Schadenersatzansprüche gegen VW doch nicht Ende 2018 verjährt?

Schadensersatzansprüche gegen VW wegen der Abgasmanipulation-Software in Dieselfahrzeugen sind nach einem Urteil des LG Osnabrück Ende 2018 noch nicht verjährt. Zumindest bis Ende 2019 könnten Klagen gegen VW danach noch problemlos erhoben werden. Bisher wurde als Verjährungstermin allgemein vom Ende 2018 ausgegangen.

Abgesehen von der immer noch gegenüber VW-Kunden eher restriktiven Haltung des LG Braunschweig wird die Rechtslage für VW bundesweit immer härter. Das LG Osnabrück hat nun auch die Argumentation von VW, dass Schadensersatzansprüche wegen der Dieselaffäre spätestens Ende 2018 verjährt seien, widerlegt.

Lauf der Verjährungsfrist ab Ende 2015?

Mit der noch vor Ende 2018 hektisch eingeführten Musterfeststellungsklage sollte nicht zuletzt VW-Kunden die Möglichkeit gegeben werden, noch vor Ende 2018 durch Beitritt zur Musterfeststellungsklage die drohende Verjährung von möglichen Schadenersatzansprüchen wegen der Manipulationssoftware bei Dieselfahrzeugen gegen VW abzuwenden.

Hintergrund für die Befürchtung des Verjährungseintritts war die Tatsache, dass wesentliche Umstände zum Dieselskandal im Jahre 2015 allgemein bekannt geworden sind. VW selbst hatte die Öffentlichkeit im September 2015 über den Einbau der Manipulationssoftware informiert. Damit begann die dreijährige Verjährungsfrist der hieraus abzuleitenden Schadensersatzansprüche nach Meinung von VW und auch nicht weniger Juristen mit Ablauf des Jahres 2015 gemäß § 199 Abs. 1 BGB zu laufen.

LG Osnabrück sieht späteren Verjährungsbeginn

Dieser Rechtsauffassung hat das LG Osnabrück nun eine klare Absage erteilt. Die dreijährige Verjährungsfrist gemäß § 195 BGB beginnen gemäß § 199 Abs. 1 BGB erst dann zu laufen, wenn dem Anspruchsberechtigten die wesentlichen Umstände, auf denen sein Anspruch beruhe, bekannt sind. Hierzu gehören nach Auffassung der Kammer sämtliche für die rechtliche Beurteilung der Erfolgsaussichten eines Anspruchs wesentlichen Tatsachen.

Bis heute sind nicht alle maßgeblichen Umstände bekannt

Wesentlich für die Geltendmachung der Ansprüche gegenüber VW wegen sittenwidriger Schädigung durch Einbau der Manipulationssoftware ist nach Auffassung des LG unter anderem die Klärung der Verantwortlichkeit maßgeblicher Mitarbeiter, insbesondere der VW-Vorstände, für die Entscheidung über den Einbau einer solchen manipulativen Software.

Nach Bewertung des LG Osnabrück ist die Verantwortlichkeit insbesondere der Vorstandsetage von VW bis heute nicht eindeutig geklärt. Wer genau die strategische Entscheidung zur Nutzung dieser Software getroffen hat, sei nach wie vor unklar. Jedenfalls habe bis Ende des Jahres 2015 keinerlei öffentliche Kenntnis in dieser Frage geherrscht. Damit seien zu diesem Zeitpunkt die Erfolgsaussichten einer Klage auch nicht hinreichend sicher zu beurteilen gewesen.

Ansprüche bis Ende 2019 noch nicht verjährt

Mit Ende des Jahres 2015 hat die Verjährungsfrist nach Ansicht der Kammer daher nicht zu laufen begonnen. Damit ist die dreijährige Verjährung nach Auffassung des LG Osnabrück jedenfalls noch nicht Ende des Jahres 2018 eingetreten, so dass eine im Jahr 2019 eingereichte Klage ohne weiteres zur Unterbrechung der Verjährung geeignet war und weiterhin ist.

Keine Zweifel an vorsätzliche sittenwidrige Schädigung

Im übrigen hat auch das LG Osnabrück den Einsatz der unzulässigen Abschaltvorrichtung als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Kunden gewertet und diesem einen Schadensersatzanspruch gemäß 826 BGB in Übereinstimmung mit einer Vielzahl von oberlandesgerichtlichen Entscheidungen zuerkannt (OLG Koblenz, Urteil v. 12.6.2019, 51318/18; OLG Frankfurt, Beschluss v. 25.9.2019, 17 U 45/19)).

VW hat Rechtsmittel eingelegt

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. VW hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Insbesondere die Verjährungsfrage dürfte für nicht wenige VW-Kunden von Interesse sein. Nach Mitteilung des LG Osnabrück gehen dort aktuell immer noch zahlreiche Klagen gegen VW wegen der eingebauten Manipulationssoftware ein.

(LG Osnabrück, Urteil v. 3.9.2019, 6 O 918/19; OLG Oldenburg 14 U 252/19)

Anmerkung:

Urteil in Übereinstimmung mit OLG Stuttgart

Das Urteil des OLG Oldenburg ähnelt in wesentlichen Punkten einem Urteil des OLG Stuttgart. Nach Auffassung des OLG Stuttgart widerspricht es jeder Lebenswahrscheinlichkeit, dass maßgebliche Vorstände von VW über die Verwendung der Manipulationssoftware keine Kenntnis gehabt haben sollen. Eine Entscheidung von solcher Tragweite wie der Verwendung einer Manipulationssoftware treffe kein Techniker alleine. VW habe bisher aber nichts Entscheidendes zur Klärung der damit verbundenen Fragen dargelegt (OLG Stuttgart, Urteil v. 24.9. 2019, 10 U 11/19).

Nutzungsabzug versus Kaufpreisverzinsung

Wie andere Gerichte auch, geht auch das LG Osnabrück davon aus, dass die aus einer mehrjährigen Nutzung gezogenen Vorteile von dem Rückforderungsbetrag des Käufers in Abzug zu bringen sind. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine bisher (zu) wenig beachtete Entscheidung des OLG Oldenburg, wonach zwar ebenfalls die Nutzungen als Vorteil des Kunden als Abzugsposten zu Buche schlagen, andererseits der Kunde jedoch eine Verzinsung des von ihm gezahlten Kaufpreises seit Zahlung verlangen kann, was durchaus einen wesentlichen Teil des Nutzungsabzugs wieder aufwiegen kann (OLG Oldenburg, Urteil v. 2.10. 2019, 5 U 47/19).