NSU: Beate Zschäpe hat Revision gegen ihre Verurteilung eingelegt

Die Verteidiger der lebenslänglich Verurteilten haben Rechtsmittel eingelegt und auch die Angehörigen der Opfer werden sich allein mit der Verurteilung Zschäpes zu einer lebenslangen Haftstrafe nicht zufrieden geben. Zu viele Fragen über mögliche Hintermänner und Unterstützer und auch zur Rolle des Verfassungsschutzes sind noch ungeklärt. Das Kapitel NSU ist noch nicht abgeschlossen.

Zschäpes Anwalt wird sich wohl noch einige Zeit gedulden müssen, um seine Revision zu begründen. Mit der schriftlichen Abfassung des Urteils durch das OLG München dürfte in diesem Jahr nicht mehr zu rechnen sein. Der Vorsitzende Richter Götzl wird sicher einige Mühe darauf verwenden, sein schriftliches Urteil revisionsfest zu begründen. 91 Wochen Zeit hat das Gericht für die Urteilsbegründung nach den Regeln der StPO. Da der Vorsitzende Richter Mitte des Jahres 2019 in den Ruhestand geht, dürfte das Urteil aber spätestens bis dahin fertig sein.

Rechtlich liegt der Fokus auf der Abgrenzung von  Mittäterschaft und Beihilfe

Ganz einfach dürfte die Begründung nicht werden, stellt doch gerade der dritte Senat des BGH, der über die Revision zu entscheiden haben wird, hohe Anforderungen an die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme und genau um diese dürfte es im Revisionsverfahren ganz wesentlich gehen. Denn immerhin hat das Gericht die Hauptangeklagte Beate Zschäpe u.a. wegen Mittäterschaft an 10 Morden verurteilt, obwohl die Angeklagte selbst an keinem einzigen Tatort war und auch keinen einzigen Schuss abgegeben hat.

Das ist der Urteilstenor gegen Zschäpe

Der Schuldspruch lautet auf

  • Mord in 9 Fällen,
  • versuchter Mord in 32 Fällen (Nagelbombenattentate in der Kölner Keupstrasse),
  • Sprengstoffanschlag (in der Probsteigasse),
  • Mord und Mordversuch an zwei Polizeibeamten in Heilbronn,
  • schwere Brandstiftung durch Anzünden ihrer Wohnung in Zwickau in Tateinheit mit versuchtem Mord (88-jährige Nachbarin),
  • Begehung mehrerer Banküberfälle
  • sowie Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt).

Außerdem stellte das Gericht die besondere Schwere der Schuld fest.

Zschäpe war der Fixpunkt der Terrorzelle

Das Gericht hat die Mittäterschaft auf die arbeitsteilige Beteiligung der Angeklagten an den Morden und auf ihre Organisationsmacht gestützt. Zschäpe habe die Morde als eigene Taten gewollt und habe die Taten mit den bereits verstorbenen Tätern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gründlich vorbereitet und geplant. Das Gericht hat eine ganze Reihe von Indizien für das Eigeninteresse der Angeklagten an den einzelnen Morden aufgelistet.

  • Sie sei die nach außen harmlose unverdächtige Erscheinung und gleichzeitig der Fixpunkt des Gesamtverbandes gewesen.
  • Sie habe durch das Anzünden der Wohnung in Zwickau zum Zwecke der Vernichtung von Beweismaterial sowie
  • durch die Veröffentlichung des Vermächtnisses der verstorbenen Mittäter Mundlos und Böhnhardt im Internet
  • nachhaltig gezeigt, dass sie von Anfang an Mitinitiator der Taten gewesen sei
  • und diese maßgeblich auch als eigene Taten geplant und gewollt habe.

Argumentation des Urteils ist juristisch ein Drahtseilakt

Die Schlussfolgerung des Gerichts wirft zumindest insoweit Fragen auf, als das Anknüpfungsverhalten Zschäpes für ihre Mttäterschaft an den Morden den Taten des NSU zumindest teilweise zeitlich nachgeordnet ist und die Rückschlüsse auf die Förderung der Taten des NSU durch die Angeklagte einer „Ex nunc-Betrachtung“ entspringen.

Ein "historischer Prozess ohne historisches Urteil"?

