Leitsatz (amtlich)

Zur Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen den Fahrzeughersteller in einem sog. Dieselfall.

 

Normenkette

BGB § 199 Abs. 1 Nr. 2, § 204 Abs. 1 Nr. 1a

 

Verfahrensgang

OLG Oldenburg (Oldenburg) (Urteil vom 30.01.2020; Aktenzeichen 1 U 131/19)

LG Osnabrück (Urteil vom 16.08.2019; Aktenzeichen 5 O 1462/19)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten - soweit diese nicht durch die teilweise Klagerücknahme gegenstandslos geworden ist - wird das Urteil des 1. Zivilsenats des OLG Oldenburg vom 30.1.2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung auf Schadensersatz in Anspruch.

Rz. 2

Der Kläger erwarb am 20.12.2012 von einem Händler einen gebrauchten VW Golf Plus zum Kaufpreis von 23.999 EUR. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet. Dieser enthielt eine Steuerungssoftware, die erkannte, ob das Fahrzeug sich auf einem Prüfstand oder im normalen Straßenverkehr befand. Im Prüfstandsbetrieb bewirkte die Software eine im Vergleich zum Normalbetrieb erhöhte Abgasrückführungsrate, wodurch die Grenzwerte für Stickoxidemissionen der Abgasnorm Euro 5 auf dem Prüfstand eingehalten werden konnten. Im September 2015 veröffentlichte die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung, in der sie einräumte, dass beim Motor EA189 eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden sei. Der Kläger schloss sich zunächst einer Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte an, meldete sich später aber wieder ab.

Rz. 3

Mit seiner im Jahr 2019 eingereichten Klage verlangt er die Erstattung des Kaufpreises abzgl. Nutzungsersatz sowie Deliktszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

Rz. 4

Das LG hat unter Klageabweisung im Übrigen die Beklagte zur Zahlung von 11.662,67 EUR nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verurteilt und den Annahmeverzug festgestellt.

Rz. 5

Auf die Berufung des Klägers hat das OLG das Urteil des LG abgeändert und die Beklagte außerdem im Wesentlichen zur Zahlung von Deliktszinsen verurteilt. Die weitergehende Berufung des Klägers und die auf vollständige Klageabweisung gerichtete Berufung der Beklagten hat es zurückgewiesen.

Rz. 6

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger hat seine Revision sowie die Klage, soweit er mit ihr Deliktszinsen und die Feststellung des Annahmeverzugs begehrt hat, mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen.

 

Entscheidungsgründe

I.

Rz. 7

Das Berufungsgericht, dessen Urteil u.a. unter BeckRS 2020, 517 und in MDR 2020, 671 veröffentlicht ist, hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren relevant - im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Rz. 8

Dem Kläger stehe nach § 826 BGB ein Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung des Kaufpreises unter Anrechnung der Nutzungsvorteile Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs zu.

Rz. 9

Die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung sei erfolglos. Ob die Anmeldung zum Musterfeststellungsverfahren die Verjährung gehemmt habe, könne dahinstehen, da der Anspruch auch ohne Anmeldung zu diesem Verfahren nicht verjährt sei. Die Beklagte habe zwar in der im September 2015 veröffentlichten Ad-hoc-Mitteilung mitgeteilt, dass beim Motor EA189 eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden sei, und damit die Mangelhaftigkeit der Fahrzeuge eingeräumt. Sie habe aber bestritten, dass ihr Vorstand oder der für die Haftung nach § 826 BGB in Betracht kommende Personenkreis davon gewusst habe. Erst im Jahr 2016 seien durch Nachforschungen und Ermittlungen Umfang und Größe des Problems deutlich geworden und hätten sich belastbare Hinweise auf eine Kenntnis der Organe der Beklagten verdichtet. In den rund drei Monaten zwischen der Ad-hoc-Mitteilung und dem Jahresende 2015 hätten allenfalls vage Hinweise bestanden. Damit sei den Geschädigten im Jahr 2015 zwar die Mangelhaftigkeit ihrer Fahrzeuge bekannt geworden, nicht aber die ein vorsätzliches sittenwidriges Handeln der Beklagten begründenden Umstände. Eine Klageerhebung sei den Geschädigten bis Ende 2015 nicht zumutbar gewesen.

