Schmerzensgeldbemessung bei Mitverschulden

Die von deutschen Gerichten zuerkannten Schmerzensgeldbeträge - der Höhe nach lange international bei den Schlusslichtern zu finden - steigen bei erheblichen Verletzungsfolgen mittlerweile an. Nach einer Entscheidung des OLG München führt auch der prozentuale Mitverschuldensanteil des Geschädigten nicht zwingend zu einer proportionalen Minderung des Schmerzensgeldes.

In dem vom OLG entschiedenen Fall machte der Kläger gegen den Beklagten Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend. Der Beklagte hatte dem Kläger die Vorfahrt genommen. Es kam zu einem heftigen Zusammenstoß, bei dem der Kläger eine schwere Verletzung des Knies, eine Oberschenkelfraktur durch Einschlag des Kniegelenks ins Armaturenbrett, eine Verletzung des Brustkorbs und eine Kopfverletzung durch Kontakt mit der Windschutzscheibe erlitt. Der Kläger war nicht angeschnallt.

Mitverschulden wegen Verletzung der Anschnallpflicht

Heftig umstritten war vor Gericht die Frage, ob der Kläger durch Verletzung der Anschnallpflicht die Verletzungsfolgen bzw. deren Schwere mitverschuldet hatte. Nach Auffassung des OLG-Senats setzt ein Mitverschulden die Feststellung voraus, dass bei Anlegen des Gurts ein Teil der Verletzungsfolgen hätte vermieden oder in ihrer Schwere gemindert werden können (BGH, Urteil v. 28.2.2012, VI ZR 10/11).

Hierzu stellten die bereits vom LG hinzugezogenen Sachverständigen fest, dass im angeschnallten Zustand der Kläger durch den Gurt kontrolliert zurückgehalten worden wäre. Der extreme Einschlag des Kniegelenks in das Armaturenbrett mit der sprunghaft ansteigenden axialen Kompression des Oberschenkels und der dadurch bruchlastüberschreitenden Verbiegung des Fermurknochens, der darauf folgende Aufprall des Brustkorbs auf das Lenkrad sowie der Kopfkontakt mit der Windschutzscheibe wären laut Sachverständigen in angeschnalltem Zustand mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erfolgt.

Allerdings hätte der Gurt seinerseits zusätzliche Verletzungsfolgen verursacht. So wäre der Brustkorb durch den Gurt massiv belastet worden, ein Aufprall des Kopfes auf das Lenkrad wäre nach Ansicht der Sachverständigen wahrscheinlich gewesen. In dieser Situation nahm das OLG ein Mitverschulden wegen Verletzung der Anschnallpflicht in Höhe von einem Drittel an, da durch die Sachverständigen belegt sei, dass zumindest ein Teil der Verletzungen unter Beachtung der Anschnallpflicht hätte vermieden werden können.

Die Anrechnung des Mitverschuldens erfolgt nicht rein mathematisch

Der OLG-Senat legte Wert darauf, dass die Bemessung der Mitverschuldensquote nicht in der Weise erfolge, dass zunächst die Höhe des Schmerzensgeldes bezogen auf 100%-iges Verschulden festzustellen sei und dieses dann entsprechend der Mitverschuldensquote gekürzt werde.

Vielmehr stelle das Mitverschulden bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ein Element neben anderen dar, wobei die einzelnen Bemessungselemente je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls unterschiedlich gewichtet werden könnten (OLG München, Beschluss v. 24.09. 2009, 10 U 3281/08).

Im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung sei die Angemessenheit des festzusetzenden Schmerzensgeldes auf der Grundlage einer tatrichterlichen Bewertung dieser Bemessungselemente sowie unter einer wertenden Betrachtung des gesamten Geschehensablaufes vorzunehmen.

Körperliche und seelische Beeinträchtigungen sind entscheidend

Wesentliche Elemente der Bemessung sind nach Auffassung des Senats

  • die körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Verletzten,
  • die Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen,
  • die Dauer einer eventuellen Arbeitsunfähigkeit sowie
  • erlittene körperliche Funktionsbeeinträchtigungen (OLG Brandenburg, Urteil v. 08.03.2007, 12 U 154/06).

Auf Grundlage dieser Parameter war die Bemessung des Schmerzensgeldes durch das LG mit insgesamt 30.000 EUR nach Auffassung des Senats sowohl im Hinblick auf die Abfolge der Ereignisse unter Berücksichtigung des Mitverschuldensanteils des Verletzten als auch hinsichtlich der eingetretenen Verletzungsfolgen angemessen.

(OLG München, Urteil v. 07.06.2013, 10 U 1931/12).


Bemessung: Bei der Höhe des Schmerzensgeldes orientiert sich die Rechtsprechung i. d. R. an Schmerzensgeldtabellen, z.B. an der von Hacks begründeten Schmerzensgeldtabelle.

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