Gesetzentwurf zum komplett digitalisierten Zivilprozess

Bürgerfreundlicher, ressourcenschonender und effektiver soll die Zivilgerichtsbarkeit durch den Einsatz eines neuen Onlineverfahrens werden, für das der ehemalige Bundesjustizminister Buschmann bereits in der letzten Legislaturperiode einen Entwurf vorgelegt hatte. Dieser Entwurf wurde nun in leicht modifizierter Form vom BMJV übernommen.
Zivilgerichtliche Klageverfahren künftig komplett online möglich
Bereits seit dem 1.1.2002 ist gemäß § 128a ZPO der Einsatz der Videotechnik in der mündlichen Verhandlung bei Zivilgerichten möglich. Seit dem 1.11.2013 ist darüber hinaus den Beteiligten auf Antrag zu gestatten, sich während der mündlichen Verhandlung unter Einsatz von Videotechnik an einem anderen Ort aufzuhalten. Der nun vorgestellte Gesetzentwurf geht bei der Digitalisierung noch einen Schritt weiter. Künftig sollen nicht nur Anwälte, sondern auch Rechtssuchende selbst über eine spezielle Eingabemaske eine Klage online bei Gericht einreichen können. Das sich daran anschließende Verfahren soll komplett digital bis zum Urteil durchgeführt werden können.
Online-Verfahren nur für Zahlungsklagen
Die Erprobung des Onlineverfahrens ist auf Klageverfahren vor den Amtsgerichten in bürgerlichen Streitigkeiten beschränkt, die auf Zahlung einer Geldsumme gerichtet und für die die Amtsgerichte gemäß § 23 Nr. 1 GVG zuständig sind. Im Fall einer Erhöhung des Gegenstandswertes wird der Anwendungsbereich des Onlineverfahrens infolge der dynamischen Verweisung auf § 23 Nr. 1 GVG damit automatisch angepasst. Dabei hat der Gesetzgeber grundsätzlich Geldforderungen ohne Begrenzung auf bestimmte Rechtsgebiete sowie standardisierbare Sachverhalte im Blick.
Klageeinreichung per digitaler Eingabemaske
Die Einreichung einer Klage im Onlineverfahren soll gemäß § 1124 Abs. 1 Satz 1 ZPO-E mittels eines digitalen Eingabesystems erfolgen. Der Nutzer wird hierbei durch spezielle Informationsangebote und strukturierte Eingabe- und Abfragesysteme unterstützt, die über das Tool „Mein Justizpostfach“ – von Anwälten über das beA - bedient werden können. Wie detailliert diese Eingabesysteme im einzelnen auszugestalten sind, soll in der Erprobungsphase evaluiert werden.
2 Eingabesysteme zur sicheren Klägeridentifizierung
Für die Einreichung der Klage stehen 2 Systeme zur Verfügung: Entweder erfolgt die Klageeinreichung über definierte sichere Übermittlungswege gemäß § 130a Abs. 4 Satz 1 ZPO-E oder über eine spezielle Kommunikationsplattform, die eine Identifizierung nebst Eingabe von Anträgen und Erklärungen des Klägers ermöglicht, §§ 1124 Abs. 1, 1131 Abs. 1, Abs. 2 ZPO-E. Durch eine Anbindung an Nutzerkonten nach dem Onlinezugangsgesetz (OZG) soll im übrigen der fortschreitenden technischen Vernetzung der Postfach-, Identifizierungs- und Authentifizierungslösungen in Justiz und Verwaltung sowie der zunehmenden Verbreitung von Onlinefunktionen des Personalausweises Rechnung getragen werden. Eine Einbindung der Anwaltschaft in das neue System ist über das beA vorgesehen, das als Zugangsschlüssel zur Online-Plattform genutzt werden kann.
Begrenzung der teilnehmenden Amtsgerichte in der Probephase
Gemäß § 1123 Abs. 1 ZPO-E werden die pilotierenden Länder ermächtigt, durch Rechtsverordnung diejenigen Amtsgerichte zu bestimmen, die an der Erprobung des neuen Onlineverfahrens teilnehmen. Auch sollen zentrale Onlinegerichte bestimmt werden können, die über Ländergrenzen hinaus an der Erprobung teilnehmen.
Bundeseinheitliche Kommunikationsplattform
Die Eingabesysteme und die Kommunikationsplattform sollen durch das BMJ als Referenzimplementierung entwickelt und bundeseinheitlich bereitgestellt werden. Barrierefreiheit und Benutzerfreundlichkeit für die digitalen Eingabesysteme und die Kommunikationsplattform werden gesetzlich verankert. Damit soll auch dem Recht von Menschen mit Behinderungen auf gleichberechtigte Zugang zur Justiz gemäß Art. 13 der UN-Behindertenrechtskonvention Rechnung getragen werden.
Keine Nutzungspflicht für natürliche Personen
Eine generelle Pflicht zur Teilnahme am Onlineverfahren ist nicht vorgesehen, und zwar weder für die Bürger noch für Organisationen. Die Klageeinreichung im Onlineverfahren ist gemäß § 1122 Abs. 1 Satz 2 ZPO optional. Gemäß § 1124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO sollen aber durch Rechtsverordnung in bestimmten Anwendungsgebieten für eine Vielzahl gleich gelagerter und standardisierbarer Verfahren (Fluggastrechte) Nutzungspflichten mit Ausnahme für natürliche Personen als Beteiligte statuiert werden können, ebenso für in professioneller Eigenschaft am Prozess Beteiligte (Rechtsanwälte).
Mündliche Präsenzverhandlungen bleiben möglich
Im Verfahren selbst soll eine digitale Strukturierung des Prozessstoffes, etwa durch einzelfallspezifisch ausgestattete Eingabefelder erfolgen, § 1126 ZPO-E. Soweit das Gericht keinen Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt, können die Parteien gemäß § 1128 Abs. 1 ZPO-E eine mündliche Verhandlung beantragen. Die mündliche Verhandlung soll in der Regel als Videoverhandlung durchgeführt werden, § 1128 Abs. 3 ZPO-E. Die Anordnung eines Präsenztermins bleibt aber möglich.
Anpassung der Beweisregeln an digitale Gegebenheiten
Eine wichtige Änderung betrifft die Beweisregeln. Das Gericht kann zum Zwecke der Konzentration der Verfahrensleitung vorbereitend Auskünfte aus allgemein zugänglichen Quellen abrufen, also auch aus dem Internet oder aus Datenbanken. Ermöglicht wird auch eine Beweisaufnahme durch Tonübertragung oder mithilfe anderer digitaler Kommunikationsmittel, § 1129 ZPO-E.
Attraktivität des Onlineverfahrens durch Zeit- und Kostenersparnis
Einen Anreiz zur Teilnahme am neuen Onlineverfahren soll eine deutliche Absenkung der Gerichtskosten im Vergleich zum Regelverfahren bieten. Hierdurch soll die Nutzung des Onlineverfahrens für Rechtssuchende attraktiv und die Hemmschwelle abgesenkt werden.
10-jährige Erprobungszeit vorgesehen
Die Erprobungsphase für das Online-Verfahren wird 10 Jahre betragen. Eine Evaluierung soll jeweils 4 und 8 Jahre nach Inkrafttreten erfolgen, § 1134 ZPO-E.
Hintergrund:
Das BMJV - und in der letzten Legislaturperiode das BMJ - haben bereits Schritte unternommen, um den Bürgern den Weg zur Justiz zu erleichtern. So unterhält das BMJV für die Geltendmachung von Fluggastrechten bereits ein eigenes Online-Tool. Fluggäste haben über die Website https://service.justiz.de/fluggastrechte die Möglichkeit, sich über ihre Ansprüche bei Flugproblemen zu informieren. Das Onlinetool enthält umfangreiche Informationen über die möglichen Ansprüche von Reisenden bei Flugannullierungen, in Fällen der Nicht-Beförderung sowie bei Flugverspätungen. Das Portal gibt auch Ratschläge auf welche Weise die Betroffenen ihre Rechte gegenüber den Fluggesellschaften geltend machen und gegebenenfalls gerichtlich durchsetzen können.
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