Unzulässige Ausschöpfung von Rechtsmittelfristen in Eilverfahren
Normalerweise dürfen Rechtsanwälte bei der Einlegung von Rechtsmitteln die im Gesetz vorgesehenen Fristen vollständig ausnutzen. Dies kann nach einer aktuellen Entscheidung des OLG Frankfurt anders sein, wenn es sich um ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren handelt und der eine einstweilige Verfügung beantragende Anwalt die 2-monatige Berufungsbegründungsfrist nahezu vollständig ausnutzt. Wenn das Verfahren keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, kann nach dem Spruch des OLG durch die Ausschöpfung der Berufungsbegründungsfrist die für ein Eilverfahren erforderliche Dringlichkeit entfallen.
Eilantrag auf Unterlassung einer ehrverletzenden Äußerung
Im konkreten Fall hatte ein Anwalt für die von ihm vertretene Partei im Eilverfahren eine Unterlassungsverfügung beantragt. Gegenstand des Unterlassungsantrags war eine öffentliche Äußerung des in Anspruch genommenen Gegners, dass er das Verhalten seines ebenfalls in der Fitnessbranche tätigen Geschäftspartners vor der geschäftlichen Trennung beider Parteien als „kriminell“ empfinde. Diese Äußerung empfand der Geschäftspartner als ehrverletzend und forderte Unterlassung.
Berufungsbegründungsfrist weitgehend ausgenutzt
Erstinstanzlich hat das LG den Unterlassungsantrag als unbegründet zurückgewiesen. Gegen den ablehnenden Beschluss des LG hatte der Kläger innerhalb einer Woche Berufung eingelegt. Anschließend hatte der Prozessbevollmächtigte sich mit der Begründung der Berufung 7 Wochen Zeit gelassen und die gesetzliche Berufungsbegründungsfrist damit nahezu vollständig ausgeschöpft.
Selbstwiderlegung der Dringlichkeit
Die weitgehende Ausschöpfung der 2-monatigen Berufungsbegründungsfrist war für das OLG Veranlassung, die ablehnende Entscheidung der Vorinstanz zu bestätigen. Der Senat wies das Rechtsmittel des Verfügungsklägers gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels zurück. Der Verfügungskläger habe das Verfahren nicht mit dem nötigen Nachdruck betrieben und damit sein Interesse an einer eilbedürftigen Rechtsdurchsetzung im Eilverfahren selbst widerlegt. Darauf, ob materiellrechtlich ein Verfügungsanspruch bestehe, komme es deshalb nicht an.
Rechtsmittelfristen und Dringlichkeit sind verschiedene Kategorien
Der Senat stellte klar, dass die Frage der Zulässigkeit eines Rechtsmittels innerhalb der prozessualen Frist streng von der weiteren Frage zu trennen sei, innerhalb welcher Zeit ein Verfügungskläger im Verfügungsverfahren tätig werden muss, um nicht durch sein eigenes Verhalten die Vermutung der Dringlichkeit zu widerlegen (OLG Nürnberg, Urteil v. 24.10.2023, 3 U 965/23). Ob die Ausnutzung einer Rechtsmittelfrist im konkreten Fall dringlichkeitsschädlich ist, sei nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.
Zuwarten von mehr als einem Monat ist meist dringlichkeitsschädlich
Das OLG griff bei seiner Beurteilung auf die Rechtsprechung der Obergerichte zurück, wonach die Notwendigkeit und Dringlichkeit für eine Leistungsverfügung im Eilverfahren infolge Selbstwiderlegung entfällt, wenn durch längeres Zuwarten im Anschluss an das die Einleitung eines Eilverfahrens veranlassende Geschehen der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu zögerlich erfolgt. Eine Verzögerung von mehr als einem Monat nach dem auslösenden Geschehen wird - jedenfalls bei Fehlen eines zwingenden Grundes - in der Regel als dringlichkeitsschädlich angesehen (OLG Brandenburg, Beschluss v. 26. 8. 2024,1 W 42/24; OLG Hamburg, Urteil v. 5.11.2024, 7 U 41/23). Diese Grundsätze sind nach Auffassung des Senats auch auf das Rechtsmittelverfahren anwendbar.
Anwalt entschuldigte sich mit Arbeitsüberlastung
Der Versuch des Prozessbevollmächtigten des Verfügungsklägers, die zögerliche Anfertigung der Berufungsbegründung mit pauschalen Schlagworten wie „Arbeitsüberlastung“ und „sorgfältige Prüfung rechtlicher Argumente“ zu begründen, war nach Auffassung des OLG nicht geeignet, die weitgehende Ausnutzung der 2-monatigen Berufungsbegründungsfrist im Eilverfahren hinreichend zu erklären. Dies gelte hier umso mehr, als die schließlich eingereichte Berufungsbegründung überwiegend aus einer Wiederholung der erstinstanzlichen Argumentation bestanden und der Sachverhalt weder rechtlich noch tatsächlich besondere Schwierigkeiten aufgewiesen habe.
Anwälte müssen Eilverfahren priorisieren
Das OLG betonte, dass die besondere Eilbedürftigkeit eines Eilverfahrens einen Anwalt dazu veranlassen müsse, dieses Verfahren gegenüber sonstigen Aufgaben zu priorisieren. Eine solche Priorisierung sei hier nicht feststellbar, sodass der Anwalt durch die zögerliche Bearbeitung die Eilbedürftigkeit des Verfahrens selbst widerlegt habe. Gemäß § 85 Abs. 2 ZPO sei dieses Verschulden des Anwalts dem Verfügungskläger zuzurechnen.
Berufung zurückgewiesen
Mit dieser Argumentation wies das OLG die Berufung des Verfügungsklägers gegen die vorinstanzliche Entscheidung als offensichtlich unbegründet durch Beschluss zurück. Auf den Anwalt könnte hier möglicherweise ein Regress seines Mandanten zukommen.
(OLG Frankfurt, Beschluss v. 3.11.2025, 3 U 97/25)
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