Leitsatz (redaktionell)

1. Arbeitszeit im Sinne des AFG § 103 Abs 1 Halbs 1 ist nur die Dauer der Arbeitszeit, nicht auch deren Lage und Einteilung.

2. AFG § 103 Abs 1 S 2 Halbs 1 verstößt nicht gegen GG Art 6. Es liegt auch kein Verstoß gegen GG Art 14 vor.

3. Eine Versicherte, die aus familiären Gründen nur in ungewöhnlicher Schichtenfolge (zwei Wochen Spätschicht, eine Woche Frühschicht) einsetzbar ist, steht der Arbeitsvermittlung zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht zur Verfügung.

 

Normenkette

AFG § 103 Abs. 1 S. 2 Hs. 1; GG Art. 6 Fassung: 1949-05-23, Art. 14 Fassung: 1949-05-23

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 24. November 1971 wird zurückgewiesen.

Kosten der Revisionsinstanz sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 4. Mai bis zum 18. Oktober 1970 zusteht.

Die Klägerin war vom 5. November 1968 bis zum 30. April 1970 als Arbeiterin in der Schichtenfolge von jeweils 2 Wochen Spätschicht und einer Woche Frühschicht bei der Firma G. beschäftigt. Diese besondere Schichtenfolge war auf das Dreischichtensystem abgestimmt, in dem ihr Ehemann bei einem anderen Unternehmen arbeitete. Bei ihrer Arbeitslosmeldung am 4. Mai 1970 erklärte sie gegenüber dem Arbeitsamt Fulda, die Einhaltung einer anderen Schichtfolge sei ihr wegen der Betreuung ihrer vier in den Jahren 1961 bis 1966 geborenen Kinder nicht möglich. Die Beklagte lehnte den Antrag auf Gewährung von Alg mit der Begründung ab, die Klägerin stehe der Arbeitsvermittlung nicht zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zur Verfügung (Bescheid vom 8. Juni 1970). Der Widerspruch der Klägerin wurde durch Widerspruchsbescheid vom 3. Juli 1970 mit der Begründung zurückgewiesen, sie könne hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit nur unüblich tätig sein. Ihre Vermittlung in Arbeit sei, wie zahlreiche Versuche ergeben hätten, unter diesen Bedingungen nur bei besonderem Entgegenkommen des Arbeitgebers möglich; eine solche Regelung sei im Bezirk des Arbeitsamts nicht üblich.

Das Sozialgericht (SG) Fulda hat nach Beweisaufnahme die auf Gewährung von Alg vom 4. Mai 1970 an gerichtete Klage mit Urteil vom 8. Dezember 1970 abgewiesen. Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin gegen diese Entscheidung mit Urteil vom 24. November 1971 zurückgewiesen. Es hat dazu ausgeführt: Die Klägerin habe während der Zeit ihrer Arbeitslosigkeit der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden. Nach § 103 Abs. 1 Satz 1 des Arbeitsförderungsgesetzes - AFG - stehe der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer u. a. eine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben könne und dürfe. Eine Ausnahme hiervon gelte nach Satz 2 der Vorschrift nur hinsichtlich der Arbeitszeit; diese Ausnahmeregelung könne nicht über die Arbeitszeitdauer hinaus auch auf die Arbeitszeiteinteilung erstreckt werden. Das ergebe sich aus der vorher geltenden Regelung des § 76 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG), die durch § 103 Abs. 1 AFG insoweit habe bestätigt werden sollen. Für die Auslegung des Begriffes "Arbeitszeit" in Satz 2 dieser Vorschrift als Arbeitszeitdauer spreche auch, daß dabei die in § 102 AFG hinsichtlich der Arbeitszeitdauer festgesetzte Mindestgrenze überschritten werden müsse. Hinsichtlich der Arbeitszeiteinteilung stelle die Klägerin Bedingungen, unter denen lediglich in Einzel- oder Ausnahmefällen Arbeitsverhältnisse auf dem für sie erreichbaren Arbeitsmarkt eingegangen zu werden pflegten. Aus den Bekundungen der vor dem SG gehörten Zeugin K und dem Inhalt der Leistungsakten der Beklagte gehe hervor, daß eine Beschäftigungsmöglichkeit für die Klägerin unter diesen Einschränkungen nicht bestehe, weil die Einräumung einer vom betrieblichen Schichtsystem abweichenden Schichtenfolge meist zu erheblich organisatorische Schwierigkeiten führe. Die Klägerin verlange darüber hinaus eine für den erreichbaren Arbeitsmarkt keineswegs übliche Schichtfolge. Eine Anfrage der Beklagten an die im Schichtbetrieb arbeitenden Unternehmen habe nämlich ergeben, daß diese eine Beschäftigung der Klägerin unter solchen Bedingungen ablehnen würden. Daran ändere auch der Umstand nichts daß die Firma G. die Klägerin entsprechend deren Wünschen beschäftigt habe und sie auch seit dem 19. Oktober 1970 erneut beschäftigte. Hierbei handele es sich um eine auf diese Arbeitgeberin beschränkte Ausnahme, die, wie aus deren Auskünften hervorgehe, für arbeitsmäßige Spitzenzeiten gemacht worden sei. Der Klägerin habe daher mangels Verfügbarkeit kein Alg zugestanden.