Dies ist das Fazit der Journalistin der Süddeutschen Zeitung, Annette Ramelsberger. Sie beklagt, dass es dem Gericht nicht gelungen sei, die gesellschaftliche Bedeutung des Prozesses in angemessener Weise herauszustellen. Dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl wirft sie vor, ein „Technokrat des Rechts“ zu sein und damit die Chance zur gesamtgesellschaftlichen Aufarbeitung dieses historischen Strafrechtsfalls versäumt zu haben.

Hier stellt sich allerdings die Frage, ob die Erwartungen an diesen Prozess nicht von Anfang an zu hoch geschraubt waren.

  • Eine historische Aufarbeitung und Wiedergutmachung kann ein Strafprozess nur begrenzt leisten.
  • Die Aufgabe des Gerichts besteht juristisch allein darin, den zur Anklage gestellten Sachverhalt umfassend und schnellstmöglich aufzuklären,
  • die Schuld der Angeklagten festzustellen und
  • die angemessenen Sanktionen hierfür zu finden.

Zur Erreichung dieses Zwecks war der technokratische Ansatz vielleicht gar nicht so verfehlt.

Reue lohnt sich nicht, Schweigen umso mehr?

An der Angemessenheit des Sanktionen sind allerdings nach dem Urteil ebenfalls Zweifel aufgekommen. Dem unbefangenen Beobachter erschloss sich nämlich die Höhe der seitens des Gerichts für die übrigen Angeklagten verhängten Strafen zwischen zweieinhalb und zehn Jahren Haft zumindest nicht auf den ersten Blick.

  • So wurde Carsten Schultze - der einzige Angeklagte, der überzeugend seine Unterstützung für den NSU tief bereut hat und für den selbst Opfer-Anwälte eine milde Strafe gefordert hatten - zu drei Jahren Jugendhaft verurteilt,
  • während der nach wie vor seine nationalsozialistischen Überzeugungen präsentierende Angeklagte Andre Eminger - der die Tattoos „Die Jew Die“ sowie einen SS-Totenkopf auf dem Bauch stolz öffentlich zeigt - noch in der mündlichen Verhandlung auf freien Fuß gesetzt wurde.
  • Die Lehre für die rechtsradikale Szene daraus dürfte die sein, dass hartnäckiges Schweigen - wie von Eminger während des gesamten Prozesses konsequent praktiziert - lohnender ist als jede Bekundung von Reue.


Der Prozess endete mit Applaus und Jubel für den rechtsradikalen Eminger als der Richter hinsichtlich der gegen ihn erhobenen Mordvorwürfe Freispruch verkündete. Seither wird Eminger in der rechten Szene als Held gefeiert, der seinen Überzeugungen treu geblieben sei.

Der Generalbundesanwalt will weiter ermitteln

Sowohl die Bundesregierung als auch der Generalbundesanwalt Peter Frank haben nach dem Urteil beteuert, dass die Aufarbeitung der NSU-Taten mit dem Urteil nicht vorbei sei. Der Generalbundesanwalt hat angekündigt, die NSU-Akte werde noch lange nicht geschlossen. Allerdings hat der Teilfreispruch für den engen NSU-Vertrauten Eminger nach Meinung von Beobachtern die künftige Verurteilung weiterer Helfer, die gößtenteils ein weniger enges Verhältnis zu den NSU-Mitgliedern hatten, nicht unbedingt wahrscheinlicher macht.

Wie lange muss Beate Zschäpe "sitzen"?

Wie lange dauert lebenslang? Im Normalfall mindestens 15 Jahre – lautet die Antwort.

  • Ein Gericht prüft nach 15 Jahren, ob der Rest der Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
  • In der Regel schätzt ein psychiatrischer Gutachter ein, ob die Gefahr eines Rückfalls besteht.
  • Häufig wird der Täter dann entlassen mit einer fünfjährigen Bewährungszeit.
  • Bei Feststellung der besonderen Schwere der Schuld – wie im Fall Zschäpe -  entscheidet die Strafvollstreckungskammer vor Ablauf der 15 Jahre über die endgültige Mindesthaftdauer. Häufig sind das dann um die 18 Jahre.
  • Gesetzlich ist dies aber nicht geregelt. Beim RAF-Terroristen Christian Klar wurden 26 Jahre festgesetzt.

Zschäpes wirkliche Haftzeit ist also noch ungewiss und die Revision muss das Urteil ja erst auch noch überstehen.

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