„Angeklagter, Sie sind geisteskrank!“


Privilegierung des Prozessvorbringens

In der mündlichen Verhandlung geht es in Strafsachen schon mal heiß her. Doch wo genau verlaufen die Grenzen? Muss es sich ein Angeklagter gefallen lassen, dass ihn der Staatsanwalt coram publico für meschugge hält?

So nicht, sagte sich ein Angeklagter, den der Staatsanwalt im Verlauf der Hauptverhandlung in einem Strafverfahren als „psychotisch“ und „geisteskrank“ bezeichnet hatte, und ihm vorhielt, dass er sich „psychiatrisch untersuchen lassen“ müsse.

Schuldfähigkeit und nicht beleidigungswillig

Die Hauptverhandlung war daraufhin unterbrochen worden. Tags darauf stellte der Staatsanwalt tatsächlich den Antrag, den Angeklagten im Hinblick auf seine Schuldfähigkeit begutachten zu lassen. Nachdem dieser Antrag seitens des Gerichts  zurückgewiesen worden war, zog der Angeklagte mit dem Ziel vor ein Zivilgericht, dem Staatsanwalt die ehrverletzenden Äußerungen mittels einer einstweiligen Verfügung verbieten zu lassen.

Funktionieren der Rechtspflege geht vor Ehrschutz

Doch diese Offensivstrategie ging ins Leere. Das Landgericht Saarbrücken verneinte bereits das Rechtsschutzbedürfnis für einen derartigen zivilrechtlichen Ehrschutz in einem Strafverfahren.

  • Das Gericht gestand dem Angeklagten zwar zu, dass die Bezeichnung als geisteskrank durchaus eine üble Nachrede sei, die geeignet sei, den Betroffenen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen.

  • Der Angeklagte könne jedoch diese in einem Gerichtsverfahren getätigte ehrkränkende Äußerung nicht mittels einer selbstständigen Ehrschutzklage verfolgen und deren Unterlassung verlangen.

  • „Äußerungen zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten im Zusammenhang mit rechtlich geordneten Verfahren dürfen nicht mit den Mitteln des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes bekämpft werden“, meint das Gericht.

Parteien sollen im Gerichtsverfahren vortragen dürfen, was sie zur Wahrung ihrer Rechte für erforderlich halten

Dabei gelte die Versagung separaten Schutzes gegen „prozessuale“ Verletzungen des Persönlichkeitsrechts für alle rechtlich geordneten Verfahren, auch den Strafprozess. Der tiefere Grund für diese Rechtsverkürzung: Das so genannte Ausgangsverfahren soll nicht durch eine Beschneidung der Äußerungsfreiheit der daran Beteiligten beeinträchtigt werden.

„Vielmehr sollen die Parteien in einem Gerichtsverfahren alles vortragen dürfen, was sie zur Wahrung ihrer Rechte für erforderlich halten, auch wenn hierdurch die Ehre eines anderen berührt wird. Ob das Vorbringen wahr und erheblich ist, soll allein in dem seiner eigenen Ordnung unterliegenden Ausgangsverfahren geprüft werden“, betonen die Saarbrücker Richter.

Mit den schutzwürdigen Belangen der Betroffenen und mit den Erfordernissen eines sachgerechten Funktionierens der Rechtspflege wäre es nämlich unvereinbar, wenn die Kompetenzen des Gerichts des Ausgangsverfahrens durch die Möglichkeit einer Geltendmachung von Abwehransprüchen in einem gesonderten Prozess vor einem anderen Gericht unterlaufen werden könnten.

Reine Diffamierung ohne Sachbezug kann verboten werden

Doch es gibt auch Grenzen für ungezügelte Mundwerke. Die rechtliche Unangreifbarkeit des Prozessvorbringens gilt nicht uneingeschränkt. So hat etwa der BGH entschieden, dass von der Privilegierung des Prozessvorbringens Äußerungen ohne Sachbezug nicht umfasst seien.

Kein Sachbezug bestehe etwa, wenn Äußerungen fallen, die nach Form und Inhalt den Charakter einer unzulässigen Schmähung haben, da sie nicht der sachlichen Auseinandersetzung dienen, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Das freilich verneinten die Richter im vorliegenden Fall.

(LG Saarbrücken, Urteil vom 29.6.2012, 4 O 180/12).

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