Prüfpflichten einer Autohändlerin bei Schlüsselnachbestellung

Die Nachbestellung und das Inverkehrbringen von Fahrzeugersatzschlüsseln schafft die Gefahr des Missbrauchs durch Unbefugte. Den Vertragshändler trifft eine Verkehrssicherungspflicht, möglichem Missbrauch vorzubeugen.

Die Nachbestellung von angeblich verlorenen Fahrzeugschlüsseln ist eine beliebte Masche organisierter Diebesbanden, um Fahrzeuge auf einfache Weise zu entwenden. Der BGH hat in einer aktuellen Entscheidung die Anforderungen an Kfz-Vertragshändler präzisiert, um einen solchen Missbrauch zu verhindern.

Kasko-Versicherer fordert Regress von Vertragshändlerin

Im konkreten Fall ging es um 4 bei der Klägerin als Kaskoversicherer versicherte Fahrzeuge der Marken Audi und VW. Diese waren ihren Besitzern unter Einsatz echter Ersatzschlüssel entwendet worden. Der Versicherer, der die Eigentümer für den Diebstahl entschädigt hatte, nahm daraufhin eine Audi/VW-Vertragshändlerin auf Schadensersatz in Anspruch, weil diese aus Sicht der Klägerin leichtfertig Ersatzschlüssel an ein litauisches Unternehmen geliefert hatte.

Kfz-Ersatzschlüssel an litauisches Unternehmen geliefert

Das Unternehmen in Litauen war ein sogenannter NORA-Kunde. Dabei handelt es sich um bevorzugte und rabattberechtigte Käufer von VW- und Audi-Fahrzeugen, ohne jedoch den Status eines Vertragshändlers zu haben. Die Bestellung der Ersatzschlüssel bei der Beklagten durch das litauische Unternehmen erfolgte unter Mitteilung der Fahrzeugidentifikationsnummern, woraufhin die Beklagte die Ersatzschlüssel bei der V-AG anforderte und nach Erhalt an das litauische Unternehmen weiterleitete.

Verkehrssicherungspflicht bei Bestellung von Kfz-Ersatzschlüsseln

Mit dieser Vorgehensweise hat die Beklagte nach Auffassung des BGH ihre Verkehrssicherungspflichten verletzt. Diese bestehen bei der Nachbestellung von Fahrzeugschlüsseln insbesondere in Prüf- und Kontrollpflichten. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, bei solchen Nachbestellungen Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, eine Schädigung der Fahrzeugeigentümer nach Möglichkeit zu verhindern.

Ersatzschlüssel schaffen besondere Gefahrenlage

Nach Auffassung des BGH bot die bloße Mitteilung der Fahrzeugidentifikationsnummern durch das litauische Unternehmen keine hinreichende Gewähr für die Berechtigung der Anforderung von Ersatzschlüsseln. Die Überlassung von Ersatzschlüsseln schaffe eine besondere Gefahrenlage für die Eigentümer. Die Beklagte als Vertragshändlerin hätte daher besondere Vorkehrungen treffen müssen, um das Risiko der Verwendung von Ersatzschlüsseln durch Unbefugte zu minimieren.

Beklagte hätte Berechtigungsnachweise fordern müssen

Nach Auffassung des BGH wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, Nachweise über die Berechtigung der Schlüsselanforderung zu verlangen, etwa in Form von Auftragsschreiben der betroffenen Fahrzeughalter nebst Ausweispapieren, Zulassungsbescheinigungen, Nachweise in Form von Mitteilungen der Eigentümer über den Verlust oder einen Defekt der Erstschlüssel.

Grenzen der Verkehrssicherungspflicht

Der BGH betonte auch, dass die Verkehrssicherungspflicht nicht so weit gehe, dass jede denkbare Gefahrenquelle beseitigt werden müsse. Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht richte sich nach den üblichen Gepflogenheiten und Erwartungen der beteiligten Verkehrskreise. Dass die betroffenen Verkehrskreise im konkreten Fall von der Beklagten eine erhöhte Sorgfalt erwarten durften, ergibt sich nach der Entscheidung des BGH bereits aus den Empfehlungen der V-AG zur Vorgehensweise und Dokumentation bei Ersatzschlüsselbestellungen. Diese sehen besondere Vorkehrungen zur Vermeidung von Missbrauch vor. Die Vorgehensweise der Beklagten habe diesen Empfehlungen nicht entsprochen.

NORA-Unternehmen ohne eigene Prüfpflichten

Die Tatsache, dass es sich bei dem litauischen Unternehmen um einen NORA-Kunden handelte, ändere an dieser Sorgfaltspflicht nichts, so der BGH. NORA-Kunden genössen zwar gewisse Privilegien und könnten besondere Rabatte in Anspruch nehmen. Sie seien aber nicht in das Vertragshändlersystem der V-AG eingebunden und genössen auch keinen herausgehobenen Vertrauensstatus. Insbesondere träfen sie keine eigenen Prüfungspflichten bei der Nachbestellung von Ersatzschlüsseln. Die Beklagte habe daher auch nicht davon ausgehen können, dass das litauische Unternehmen die Berechtigung der Besteller bereits selbst geprüft habe.

Verletzung der Verkehrssicherungspflicht kausal für Schaden

Schließlich sei auch davon auszugehen, dass die Schlüssel im konkreten Fall zur Entwendung der betroffenen Fahrzeuge verwendet worden seien. Die entwendeten Fahrzeuge seien teilweise in Zerlegehallen aufgefunden worden. Dort seien auch Belege über die Schlüsselbestellungen sowie einige der Schlüssel aufgefunden worden.

Beklagte muss zahlen

Der BGH kam daher zu dem Ergebnis, dass die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflichten verletzt und die Vorinstanz diese zurecht zum Schadenersatz verurteilt hatte.

(BGH, Urteil v. 28.3.2023, VI ZR 19/22)


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