Geisterfahrende Radlerin verliert ihr Recht auf Vorfahrt nicht
Die Klägerin, eine 59 Jahre alte Frau, fuhr auf ihrem Fahrrad auf dem Fahrradweg einer bevorrechtigten Straße – allerdings in falscher Richtung. An einer Kreuzung kam es zum Zusammenstoß mit einem 14-jährigen Jungen, der mit seinem Fahrrad aus einer verkehrsberuhigten Straße nach rechts auf den Radweg einbiegen wollte.
13.000 Euro Schmerzensgeld
Ergebnis: Die Frau stürzte – Schien- und Wadenbeinbruch, stationäre Behandlung mit anschließender Reha. Sie klagte auf Schmerzensgeld in Höhe von 13.000 Euro sowie materiellen Schadensersatz.
- Das Landgericht entschied auf eine Mitschuld der Klägerin von 50 Prozent.
- Das Fahren in falscher Richtung sei mindestens ebenso hoch zu gewichten wie die Tatsache, dass der 14-Jährige nicht ausreichend auf den Vorfahrtsberechtigten geachtet habe.
Schwerer Verstoß gegen Sorgfaltspflicht
Das OLG Hamm wertete die Haftungsfrage anders: Zwei Drittel Haftungsquote für den 14-Jährigen und nur ein Drittel Mitschuld für die geisterfahrende Frau. Begründung: Der jugendliche Radler habe gegen seine Sorgfaltspflicht besonders schwer verstoßen.
- Er sei verpflichtet gewesen, auf den bevorrechtigten Verkehr auf dem Radweg zu achten
- und hätte sich dementsprechend umsichtig verhalten müssen.
- Aus welcher Richtung der bevorrechtigte Querverkehr komme, spiele in diesem Zusammenhang keine Rolle.
Vorfahrtsrecht bleibt trotz falscher Fahrtrichtung
Das bedeutet, dass der Schutz des § 10 StVO für die Klägerin nicht entfällt, auch wenn sie den Fahrradweg in der falschen Richtung befahren hat. Zwar hat sie gegen § 2 Abs. 4 StVO verstoßen, indem sie auf dem Fahrradweg in falscher Richtung unterwegs war. Für ihr Vorfahrtsrecht war dieser Verstoß nach Ansicht des Gerichts allerdings unerheblich.
Der Vorrang des fließenden Verkehrs steht nämlich in den Fällen des § 10 StVO grundsätzlich den Benutzern der gesamten Fahrbahn zu. Das bedeutet: Selbst ein Radfahrer, der auf einem Radweg als Geister-Radler unterwegs ist, hat Vorrang.
Mitschuld von einem Drittel für Geisterfahrerin
Eine Mitschuld von einem Drittel trägt die Klägerin dennoch. Sie habe die Gefahrensituation voraussehen können, nachdem sie den Radweg vorsätzlich in der für sie nicht freigegebenen Richtung befahren habe. Deshalb habe sie auch nicht darauf vertrauen dürfen, dass ihr grundsätzliches Vorfahrtsrecht beachtet werde.
Da die Einmündung aus dem verkehrsberuhigten Bereich auch noch schlecht einsehbar gewesen sei, hätte sie zumindest ihre Fahrweise so wählen müssen, dass sie einem von links kommenden Fahrzeug ausweichen hätte können. Ein Mitverschulden von einem Drittel sei deswegen angemessen.
(OLG Hamm, Urteil v. 6.6.2014, 26 U 60/13)
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