BVerfG zeigt die Grenzen beim Recht auf Vergessen (werden) auf

Das Recht auf Vergessen, soll als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch davor schützen, dass alte Informationen über Personen online dauerhaft zugänglich bleiben und über Suchmaschinen abrufbar sind. Das BVerfG zeigte kürzlich Grenzen dieses Rechts auf: Es sein kein Recht, öffentlich so wahr genommen zu werden, wie man es wünscht.

Das sog. Recht auf Vergessen beruht auf dem Allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat durch die Begründung der Nichtannahme eine Verfassungsbeschwerde in einem Streit die Grenzen dieses Rechts nochmals beleuchtet.

BVerfG entschied zu Gunsten des Presserechts an unveränderten Beiträgen

In dem jetzt veröffentlichten Beschluss begründete es eine Einschränkung des "Rechts auf Vergessen" u.a. damit, dass das grundsätzliche Interesse von Presse und Öffentlichkeit an inhaltlich nicht veränderten Presseberichten gegenüber möglichen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers auch überwiegen kann.

Google-Suche nach dem Kläger lenkt immer noch auf uralte Berichte über seinen Vater 

Beschwerdeführer in dem Verfahren ist ein Rechtsanwalt, der sich gegen einen im Internet abrufbaren Artikel eines großen deutschen Nachrichtenmagazins aus dem Jahr 1978 wehrt. Bei dem von ihm so beanstandeten Artikel handelt es sich um ein Porträt des Vaters des Beschwerdeführers, der zum damaligen Zeitpunkt Oberbürgermeister einer Großstadt in Bayern war.

 Dieser Artikel, in dem auch der Name des Sohnes erwähnt wird, taucht bis heute in der Trefferliste von Google auf, sofern hier der Name des Beschwerdeführers in das Suchfenster eingegeben wird. Der Rechtsanwalt will in der Öffentlichkeit jedoch nicht als Sohn mit dem ehemaligen Bürgermeister in Verbindung gebracht werden.

Erfolglose Klage auf Entfernung seines Namens aus dem Presseporträt des Vaters

Um sein Ziel zu erreichen, hatte er zunächst eine Unterlassungsklage gegen den Verlag angestrengt, um die Nennung seines Namens in dem Artikel rückgängig zu machen. Mit seiner Klage war der Anwalt vor drei Jahren beim Hanseatischen Oberlandesgericht gescheitert, woraufhin er Verfassungsbeschwerde einreichte. Diese hat die 2. Kammer des Ersten Senats jetzt nicht zur Entscheidung angenommen.

Wie weit geht der Schutz gegenüber personenbezogenen Berichterstattung?

In ihrer Begründung weisen die Verfassungsrichter darauf hin, dass das Allgemeine Persönlichkeitsrecht zwar einen Schutz vor einer personenbezogenen Berichterstattung biete, die geeignet sei, die Persönlichkeitsentfaltung erheblich zu beeinträchtigen. Der Schutz gewährleiste aber, auch in Gestalt des Rechtes auf Vergessenwerden,  nicht das Recht,

„öffentlich so wahr genommen zu werden, wie es den eigenen Wünschen entspricht.“

Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleiste, auch für die Kinder prominenter Personen, keine Recht auf eine einseitig durch die Betroffenen bestimmte Selbstdefinition

Schutz der unveränderten Bereitstellung zulässig veröffentlichter Berichten

Zu beachten sei ebenfalls das grundrechtliche Interesse der Presse oder anderer von Inhalteanbieter an einer grundsätzlich unveränderten Zurverfügungstellung ihrer Beiträge in einem online öffentlich zugänglichen Archiv und das allgemeine Interesse der Öffentlichkeit an der Verfügbarkeit dieser Informationen. Diese gewichtete das Gericht hier höher, als das Interesse des Klägers, das sein Name bei einer Internetrecherche nicht im Kontext dieses alten Berichts auffindbar ist. Zudem gehen die Richter davon aus, dem Beschwerdeführer drohten durch die Zugänglichkeit der Information, dass er das Kind des ehemaligen Oberbürgermeisters ist, keine erheblichen negativen Folgen.

Auch wenn, – wie vorliegend – die ursprüngliche rechtliche Zulässigkeit der Veröffentlichung nicht geklärt sei, wären die Gerichte nicht gehindert, diese Frage offen zu lassen und hiervon unabhängig eine Abwägung vorzunehmen.

Nicht vergleichbar mit Fällen der Verurteilung mit schweren Straftaten

Insbesondere sei dieser Fall deutlich anders zu bewerten als etwa solche Fälle, bei denen es um die Berichterstattung über schwere Straftaten oder anderes Fehlverhalten gehe. So hatte etwa der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts erst Ende letzten Jahres entschieden, dass die Nennung des Namens eines 1982 wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilten Mannes in einem archivierten und online zugänglichen Zeitschriftenartikel stigmatisierend sei und damit gegen das Persönlichkeitsrecht verstoße (BVerfG, Beschluss v. 6.11.2019,  1 BvR 16/13).

Beitrag erscheint bei Google-Suche auch erst relativ weit hinten

Zudem sei eine Löschung oder ein Verbergen der persönlichen Daten auch deshalb nicht zwingend, weil der beanstandete Artikel bei der Google-Suche erst relativ weit hinten in der Trefferliste (im Bereich der Plätze 40 bis 50) auftauche. Es sei daher nicht erkennbar, dass Personen ohne intensive Rechercheabsicht in einer persönlichkeitsverletzenden Weise auf den Bericht und damit auf das Kindschaftsverhältnis hingelenkt würden. 

(BVerfG, Beschluss v. 25. 2. 2020, 1 BvR 1282/17).

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Hintergrund: Kein Verfügungsrecht über Darstellung der eigenen Person

Es folgt aus dem Persönlichkeitsrecht nicht ein allein dem Einzelnen überlassenes umfassendes Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person. Es zielt jedoch darauf, die Grundbedingungen dafür zu sichern, dass die einzelne Person ihre Individualität selbstbestimmt entwickeln und wahren kann. Daher steht an seinem Ausgangspunkt das Recht jeder Person, selbst darüber zu entscheiden, ob, wann und wie sie sich in die Öffentlichkeit begibt. Dementsprechend schützt das Persönlichkeitsrecht grundsätzlich vor dem heimlichen Abhören, der Verbreitung von Fotos aus dem zurückgezogenen Lebensbereich oder vor dem Unterschieben nichtgetätigter Äußerungen. Für die Frage, welche Informationen, die Dritten oder der Öffentlichkeit zugänglich geworden sind, Gegenstand weiterer gesellschaftlicher Kommunikation sein können, sind die Rechtfertigungslasten dabei im Spannungsfeld von Schutz und Freiheit verschieden verteilt. Die Abwägung ist damit letztlich nicht von einer übergreifenden Vorrangregel geleitet, sondern auf eine abgestufte Balance zwischen Freiheitsvermutung und Schutzanspruch hin orientiert (BVerfG Beschluss v. 06.11.2019, 1 BvR 16/13).