Versäumnisurteil trotz versprochener Terminsverlegung

Hat eine Richterin einem Anwalt telefonisch zugesichert, einen Gerichtstermin ein zweites Mal zu verschieben, und findet die mündliche Verhandlung dann trotzdem an dem ursprünglich anberaumten Termin statt, gilt die Säumnis der Partei als entschuldigt. Laut BGH durfte der Anwalt auf die telefonische Zusage der Richterin vertrauen.

Vorgeschichte: In dem Fall war eine Firma von einem Dienstleister auf 892,50 Euro verklagt worden. Der Dienstleister hatte zunächst einen Mahn- und im Anschluss daran einen Vollstreckungsbescheid gegen die Firma erwirkt, die hiergegen rechtzeitig Einspruch eingelegt hat.

Schon der erste Termin war auf Antrag verlegt worden

Erneuter Termin-Verlegungswunsch

Unter dem 3.7. hat der Anwalt der Beklagten eine erneute Verlegung des Termins mit der Begründung beantragt, die Geschäftsführerin der Beklagten wolle den Termin persönlich wahrnehmen, halte sich zu diesem Zeitpunkt aber beruflich im Ausland auf.

Mit Schreiben vom 7.7. hat das Amtsgericht den Parteien mitgeteilt, dass eine Verlegung auf den 24.10. in Betracht komme und um Stellungnahme binnen einer Woche gebeten.

Gericht hatte Terminsverlegung zugesagt

Zudem hat die Richterin eine Wiedervorlage der Gerichtsakte in zwei Wochen mit dem Hinweis

 „Termin verlegen“

verfügt.

  • Am 9.7. hat der Anwalt der Beklagten mit der zuständigen Richterin telefoniert, die ihm zusicherte, den Termin entsprechend zu verlegen.
  • Der Klägervertreter hat mit Schriftsatz vom 13.7. sein Einverständnis mit der Verlegung erklärt.
  • Unter dem 15.7. ist in der Akte eine Wiedervorlage

 „zur Frist gestr. Bl. 102 (Termin verlegen)“

verfügt.

Überraschung! Termin fand aber trotzdem statt

Zu einer Verlegung des Termins ist es nicht gekommen. In einem – von der zuständigen Richterin nicht unterzeichneten – Vermerk vom 26.9. heißt es sinngemäß, dass eine Umterminierung in Aussicht gestellt worden, die aus diesem Grund verfügte Wiedervorlage der Akte aber nicht erfolgt und dies bei der Terminvorbereitung nicht aufgefallen sei.

Der für den 26.9. anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung hatte dann doch stattgefunden.

Versäumnisurteil auf überraschend nicht verlegten Termin

Für die Beklagte erschien auf dem Termin niemand. Auf Antrag des Klägers hat das Amtsgericht Berlin-Tempelhof-Kreuzberg daraufhin den Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid durch zweites Versäumnisurteil verworfen.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung hat die Beklagte die Aufhebung dieses Urteils beantragt, weil ein Fall unverschuldeter Säumnis vorliege.

Berufungsgericht zeigt sich von Versprechung unbeeindruckt

Das Berufungsgericht lehnte das Aufheben des Urteils ab. Begründung: Der Anwalt der Beklagten habe gegen die prozessuale Sorgfaltspflicht verstoßen.

  • Der für den 26.9. anberaumte Termin sei weder aufgehoben noch verlegt worden,
  • so dass zumindest der Anwalt hätte erscheinen müssen. Dabei sei unerheblich, ob er ohne die Anwesenheit der Geschäftsführerin zur Sache inhaltlich habe Stellung nehmen können.
  • Im Übrigen habe der Anwalt nicht allein aufgrund einer mündlichen Zusicherung und ohne entsprechende Ladung davon ausgehen dürfen, dass der Termin verlegt worden sei.
  • Vielmehr habe er sich persönlich erkundigen  und gegebenenfalls einen erneuten Terminverlegungsantrag stellen müssen. 

