Anforderungen an die anwaltliche Fristenkontrolle

Das BAG hat in einer aktuellen Entscheidung die Anforderungen an die persönliche Fristenkontrolle durch Anwälte in der Anwaltskanzlei gesenkt. Grundsätzlich genügt künftig die Kontrolle des richtigen Fristeintrags einer Rechtsmittelbegründungsfrist in der Handakte. Soweit keine vernünftigen Gründe für Zweifel an der Richtigkeit der Fristenvermerke bestehen, müssen Anwälte sich nicht darüber hinaus auch noch den Fristenkalender zur Kontrolle des dortigen Eintrags vorlegen lassen.
Bisher unterschiedliche Rechtsprechung von BGH und BAG
Das BAG hatte an die anwaltliche Fristenkontrolle von Rechtsmittelbegründungsfristen bisher höhere Anforderungen als der BGH gestellt. Nach der BGH-Rechtsprechung haben Anwälte bei der Vorlage einer Handakte zur fristgebundenen Bearbeitung die Pflicht, die Richtigkeit sämtlicher unerledigter Fristen in der Handakte zu überprüfen. Eine zusätzliche Prüfung der Richtigkeit der eingetragenen Fristen im Fristenkalender ist laut BGH nicht erforderlich (BGH, Beschluss v. 17.5.2023, XII ZB 533/22 u. Beschluss v. 19.10.2022, XII ZB 113/21). Demgegenüber hatte das BAG zusätzlich vom Anwalt die Prüfung der ordnungsgemäßen Notierung von Rechtsmittelbegründungsfristen im Fristenkalender gefordert (BAG, Urteil v. 10.1.2003, 1 AZR 70/02 u. Urteil v. 18.6.2015, 8 AZR 556/14).
Zusätzliche Überprüfung des Fristenkalenders nur bei Zweifeln an der Richtigkeit
In der aktuellen Entscheidung weicht das BAG von seiner bisherigen Rechtsprechung ab und schließt sich dem BGH an. Künftig dürfen sich Anwälte auch in arbeitsgerichtlichen Angelegenheiten auf die Prüfung der Handakte beschränken. Dies gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sich keine Zweifel an der Richtigkeit der Fristvermerke aufgrund erkennbarer Ungereimtheiten aufdrängen. Im letzteren Fall muss weiterhin zusätzlich der Fristenkalender überprüft werden. Auch dies entspricht der Rechtsprechung des BGH.
Weitere Senate des BAG schließen sich an
Auch die nicht an der aktuellen Entscheidung beteiligten Senate des BAG, die bisher eine andere Auffassung haben, haben im Rahmen einer vom 6. Senat gestellten Divergenzanfrage gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG mitgeteilt, sich der in der aktuellen Entscheidung des 6. Senats vertretenen Rechtsauffassung anschließen zu wollen.
Revisionsbegründungsfrist versäumt
Der aktuellen Entscheidung des BAG-Senats lag der Antrag eines Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen einer versäumten Revisionsbegründungsfrist zu Grunde. In der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hatte der Prozessbevollmächtigte glaubhaft versichert, die in der Handakte eingetragenen Fristen sämtlich bei jeder Vorlage der Handakte kontrolliert zu haben. Diese seien zutreffend eingetragen gewesen.
Revisionsbegründungsfrist im Fristenkalender fehlerhaft eingetragen
Aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen waren die vom Prozessbevollmächtigten nicht zusätzlich geprüften Einträge im Fristenkalender fehlerhaft. Sowohl der Ablauf der Revisionsbegründungsfrist als auch die hierzu eingetragene Vorfrist waren fälschlicherweise für den auf den Fristablauf folgenden Monat und damit einen Monat zu spät eingetragen. Der Anwalt hatte hierzu versichert, der Fristenkalender werde von der seit Jahren zuverlässig arbeitenden Rechtsanwaltsfachangestellten eigenständig und eigenverantwortlich geführt. Bisher sei es zu keinen Beanstandungen gekommen.
BAG gab Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statt
Das BAG gab dem Wiedereinsetzungsantrag jetzt gemäß § 233 ZPO statt und stellte fest, dass eine Pflicht des Anwalts zur Kontrolle des von der Rechtsanwaltsfachangestellten geführten Fristenkalenders durch den Prozessbevollmächtigten angesichts der beanstandungsfreien Einträge in der Handakte nicht bestanden hat. Im Hinblick auf die im übrigen glaubhaft gemachte, fehlerfreie Kanzleiorganisation treffe den Kläger an der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kein ihm zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten.
(BAG, Urteil v. 20.2.2025, 6 AZR 155/23)
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