LG Krefeld bewertete die Täuschung der Diesel-Käufer als Arglist

Das LG Krefeld hat VW wegen arglistiger Täuschung seiner Kunden zur Rückzahlung des Kaufpreises für einen mit Schummelsoftware ausgestatteten VW Golf verurteilt. Es sprach dem Käufer, der das Fahrzeug bereits weiterverkauft hatte, Schadensersatz zu. Das niedersächsische OLG Braunschweig bewertet das Verhalten von VW allerdings ganz anders. Es bleibt bei einer Flickenteppich-Dieselrechtsprechung und dem Warten auf den BGH.

Die Entscheidung des LG Krefeld korrespondiert mit einer wenig später ergangenen Entscheidung des LG Kiel (LG Kiel, Urteil v. 18.5.2018, 12 O 371/17) und  ist im Ergebnis zwar keine wirkliche Überraschung, aufhorchen lassen jedoch die harschen Worte, die das LG im Hinblick auf das Verhalten des Autoherstellers gegenüber seinen Kunden gefunden hat.

Spezielles abgasreduziertes Motorprogramm auf dem Rollenprüfstand

In dem der Entscheidung des LG Krefeld zu Grunde liegenden Fall hatte der Kläger im September 2012 ein Neufahrzeug VW-Golf Comfortline, BlueMotion 1,6 TDI zum Kaufpreis von  29.910 EUR erworben. Als Motor besaß das Fahrzeug den 1,6 l Dieselmotor vom Typ EA189EU5, dessen Motor-Software zur Optimierung der Stickstoffemissionswerte über ein Abgasrückführsystem mit zwei Betriebsmodi verfügte.

  • Die Software erkennt, ob das Fahrzeug sich im öffentlichen Straßenverkehr oder auf einem Rollenprüfstand bewegt
  • und erzielt durch ein anderes Motorprogramm auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Werte.
  • Nur auf dem Rollenprüfstand erfüllte das Fahrzeug die Euro 5 Abgasnorm, im realen Fahrbetrieb waren die Stickoxid-Werte deutlich höher.

Käufer lehnt Software-Update ab

Etwa drei Jahre nach dem Kauf im Oktober 2015 forderte der Käufer von VW die Rücknahme des Fahrzeugs unter Rückzahlung des Kaufpreises als Schadenersatz abzüglich einer Nutzungsentschädigung für die bisherige Fahrzeugnutzung von immerhin rund 95.000 km (zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung).

VW lehnte ab und verwies auf eine beabsichtigte Rückrufaktion, in deren Rahmen das Problem durch eine neue Software behoben werden sollte. Der Autokäufer verweigerte aber den Einbau des Software-Updates.

Rückgewähranspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung

Das LG sprach dem Kläger einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 20.499,92 EUR zu Zug um Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des Fahrzeugs. Den Anspruch stützte das Gericht auf § 826 BGB, wonach derjenige zum Schadenersatz verpflichtet ist, der einen anderen in gegen die guten Sitten verstoßender Weise vorsätzlich schädigt.

Wertverlust ist nicht Voraussetzung für Schaden

Den Schaden sah das LG im Abschluss eines für den Käufer wirtschaftlich nachteiligen Vertrages mit dem Autohaus.

  • Entscheidend sei dabei nicht, ob der Kauf des Fahrzeuges für den Kläger einen messbaren Vermögensnachteil, beispielsweise durch einen Wertverlust bewirkt hat.
  • Ein Nachteil sei dem Käufer bereits dadurch entstanden, dass er mit der ungewollten Verpflichtung zur Nachrüstung einer neuen Software andernfalls des Risikos des Verlustes der Zulassung belastet sei, die ein Durchschnittskäufer, wenn er dies beim Kauf des Fahrzeugs bereits gewusst hätte, mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht hingenommen hätte.

Ein Durchschnittskäufer eines Fahrzeuges könne und müsse davon ausgehen, dass die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte im Normalbetrieb des Fahrzeugs und nicht nur auf dem Rollenprüfstand mit Hilfe einer Schummelsoftware erreicht werden.

Dies gelte unabhängig davon, ob der Käufer sich im Verkaufsgespräch eine besondere Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs habe zusichern lassen oder nicht (LG Arnsberg, Urteil v. 14.6.2017, 1 O 227/16).

Zum Softwareupdate ist Käufer nicht verpflichtet

Dieser Schaden ist dem Käufer nach Auffassung des LG auch sittenwidrig zugefügt worden. Anknüpfungspunkt für die Sittenwidrigkeit sei hier die Vorgehensweise der Beklagten, nämlich bei den von ihr hergestellten Motoren durch Einbau einer Erkennungssoftware bewirkt zu haben,

  • dass die Testsituation auf einem Abgasprüfstand erkannt und sodann ein Modus eingespielt wird, bei dem die gesetzlichen Grenzwerte eingehalten werden,
  • während in jeder anderen Situation ein Vielfaches des gesetzlich zulässigen Abgasgrenzwertes ausgestoßen wird.
  • Hierdurch sei dem nichts ahnenden Kläger arglistig ein Vermögensschaden zugefügt worden, weil er kein den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes Fahrzeug erhalten habe.
  • Zum Einbau eines umstrittenen Software-Updates sei er im übrigen nicht verpflichtet gewesen. Deshalb habe dem Fahrzeug der Verlust der Zulassung gedroht.

Verwerfliche Täuschung der Käufer allein aus Gewinnstreben

Durch dieses Verhalten sind nach Auffassung des Gerichts mit erheblichem technischen Aufwand gesetzliche Umweltvorschriften ausgehebelt worden. Die daraus zu entnehmende verwerfliche Gesinnung,

  • aus Gewinnstreben massenhaft die Käufer der so produzierten Autos bei ihrer Kaufentscheidung zu täuschen,
  • die Wettbewerber zu benachteiligen
  • und die Umwelt zu schädigen,

lasse das Verhalten insgesamt als sittenwidrig erscheinen. Mit der manipulativen Motorsteuerungssoftware sei ein System zur planmäßigen Verschleierung gegenüber Behörden und Verbrauchern geschaffen worden, mit dem Ziel, Umsatz und Gewinn durch bewusste Täuschung zu steigern  (LG Offenburg, Urteil v. 12.5.2017, 6 O 119/16; LG Kleve, Urteil v. 31.3.2017, 3 O 252/16).

Rechtsfolge: Kaufpreisrückzahlung

Als Rechtsfolge könne der Käufer im Rahmen des Schadenersatzes die Rückgewähr des gezahlten Kaufpreises unter Abzug einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs verlangen. Gerichtet sei der Schadensersatzanspruch auf Ersatz des negativen Interesses, d.h. der Käufer sei so zu stellen, als wenn er den schädigenden Vertrag nicht abgeschlossen hätte (LG Hildesheim, Urteil v. 17.1.2017, 3 O 139/16).

Rückabwicklungsanspruch bei sittenwidriger Schädigung direkt gegen den Hersteller

Schließlich ging das LG auf das Problem ein, dass der Kläger den Kaufvertrag mit einem Autohaus abgeschlossen, aber den Hersteller, der nicht sein unmittelbar Vertragspartner war, verklagt hatte. Dies hinderte den Klageerfolg im vorliegenden Fall aber nicht.

  • Nach Auffassung des LG zielt der Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB zwar grundsätzlich auf die Befreiung einer durch Täuschung eingegangenen vertraglichen Verbindlichkeiten ab und ist von daher grundsätzlich nur gegen den direkten Vertragspartner möglich,
  • ein Schadenersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung könne aber dann gegenüber Dritten bestehen, wenn ohne das Täuschungsverhalten des Dritten – hier des Herstellers - der Schaden nicht entstanden wäre.

Dies sei vorliegend der Fall. Daher richte sich vorliegend der Anspruch aus § 826 BGB auch direkt gegen den Hersteller.

Ca. zwei Drittel des Kaufpreises trotz 95.000 km Laufleistung

Den Rückerstattungsbetrag errechnete die Kammer auf Grundlage der dreijährigen Nutzungsdauer und einer Laufleistung von ca. 95.000 km mit 9.410,08 Euro. Dabei ging das Gericht von einer möglichen Gesamtlaufleistung des Fahrzeuges von 300.000 km aus.

(LG Krefeld, Urteil v. 28.2.2018, 7 O 10/17)

Anmerkung:

Krefeld entscheidet regelmäßig zu Gunsten der Autokäufer, Braunschweig nicht

Das Urteil reiht sich ein in die Reihe einiger weiterer Entscheidungen des LG Krefeld zu Gunsten der Käufer (LG Krefeld, Urteile v. 4.10.17, 2 O 192/16, 2 O 192/16 und 2 O 19/17). Dies entspricht der allgemeinen Tendenz der Landgerichte in diesen Fällen. Aber auch Urteile zu Ungunsten der Käufer sind keineswegs nur Ausnahmen.

So entschied das LG Braunschweig bisher in der Mehrzahl der Fälle zu Gunsten von VW (LG Braunschweig, Urteil v. 3.1.2019, 11 O 1172/18; LG Braunschweig, Urteil v.16.11.2018, 11 O 899/18).

OLG Braunschweig hat MyRight-Klage abgewiesen

Das LG Braunschweig spielt bei Klagen speziell gegen VW als das zuständige Gericht am Sitz des Autoherstellers eine herausragende Rolle und hat über den weitaus größten Teil der eingereichten Klagen zu entscheiden. Daher erwarteten die betroffenen VW-Kunden mit hoher Spannung die für den 19.2. angekündigte Entscheidung des OLG Braunschweig über ein Klageverfahren, bei dem der Rechte-Dienstleister MyRight für einen VW-Kunden wegen der Abgasmanipulationen von VW geklagt hatte. Erstinstanzlich hatte das LG Braunschweig die Klage abgewiesen. Das OLG hat die erstinstanzliche Entscheidung nun bestätigt (OLG Braunschweig, Urteil v. 19.2.2019, 7 U 134/17).

Die Entscheidung des OLG dürfte allerdings nicht das letzte Wort sein. MyRight hat bereits angekündigt, den Rechtstreit dazu nutzen zu wollen, endgültig sämtliche im Zusammenhang mit den Abgasmanipulationen zusammenhängenden Rechtsfragen gerichtlich bis zum BGH klären lassen zu wollen. MyRight und die US-Kanzlei Hausfeld vertreten rund 35.000 VW Kunden.

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