BGH: Vertrauen ist Bestandteil eines fairen Verfahrens

Diesem anspruchsvollen Konzept widersprach der Bundesgerichtshof.

Auf der Grundlage des Gebots eines fairen Verfahrens sei grundsätzlich davon auszugehen, dass die Versäumnis eines Termins dann als entschuldigt anzusehen ist, wenn die Partei und ihr Prozessbevollmächtigter auf die erfolgte Stattgabe eines Verlegungsantrags vertrauen dürfen.

Das sei vorliegend der Fall. Deshalb habe der Anwalt der Beklagten entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nach dem Telefongespräch mit der Richterin den Termin am 26.9. nicht auch ohne die Mandantin wahrnehmen oder jedenfalls zuvor nochmals bei Gericht nachfragen müssen.

„Er konnte und durfte vielmehr aufgrund der mündlichen Äußerungen der zuständigen Richterin von einer Verlegung des Verhandlungstermins ausgehen"

Darabn änderte es nichts, dass es zu dieser es ausweislich eines, von der Richterin allerdings nicht unterzeichneten, Vermerks nur aufgrund eines gerichtlichen Versehens nicht gekommen war. Damit sprach der BGH den Anwalt von jeglichem Fehlverhalten frei.

Anwalt durfte der mündlichen Zusage der Richterin vertrauen

Auf der Grundlage der Zusage der Richterin, eine neue Ladung werde noch erfolgen, habe der Anwalt darauf vertrauen dürfen, dass der Termin entsprechend nochmals verlegt werde, zumal auch der Gegner sein Einverständnis dazu schriftlich erklärt hatte.

  • Der Anwalt habe deshalb erwarten können, die angekündigte neue Ladung zu erhalten,
  • und auch ohne ausdrückliche Aufhebung des Termins und neuer Ladung berechtigterweise annehmen dürfen,
  • dass der Termin am 26.9.nicht stattfinden werde,

wie er sich dies nach seiner Darstellung auch notiert hatte. Laut Bundesgerichtshof durfte er damit die angekündigte Ladung für den 24.10. abwarten, ohne von sich aus nochmals tätig zu werden und etwa einen erneuten Terminverlegungsantrag zu stellen.

Der Bundesgerichtshof verwies den Fall gleichwohl an das Berufungsgericht zurück. Das hatte offengelassen, ob das Telefonat zwischen dem Anwalt und der Richterin tatsächlich mit dem konkreten Inhalt stattfand. Deshalb war der Bundesgerichtshof im Rahmen der Rechtsbeschwerde davon ausgegangen, dass die Richterin die Terminverlegung zugesagt hatte. Das Berufungsgericht muss das jetzt aufklären.

(BGH, Beschluss vom 23.2.2017, III ZB 137/15)




Hintergrund:

Das Gebot eines fairen Verfahrens folgt aus Art. 6 Abs. 1 MRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG.

Aus dem Gebot des fairen Verfahrens folgt das Recht des Betroffenen auf Verteidigung (Artikel 6 Abs. 2 c MRK). Dieses Recht ist sowohl bei der Terminsbestimmung als auch bei Entscheidungen über Anträge auf Terminsverlegung oder Aussetzung der Hauptverhandlung zu beachten (OLG Hamm Beschluss vom 09.02.2009, 4 Ss OWi 6/09).

Das Recht auf Terminierung unterliegt dem pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden unter Berücksichtigung

  • der eigenen Terminplanung,
  • der Gesamtbelastung des Spruchkörpers,
  • des Gebots der Verfahrensbeschleunigung
  • und der berechtigten Interessen aller Prozessbeteiligten,
  •  namentlich des Betroffenen an einer effektiven Verteidigung durch einen Rechtsanwalt seines Vertrauens (st. Rspr., vgl. nur OLG Braunschweig, Beschluss v. 20.1.2012,  Ss (OWiZ).

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium