Die Videoaufzeichnung der Hauptverhandlung in Strafsachen kommt

Bereits Ende November 2022 hat das BMJ einen Refe­ren­ten­ent­wurf zur Video- und Tonauf­zeich­nung der Haupt­ver­hand­lung im Straf­ver­fahren vor­ge­legt. Die Umset­zung scheint nach unterschiedlichen Reaktionen der Fachverbände ins Stocken geraten zu sein. Wahrscheinlich kommt nun eine abgespeckte Version zum Zuge: Die digitale Audio-Dokumentation.

Der 1. Entwurf des sog. Hauptverhandlungsdokumentationsgesetzes betrifft sämt­liche straf­recht­li­chen Haupt­ver­hand­lungen, die erst­in­stanz­lich vor dem Ober­lan­des­ge­richt oder dem Land­ge­richt durch­ge­führt werden. In Zukunft müsste hiernach die Haupt­ver­hand­lung in Bild und Ton kom­plett auf­ge­zeichnet werden. Während die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) sich vehement für eine umgehende Umsetzung des Gesetzentwurfes ausgesprochen hat, kamen insbesondere aus der Richterschaft erhebliche Bedenken.

Digi­tale Doku­men­ta­tion als Ergän­zung zum Haupt­ver­hand­lungs­pro­to­koll

Die digi­tale Inhalts­do­ku­men­ta­tion soll das Haupt­ver­hand­lungs­pro­to­koll nicht ersetzen, sondern ergänzen. Sie tritt neben das Haupt­ver­hand­lungs­pro­to­koll und ent­faltet keine unmit­tel­baren pro­zes­sualen Wir­kungen. Die Funk­tion besteht darin, für die Ver­fah­rens­be­tei­ligten ein ver­läss­li­ches, objek­tives und ein­heit­li­ches Hilfs­mittel für die Auf­be­rei­tung und Bewer­tung des Haupt­ver­hand­lungs­ge­sche­hens zur Ver­fü­gung stellen. Daneben bleibt die for­melle Beweis­kraft des Haupt­ver­hand­lungs­pro­to­kolls erhalten. Der Auf­zeich­nung und dem Transkript kommt im Hin­blick auf ein Revi­si­ons­ver­fahren dem­ge­gen­über kein Pro­to­koll­cha­rakter zu. Aller­dings ermög­licht § 274 Abs. 2 StPO-E eine Berich­ti­gung des Haupt­ver­hand­lungs­pro­to­kolls anhand der Auf­zeich­nungen.

Problem des Schutzes der Per­sön­lich­keits­rechte

Befürch­tungen aus der Justiz, durch die Auf­zeich­nungen bei­spiels­weise von per­sön­li­chen Ver­neh­mungen könnten Per­sön­lich­keits­rechte der Betrof­fenen ver­letzt werden, nahm der Gesetz­geber schon im 1. Referentenentwurf ernst. Der Gefahr, dass auf­ge­zeich­neten Per­sonen bei­spiels­weise in sozialen Netz­werken an den Pranger gestellt oder bedroht werden, soll durch beson­dere Schutz­maß­nahmen zur Wahrung der Per­sön­lich­keits­rechte der Betrof­fenen begegnet werden. Gemäß § 273 Abs. 1 StPO-E hat die Auf­zeich­nung grund­sätz­lich unter Berück­sich­ti­gung der Per­sön­lich­keits­rechte der auf­ge­zeich­neten Person zu erfolgen. Diesem Grund­satz soll unter anderem durch tech­ni­sche Maß­nahmen wie der Wahl von Kamera- oder Auf­nah­me­per­spek­tive Rech­nung getragen werden.

Bedenken aus der Richterschaft

Die Richterschaft sieht ihre Bedenken durch diese Maßnahmen nicht ausgeräumt. Sie fürchtet darüber hinaus erhebliche organisatorische Mehrbelastungen. Auch die Ausstattung der Gerichtssäle mit der entsprechenden Technik erfordere umfassende, kostenintensive Maßnahmen.

2. Referentenentwurf sieht nur Audioaufzeichnung vor

Vor diesem Hintergrund ist das BMJ auf der Grundlage der Empfehlung einer eigens eingesetzten Expertenkommission nunmehr zurückgerudert und sieht in einem geänderten 2. Referentenentwurf obligatorisch lediglich die digitale Dokumentation der Hauptverhandlung in Form einer Audioaufzeichnung vor, während die Videoaufzeichnung als fakultative Option freigestellt bleiben soll.

Unbe­fugte Ver­öf­fent­li­chung wird bestraft

Flan­kie­rend wird zum Schutz der Per­sön­lich­keits­rechte die neue Straf­vor­schrift des § 353d Nr. 4 StGB-E ein­ge­führt. Damit soll das Ver­breiten und die Ver­öf­fent­li­chung von im Ermitt­lungs­ver­fahren oder in der Haupt­ver­hand­lung erstellten Bild­tonauf­zeich­nungen unter Strafe gestellt werden.

Beschleu­ni­gungs­grund­satz geht Doku­men­ta­ti­ons­pflicht vor

Bei tech­ni­schen Stö­rungen hat der Beschleu­ni­gungs­grund­satz Vorrang vor der neuen Doku­men­ta­ti­ons­pflicht. So soll das Tat­ge­richt im Fall tech­ni­scher Auf­zeich­nungs­pro­bleme nicht an der Fort­set­zung der Haupt­ver­hand­lung gehin­dert sein, § 273 Abs. 2 StPO-E. In diesem Fall wird die Über­prüf­bar­keit der Haupt­ver­hand­lung durch das auf­zu­neh­mende For­mal­pro­to­koll gewähr­leistet.

Obli­ga­to­ri­sche Löschung der Auf­zeich­nungen nach Ver­fah­rens­ab­schluss

Die Auf­zeich­nungen sind zu löschen, wenn das Ver­fahren rechts­kräftig abge­schlossen oder auf sons­tige Weise beendet ist, § 273 Abs. 4 StPO-E. Der Vor­sit­zende kann eine dar­über­hin­aus­ge­hende Spei­che­rung anordnen, wenn die Nutzung der Auf­zeich­nungen in einem anderen Straf­ver­fahren zu erwarten ist.

Ver­wen­dung der Auf­zeich­nungen in anderen Ver­fahren nur mit Ein­wil­li­gung

In anderen gericht­li­chen oder behörd­li­chen Ver­fahren als Straf­ver­fahren dürfen Auf­zeich­nungen der Angaben von Ange­klagten, Zeugen und Neben­klä­gern nur mit Ein­wil­li­gung der Betrof­fenen ver­wendet werden, § 273 Abs. 5 StPO-E.

Zeit­nahe Zugriffs­mög­lich­keit für die Ver­fah­rens­be­tei­ligten

Gemäß § 273 Abs. 6 StPO-E erhalten die Staats­an­walt­schaft, der Ver­tei­diger und der anwalt­liche Ver­treter der Geschä­digten nach jedem Ver­hand­lungs­ver­trag unver­züg­lich Zugang zur jewei­ligen Auf­zeich­nung und dem dazu­ge­hö­rigen Tran­skript. Durch diese zeit­nahe Zugriffs­mög­lich­keit soll den Ver­fah­rens­be­tei­ligten eine Grund­lage u. a. für präzise Vor­halte oder zur Vor­be­rei­tung ihrer Plä­doyers an die Hand gegeben werden. Auch nicht durch Rechts­an­wälte ver­tre­tene Ver­fah­rens­be­tei­ligte sollen befugt sein, nach jedem Ver­hand­lungstag die Auf­zeich­nungen in Dienst­räumen unter Auf­sicht ein­zu­sehen.

Gro­ß­zü­gige Pilo­tie­rungs­phase

Zur Umset­zung der digi­talen Pro­to­kol­lie­rung der Haupt­ver­hand­lung will der Gesetz­geber den Ländern eine gro­ß­zü­gige Pilo­tie­rungs­phase bis zum 1.1.2030 einräumen. Damit soll den Ländern ein aus­rei­chender Vorlauf zur Vor­be­rei­tung und Beschaf­fung der erfor­der­li­chen Hard- und Soft­ware ein­ge­räumt werden. Dabei wird berück­sich­tigt, dass die Pilo­tie­rungs­phase zur Ein­füh­rung der elek­tro­ni­schen Akte in Straf­sa­chen, die eben­falls erheb­liche Res­sourcen bindet, am 1.1.2026 endet. Daneben muss der Staat die erfor­der­li­chen Mittel zur tech­ni­schen Aus­stat­tung der Ver­hand­lungs­säle bereit­stellen.

Digi­tale Doku­men­ta­tion bei Staats­schutz­daten bis spä­tes­tens zum 1.1.2026

Eine Son­der­re­ge­lung soll es für die Haupt­ver­hand­lung vor dem Staats­schutz­senat der Ober­lan­des­ge­richte geben, soweit diese in Aus­übung von Gerichts­bar­keit des Bundes zuständig sind. Hier soll die digi­tale Doku­men­ta­ti­ons­pflicht bereits ab 1.1.2026 gelten, § 271 Abs. 2 StPO-E.

2. Referentenentwurf stößt auf breitere Zustim­mung

 Die Zustimmung zum neuen 2. Referentenentwurf fällt deutlich breiter als bisher aus. Auch die Anwaltschaft könnte sich wohl mit den dort enthaltenen Abstrichen gegenüber dem 1. Entwurf anfreunden, sofern die Neuregelung zeitnah umgesetzt wird. Auch die reine Audio-Dokumentation wäre ein erheblicher Fortschritt gegenüber dem unbefriedigenden Ist-Zustand und böte den Verfahrensbeteiligten eine sichere Grundlage sowohl für Verfahrensanträge und Verfahrensrügen als auch Richtern für die Urteilsabfassung. Darüber hinaus wäre die Audio-Dokumentation mit wesentlich geringerem technischen Aufwand verbunden und damit wohl auch schneller umzusetzen. Die BRAK jedenfalls betont dringenden, zeitnahen Handlungsbedarf.

Schlagworte zum Thema:  Strafprozessordnung, Strafverfahren