Zur Begründung ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision führt die Klägerin aus: Zwar habe das LSG zutreffend angenommen, daß die ausschließlich auf die Schichtenfolge "zwei Wochen Spätschicht / eine Woche Frühschicht" beschränkte Arbeitsbereitschaft der Klägerin nicht den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes entspreche. Jedoch verstoße die in § 103 AFG getroffene Regelung insoweit gegen Art. 6 und Art. 14 des Grundgesetzes (GG) sowie gegen das Versicherungsprinzip. Das Recht und die Pflicht der Eltern zur Pflege und Erziehung ihrer vier Kinder (Art. 6 Abs. 2 GG) seien im vorliegenden Fall nur erfüllbar, wenn einerseits beide Elternteile einer Erwerbstätigkeit nachgehen, andererseits aber abwechselnd die Kinder zu Hause betreuen könnten. Insoweit nehme die gesetzliche Regelung nicht die gebührende Rücksicht auf den grundgesetzlich gebotenen Schutz von Familie und Kindern; diese Lücke im Anspruchsrecht sei im Sinne des Grundgesetzes zu schließen. Ferner bedeute die Regelung, wonach die Klägerin wegen fehlender Verfügbarkeit ihre - dem Eigentum gleichstehenden - öffentlich-rechtlichen Versicherungsansprüche verliere, eine - nach Art. 14 GG unzulässige - entschädigungslose Enteignung. Ihre durch Beiträge erworbenen Rechte seien auf Grund eines besonders vereinbarten Arbeitsverhältnisses (mit bestimmten Wechselschichten) entstanden; sie müßten daher auch Leistungen unter den gleichen Bedingungen auslösen. Anderenfalls werde auch das Versicherungsprinzip verletzt. Ein Versicherungsträger dürfe nicht Beiträge für ein Versicherungsverhältnis erheben, ohne für den Versicherungsfall aus diesem Versicherungsverhältnis Gegenleistungen zu erbringen.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des SG Fulda vom 8. Dezember 1970 sowie des Bescheides der Beklagten vom 8. Juni 1970 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 1970 die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Arbeitslosengeld für die Zeit vom 4. Mai bis 18. Oktober 1970 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig und das Revisionsvorbringen der Klägerin für unbegründet. Aus Art. 6 GG könne kein Recht der Eltern, auch im Falle der Nichtverfügbarkeit Leistungen zu erhalten, hergeleitet werden. Ein Verstoß gegen Art. 14 GG scheide schon deshalb aus, weil im vorliegenden Fall überhaupt kein Leistungsanspruch der Klägerin entstanden sei, der geschützt werden könne. Es liege auch kein Verstoß gegen das Versicherungsprinzip vor, da die Gewährung von Versicherungsleistungen grundsätzlich nicht nur von der Entrichtung von Beiträgen, sondern darüber hinaus von bestimmten weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht werde.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II

Die Revision ist nicht begründet.