II.

Rz. 10

Soweit die Revision der Beklagten durch die teilweise Klagerücknahme nicht gegenstandslos geworden ist, ist sie begründet. Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

Rz. 11

1. Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, dass mit dem Erwerb des VW Golf Plus am 20.12.2012 ein auf Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs gerichteter Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gem. § 826 BGB entstanden ist (vgl. BGH, Urt. v. 25.5.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rz. 12 ff.). Dies zieht auch die Revision nicht in Zweifel.

Rz. 12

2. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann jedoch die Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB gegen die Beklagte angesichts der erst im Jahr 2019 erhobenen Klage nicht verneint werden.

Rz. 13

Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung bleibe erfolglos, da dem Kläger eine Klageerhebung bis Ende 2015 nicht zumutbar gewesen sei.

Rz. 14

Die Frage, wann eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die zur Unzumutbarkeit der Klageerhebung führt, unterliegt der uneingeschränkten Beurteilung durch das Revisionsgericht (BGH, Urt. v. 17.12.2020 - VI ZR 739/20 VersR 2021, 324 Rz. 16 m.w.N.). Das Berufungsgericht hat die Unzumutbarkeit damit begründet, dass der Sachverhalt noch weitgehend ungeklärt gewesen sei, da bis Ende 2015 belastbare Hinweise auf eine Kenntnis der Organe der Beklagten noch nicht vorgelegen hätten. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts bedurfte es jedoch keiner näheren Kenntnis des Klägers von den Verantwortlichkeiten innerhalb der Organisation der Beklagten (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 17.12.2020 - VI ZR 739/20 VersR 2021, 324 Rz. 23). Mit der Begründung des Berufungsgerichts lässt sich damit die Unzumutbarkeit einer Klage gegen die Beklagte in 2015 nicht rechtfertigen (s. allgemein dazu auch BGH, Urt. v. 17.12.2020 - VI ZR 739/20 VersR 2021, 324 Rz. 18 ff.).

Rz. 15

3. Das Berufungsurteil stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

Rz. 16

Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Verjährungseinrede der Beklagten auch nicht bei unterstellter Zumutbarkeit der Klageerhebung in 2015 wegen einer Hemmung der Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB unbegründet. Insoweit fehlt es an ausreichenden tatrichterlichen Feststellungen. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die Verjährung durch eine wirksame Anmeldung des Klägers zu einer Musterfeststellungsklage gehemmt wurde. Wie der Senat bereits entschieden und näher begründet hat, tritt die Hemmungswirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB im Falle eines wirksam angemeldeten Anspruchs grundsätzlich bereits mit Erhebung der Musterfeststellungsklage und nicht erst mit wirksamer Anmeldung des Anspruchs zu deren Register ein, auch wenn die Anspruchsanmeldung selbst erst nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist erfolgt. Dem Kläger ist es auch dann nicht nach § 242 BGB verwehrt, sich auf diesen Hemmungstatbestand zu berufen, wenn er seinen Anspruch ausschließlich zum Zweck der Verjährungshemmung zum Klageregister der Musterfeststellungsklage angemeldet hat (im Einzelnen BGH, Urt. v. 29.7.2021 - VI ZR 1118/20 ZIP 2021, 1973 Rz. 21, 38). Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - keine Feststellungen dazu getroffen, dass vor Ablauf des Jahres 2018 eine Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte erhoben wurde, dass der Kläger die nunmehr streitgegenständlichen Ansprüche wirksam zum entsprechenden Klageregister angemeldet hat (vgl. § 608 Abs. 1, 2 und 4 ZPO) und den Ansprüchen derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage. Dem Revisionsgericht ist es verwehrt, entsprechende Feststellungen zu treffen (vgl. BGH, Urt. v. 29.7.2021 - VI ZR 1118/20 ZIP 2021, 1973 Rz. 20 m.w.N.).

III.

Rz. 17

Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben, sondern ist aufzuheben. Die Sache ist mangels Entscheidungsreife zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 14937618

MDR 2022, 97

VRS 2021, 113

VersR 2022, 1038

BKR 2022, 549

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