Recht auf prozessualen Waffengleichheit: Keine Einstweilige Verfügung ohne Anhörung

Die sogenannte Ibiza-Affäre beschäftigt die Gerichte immer noch. Vor mehr als einem Jahr wurde das Ibiza- Video veröffentlicht, das den ehemaligen FPÖ-Chef in Österreich zum Rücktritt zwang. Gegen eine Person, die zur Veröffentlichung des Videos maßgeblich beigetragen hatte, wurden daraufhin mehrere Strafverfahren eingeleitet, u.a. wegen Drogengeschäften.
Magazin auf Unterlassung der Berichterstattung über Folgen des Ibiza-Videos in Anspruch genommen
Die betreffende Person bezeichnete diese Verfahren als Rufmordkampagne durch den ehemaligen FPÖ-Chef. Ein in Deutschland erscheinendes Magazin berichtete über diese Umstände und wurde wegen dieser Berichterstattung von dem betreffenden Mann auf Unterlassung in Anspruch genommen.
Das mit der Sache befasste Landgericht Berlin erließ eine einstweilige Verfügung, wonach die Berichterstattung zu unterlassen sei. Der das Magazin herausgebende Verlag war vor dem Erlass der einstweiligen Verfügung aber nicht angehört worden und zog daher vor das Bundesverfassungsgericht.
Verletzung grundrechtsgleichen Rechts auf prozessuale Waffengleichheit
Das Bundesverfassungsgericht sah in dem Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung ohne gerichtliche Anhörung des Betroffenen einen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf prozessuale Waffengleichheit gemäß Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG. Zwar hatte der Verlag zuvor eine Abmahnung erhalten. Die gerichtliche Unterlassungsverfügung war aber aufgrund anderer Tatsachen erlassen worden.
Der Antragsteller hatte erstmals im Verfahren die in dem Artikel beschriebenen Vorwürfe bestritten. Dem Verlag hätte daher nochmals Gelegenheit gegeben werden müssen, zu den neuen Behauptungen Stellung zu nehmen. Wegen der unterbliebenen Anhörung ist die Gleichwertigkeit der Stellung des Verlages im Prozess nicht gewährleistet. Daran ändert auch die Eilbedürftigkeit der Sache nichts. Das Bundesverfassungsgericht hat die einstweilige Verfügung daher vorläufig ausgesetzt.
(BVerfG Beschluss vom 17.06.2020, 1 BvR 1380/20).
Hintergrund: Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit
Der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit ist Ausprägung der Rechtsstaatlichkeit und des allgemeinen Gleichheitssatzes im Zivilprozess und sichert verfassungsrechtlich die Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien vor dem Richter, der - auch im Blick auf die grundrechtlich gesicherte Verfahrensgarantie aus Art. 103 Abs. 1 GG - den Prozessparteien im Rahmen der Verfahrensordnung gleichermaßen die Möglichkeit einzuräumen hat, alles für die gerichtliche Entscheidung Erhebliche vorzutragen und alle zur Abwehr des gegnerischen Angriffs erforderlichen prozessualen Verteidigungsmittel selbständig geltend zu machen.
Dem entspricht die Pflicht des Richters, diese Gleichstellung der Parteien durch eine objektive, faire Verhandlungsführung, durch unvoreingenommene Bereitschaft zur Verwertung und Bewertung des gegenseitigen Vorbringens, durch unparteiische Rechtsanwendung und durch korrekte Erfüllung seiner sonstigen prozessualen Obliegenheiten gegenüber den Prozessbeteiligten zu wahren (BVerfGE 52, 131, 156 f. m.w.N.).
Erforderlich sind danach die Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien vor dem Richter und gleichwertige Möglichkeiten zur Ausübung ihrer Rechte. Die prozessuale Waffengleichheit steht dabei im Zusammenhang mit dem Gehörsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 1 GG, der eine besondere Ausprägung der Waffengleichheit ist. Als prozessuales Urrecht (vgl. BVerfGE 70, 180, 188) gebietet dieser, in einem gerichtlichen Verfahren der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen.
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