Voraussetzung des Anspruchs auf Alg ist nach § 100 AFG u. a., daß der Arbeitslose der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht. Nach § 103 Abs. 1 Satz 1 AFG steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer eine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann und darf (Nr. 1) sowie bereit ist, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die er ausüben kann (Nr. 2). Diese kumulativen Voraussetzungen ergänzen sich dabei insofern, als auch das "Können" und "Dürfen" in Nr. 1 nach der Zumutbarkeit zu bemessen ist. Die Beurteilung der Vorinstanzen, eine Beschäftigung der Klägerin zu den besonderen Bedingungen hinsichtlich der Schichtenfolge, die sie wegen der Betreuung ihrer Kinder allein für zumutbar ansieht und unter denen allein sie bereit ist, eine Arbeit aufzunehmen, entspreche nicht den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts, ist nach den von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht zu beanstanden. Wird schon durch die Abhängigkeit der Schichtenfolge eines Arbeitnehmers von der seines Ehegatten bei normaler Wechselschicht die Dispositionsfreiheit des Unternehmers weitgehend eingeschränkt, so kommt im Falle der Klägerin noch die nicht in das Zweischichtensystem passende ungewöhnliche Schichtenfolge von jeweils zwei Wochen Spätschicht und einer Woche Frühschicht besonders erschwerend hinzu. Dem entspricht die festgestellte Ablehnung der für die Klägerin in Betracht kommenden Unternehmen, Arbeitnehmer zu solchen Bedingungen einzustellen. Der Begriff "üblich" steht dabei nach der Rechtsprechung des Senats im Gegensatz zu Einzel- oder Ausnahmefällen, auch wenn diese häufiger sein sollten. Eine "Übung" ist hiernach anzunehmen, wenn Arbeitsverhältnisse unter diesen Bedingungen in nennenswertem Umfang eingegangen zu werden pflegen; sie müssen in einer beachtlichen Zahl gegeben sein, aus der eine entsprechende Übung entnommen werden kann (BSG 11, 16, 20; Urteil des Senats vom 15. Juli 1971 - 7 RAr 60/68 - ABA 1971, 325 m. Anm. von Kühl). Selbst bei einer - gegenüber der Beklagten - strengeren Auslegung könnte eine "Üblichkeit" im vorliegenden Fall nicht mehr angenommen werden. Bei Prüfung der Marktüblichkeit hat sich das LSG dabei zu Recht auf den bezirklichen Arbeitsmarkt beschränkt. Die für die Einschränkung der Vermittlungsfähigkeit der Klägerin maßgebenden Gründe familiärer Art schließen eine überbezirkliche Vermittlung (Ausgleichsfähigkeit) für sie erst recht aus; in Fällen dieser Art schrumpft der "allgemeine Arbeitsmarkt" auf das für den Arbeitslosen erreichbare Gebiet zusammen (BSG 11, 16, 19; BSG SozR Nr. 12 zu § 76 AVAVG; BSG, ABA 1971, 325).

Nun gilt allerdings nach § 103 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 AFG die Voraussetzung nach Satz 1 Nr. 1, eine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben zu können und zu dürfen, nicht hinsichtlich der Arbeitszeit. Das kann indessen auch dann, wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgeht, daß ihre damalige Situation unter Satz 1 Nr. 1 - nicht unter Nr. 2 - der Vorschrift fällt, daß sie also objektiv zu Recht eine andere als die von ihr allein erstrebte Beschäftigung ablehnte, nicht zu einer für sie günstigeren Beurteilung ihrer Verfügbarkeit führen. SG und LSG haben nämlich zutreffend erkannt, daß sich diese Vergünstigung nur auf die Arbeitszeitdauer bezieht (so Hennig/Kühl/Heuer, AFG, § 103 Anm. 4; Krebs, AFG, § 103 Anm. 29; Schönefelder/Kranz/Wanka, AFG, § 103 Anm. 13; Weber/Paul, AFG, § 103 Anm. 5). Voraussetzung der Verfügbarkeit war nach § 76 Abs. 1 AVAVG außer der Arbeitsbereitschaft (Nr. 1) und dem Leistungsvermögen (Nr. 2) noch, daß der Arbeitslose nicht durch sonstige Umstände, insbesondere Bindungen tatsächlicher oder rechtlicher Art, die eine Beschäftigung von mehr als geringfügigem Umfang im Sinne des § 66 AVAVG ausschlossen, gehindert war (Nr. 3), eine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben. Nach der Rechtsprechung des Senats enthielt diese Vorschrift eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß als verfügbar nur der anzusehen ist, dessen zeitliche Arbeitsbereitschaft und Arbeitsfähigkeit den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes entspricht. Bei einem Arbeitslosen, der infolge solcher Bindungen keine Vollzeitbeschäftigung, jedoch eine Beschäftigung von mehr als geringfügigem Umfang auszuüben vermochte, fiel die Normaldauer der Arbeitszeit nicht unter die üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes. Hiernach galt z. B. eine Hausfrau, die wegen der Pflegebedürftigkeit ihres Ehemannes nur 5 Stunden täglich berufstätig sein konnte, als verfügbar, ohne daß es der Prüfung bedurfte, ob eine solche Arbeitszeitdauer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt üblich war (BSG 17, 164, 165). Diese Privilegierung konnte der Vorschrift nach ihrem Aufbau und Wortlaut aber nur für die Dauer der Arbeitszeit entnommen werden; Lage und Verteilung der Arbeitsstunden mußten wie alle sonstigen Arbeitsbedingungen der Marktüblichkeit entsprechen. Die neue Vorschrift in § 103 Abs. 1 Satz 2 AFG soll erkennbar diese Regelung - unter Ausdehnung auf in ihrer Leistungsfähigkeit beschränkte Berufsunfähige - bestätigen. Daß unter "Arbeitszeit" auch hier nur die Arbeitszeitdauer gemeint sein soll, ergibt sich auch aus der Rückausnahme in Halbsatz 2, wonach der Arbeitsvermittlung "jedoch nicht zur Verfügung" steht, wer u. a. wegen tatsächlicher oder rechtlicher Bindungen - nur geringfügige Beschäftigungen (§ 102 AFG) ausüben kann oder darf; die Geringfügigkeit bemißt sich aber nach der Arbeitszeitdauer (nicht mehr als 20 Stunden wöchentlich). Während die Begünstigung hinsichtlich der Arbeitszeitdauer hiernach sinnvoll abgegrenzt ist, würde sie - wollte man nunmehr auch Lage und Einteilung der Arbeitszeit in den Begriff "Arbeitszeit" mit einbeziehen - insoweit unbegrenzt sein, so daß die Verfügbarkeit auch noch unter völlig unüblichen Bedingungen unterstellt werden müßte. Es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber mit der Neuformulierung der Vorschrift im AFG eine so weitgehende Aushöhlung des grundsätzlichen Erfordernisses der Verfügbarkeit (§ 100 AFG) beabsichtigt haben könnte. Vielmehr wird durch § 103 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 AFG nur ein - möglicherweise nicht vorhandener oder nicht feststellbarer - Teilzeitarbeitsmarkt fingiert. Entgegen der Auffassung der Revision liegt daher auch insoweit keine Gesetzeslücke vor, die für den vorliegenden Fall im Sinne des Art. 6 GG zugunsten der Klägerin zu schließen wäre. Der Gesetzgeber kann nicht übersehen haben, daß das Erfordernis der Verfügbarkeit und der Vermittlungsfähigkeit - auch unter der Einschränkung hinsichtlich der Teilzeitarbeit - in ganz besonders gelagerten Einzelfällen zu Härten führen kann. Wollte er an diesen hergebrachten Grundsätzen für das neue Recht festhalten, so mußte er, weil eine generelle Abgrenzung aller denkbarer Härtefälle praktisch nicht möglich war, solche Fälle in Kauf nehmen.

