeitsloser in dem Sinne fingiert, daß sie bis dahin nicht als berufsunfähig gelten (§ 103 Abs 2 Satz 2 AFG). Sie sollen zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts einstweilen Leistungen der Arbeitslosenversicherung erhalten; ein später zuerkannter Rentenanspruch geht in diesem Umfang auf die BA über (§ 103 Abs 2 Satz 3 AFG). Stellt der Rentenversicherungsträger hingegen fest, daß der betreffende Arbeitslose nicht berufsunfähig ist, so rechtfertigt sich daraus gleichzeitig der positive Rückschluß auf seine objektive Verfügbarkeit, weil er noch mehr als geringfügig arbeiten kann. Infolgedessen hat er bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen zu Recht Alg erhalten. Ganz anders ist es aber bei Arbeitslosen, bei denen, wie beim Kläger, von Anfang an feststeht, daß sie objektiv noch ein Leistungsvermögen zur Vollzeitarbeit besitzen. Ihnen ist die Existenzsicherung durch Erwerb von Arbeitslohn auf dem Arbeitsmarkt grundsätzlich noch möglich. Bei ihnen ergibt sich von Beginn ihrer Arbeitslosigkeit an, daß sie der Rentenversicherung nicht unterfallen können. Aus diesem Grunde ist auch die Entscheidung des Großen Senats des BSG vom 10. Dezember 1976, auf die sich das LSG beruft (vgl BSGE 43, 75), nicht einschlägig, weil sie Personen betrifft, die aufgrund ihres Gesundheitszustandes nur noch Teilzeitarbeit verrichten können. Die Betreuung derjenigen Arbeitslosen, die noch zur Vollzeitarbeit imstande sind, und allenfalls - wie der Kläger - nur Teilzeitarbeiten leisten wollen, durch die Arbeitslosenversicherung ist deshalb keine Frage der Nahtlosigkeit zur Rentenversicherung. Sie richtet sich allein nach Grundsätzen des Rechts der Arbeitslosenversicherung. Danach ist aber für den Erwerb und Erhalt des Versicherungsanspruchs eine Arbeitsbereitschaft für alle Beschäftigungen erforderlich, die zumutbar der objektiven Leistungsfähigkeit des Arbeitslosen entsprechen.

Dem Kläger fehlte für die Zeit vom 1. Juli bis 14. November 1974 diese Bereitschaft; denn er war, wie schon ausgeführt, in dieser Zeit nicht bereit, ihm zumutbare leichte Bürotätigkeiten bis zur Grenze der Ganztagstätigkeit anzunehmen, obwohl er diese nach den Feststellungen des LSG in der von den Sachverständigen angegebenen Art nach seinem Leistungsvermögen objektiv hätte ausüben können (§ 103 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG). Auf die Revision der Beklagten muß deshalb die Entscheidung des Berufungsgerichts abgeändert und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 40

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