Die für die Entscheidung maßgebende gesetzliche Regelung verstößt auch nicht, wie die Revision meint, gegen Art. 6 GG Sie berührt zunächst nicht das Recht und die Pflicht der Eltern zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder (Abs. 2 und 3). Sie ist auch in ihrem Inhalt nicht gegen Ehe, Familie und Mutterschaft, die nach Abs. 1 und 4 unter dem Schutz der staatlichen Ordnung und der Gemeinschaft stehen, gerichtet. Zwar enthalten diese Verfassungsnormen eindeutig auch ein positives Förderungsgebot. Jedoch liegt es weitgehend im Ermessen des Gesetzgebers, im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit zu bestimmen, auf welche Weise er diesen Verfassungsauftrag verwirklichen will (BVerfGE 21, 1, 6; BVerfGE 33, 303, 331). Daß in besonders liegenden Fällen - wie dem vorliegenden - familiäre Bindungen sich nachteilig auf Leistungsansprüche aus der Arbeitslosenversicherung auswirken können, ist eine unbeabsichtigte Nebenfolge der hierzu getroffenen gesetzlichen Regelung, die der Gesetzgeber schon durch die Begünstigung der Teilzeitarbeitnehmer möglichst einzuschränken sich bemüht hat; daraus kann eine Verfassungswidrigkeit nicht hergeleitet werden (vgl. BVerfGE 6, 55, 77). Das Schutzgebot des Art. 6 GG zwingt den Gesetzgeber nicht dazu, wesentliche Grundsätze des Leistungsrechts der Arbeitslosenversicherung - dazu gehört das Erfordernis der Verfügbarkeit - aufzugeben, weil es sich unter den besonderen Umständen eines Einzelfalls nachteilig für die Familie auswirken kann.

Es liegt auch kein Verstoß gegen Art. 14 GG (Eigentumsschutz) vor. Durch die Entrichtung von Beiträgen allein hat die Klägerin noch keinen eigentumsähnlichen Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erworben. Da sie die gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch nach den §§ 100, 103 AFG nicht erfüllt hat, steht ihr ein Anspruch dieser Art nicht zu, der ihr zu Unrecht hätte genommen werden können. Ein solcher Eingriff läßt sich auch nicht aus einer Verletzung des Versicherungsprinzips herleiten, die nach Ansicht der Revision darin liegt, daß wegen einer Beschäftigung Beiträge erhoben werden, für deren Verlust keine Leistungen erbracht werden. Die Revision verkennt dabei, daß nach dem AFG der Arbeitnehmer nicht gegen den Verlust eines bestimmten Arbeitsplatzes oder doch gegen den Mangel an Arbeitsmöglichkeit zu dessen besonderen unüblichen Bedingungen versichert ist, sondern nur gegen Arbeitslosigkeit unter den allgemeinen gesetzlichen Voraussetzungen. Die Beitragspflicht richtet sich nach den Verhältnissen zur Zeit der Beschäftigung, der Leistungsanspruch hingegen im wesentlichen nach den Verhältnissen zur Zeit der Arbeitslosigkeit. Der von der Revision behauptete Unrechtsgehalt der gesetzlichen Regelung läge zudem hier nicht in der Versagung des Alg, sondern in der voraufgehenden Erhebung von Beiträgen. Abgesehen davon, daß die Beitragspflicht der Klägerin nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits ist, könnte auch eine Verletzung des Versicherungsprinzips allenfalls dann vorliegen, wenn der Bezug von Leistungen, für die die Beiträge bestimmt sind, bei der Klägerin von vornherein ausgeschlossen wäre. Aus diesem Grunde sind u. a. nach § 169 Nr. 4 AFG Arbeitnehmer beitragsfrei, die wegen einer Minderung ihrer Leistungsfähigkeit dauernd der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehen. Eine dem vergleichbare Situation hat aber bei der Klägerin nicht bestanden. Sowohl die Verhältnisse auf dem für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarkt als vor allen auch Art und Maß ihrer Behinderung durch familiäre Bindungen konnten sich jederzeit - etwa durch einen Wechsel im Schichtsystem ihres Ehemannes - derart ändern, daß bei Eintritt der Arbeitslosigkeit die Voraussetzungen für die Gewährung von Alg vorgelegen hätten.

Die Revision ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647661

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