Impfschadenklage gegen AstraZeneca

Der Impfschaden-Prozess gegen AstraZeneca geht wohl in die Beweisaufnahme. Das OLG zieht die Möglichkeit einer Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Vakzin-Hersteller in Betracht. Ein Gutachter soll hierzu Stellung nehmen.

In einem medial stark beachteten Prozess gegen AstraZeneca auf Schadenersatz wegen erlittener Impfschäden hat das OLG Bamberg das Tor zu einer Haftung des Impfstoffherstellers einen Spalt weit geöffnet und die Hoffnung Betroffener auf Schadenersatz und Schmerzensgeld verstärkt.

Darmvenenthrombose und Koma nach Corona-Impfung

Geklagt gegen AstraZeneca hat eine 33-jährige Frau aus Oberfranken, die im März 2021 mit dem Cov-19-Vakzin „Vaxzevria“ geimpft wurde. Im Anschluss hatte sie eine Damenvenenthrombose erlitten und verfiel in ein Koma. Nur durch die Entfernung eines Teils des Darms konnte das Leben der Frau gerettet werden.

Umfassende Entschädigungsforderungen

Die Klägerin führt die erlittenen gesundheitlichen Folgen auf die Impfung zurück. Sie verklagte den Vakzinhersteller auf

  • Zahlung von 250.000 EUR Schmerzensgeld,
  • auf 17.200 EUR für erlittenen Verdienstausfall sowie
  • auf Schadenersatz für künftige Beeinträchtigungen in Höhe von bis zu 600.000 EUR.

Klage erstinstanzlich abgewiesen

Das erstinstanzlich mit der Klage befasste LG Hof wies die Klage in vollem Umfang ab. Das LG konnte weder einen Produktfehler noch einen Aufklärungsfehler seitens der Beklagten gegenüber der Klägerin feststellen.

Auch OLG sieht keinen Produktfehler

Im Berufungsverfahren stellte das OLG nun die Weichen neu. Allerdings stützt das OLG die Auffassung der Vorinstanz, dass ein Produktfehler des Vakzins zum Zeitpunkt der Impfung nicht feststellbar sei. Der Impfstoff sei im Vergleich zu anderen Impfstoffen, ob nun gegen das Cov-19-Virus oder gegen andere Viren, nicht besonders gefährlich. Die Risiken seien im Verhältnis zum gesellschaftlichen Nutzen beim Kampf gegen das Cov-19-Virus nach den aktuellen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft überschaubar. Ein Produktfehler, der nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG) zu einer Haftung führen könnte, sei deshalb zu verneinen.

OLG zieht lückenhafte Risiko-Information in Betracht

Das OLG stellte in einem ausführlichen Hinweisbeschluss die Vorschrift des § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG als maßgeblich für den weiteren Verlauf des Verfahrens in den Vordergrund. Nach dieser Vorschrift ist der Hersteller bzw. Vertreiber eines Arzneimittels zum Schadenersatz verpflichtet, wenn der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation eingetreten ist. Die von der Beklagten herausgegebene Fachinformation habe zum damaligen Zeitpunkt keinen Hinweis auf das Risiko einer Darmvenenthrombose enthalten.

War eine Unterrichtung über Thromboserisiko wissenschaftlich geboten?

Das Gericht hält es deshalb für prozessentscheidend, ob zum Zeitpunkt der Impfung eine Unterrichtung der Klägerin über das Risiko einer Darmvenenthrombose nach dem damaligen wissenschaftlichen Stand geboten gewesen wäre. Zur Klärung dieser Frage will das Gericht einen Gutachter beauftragen. In seinem Hinweisbeschluss stellte das Gericht des insoweit ergänzend klar, es gehe nach derzeitigem Sachstand davon aus, dass die Klägerin sich nicht hätte impfen lassen, wenn sie über das Risiko einer Darmvenenthrombose in der von AstraZeneca herausgegebenen Fachinformation aufgeklärt worden wäre.

Forschungsstand im März 2021 ist entscheidend

Der zu beauftragenden Gutachter wird also den Forschungsstand zum Damenvenenthromboserisiko im Zeitpunkt März 2021 eruieren müssen. Dabei dürften die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) und der Europäischen Arzneimittelaufsicht (EMA) eine wichtige Rolle spielen. Die STIKO hatte im März 2021 wegen vorliegender Hinweise auf mögliche thromboembolische Ereignisse im Zusammenhang mit der Gabe des Vakzins von AstraZeneca vorsichtig Sicherheitsbedenken geäußert, die Impfung aber weiterhin empfohlen. Anfang April 2021 änderte die STIKO ihre Empfehlung zur Anwendung des AstraZeneca-Vakzins nur bei Personen über 60 Jahren.

Gesetzliche Vermutung für Kausalität zwischen Arzneieinnahme und Schaden

Sollte der zu beauftragenden Gutachter die vom Gericht bestellte Beweisfrage bejahen, so dürften die Chance auf Schadenersatz und Schmerzensgeld gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG grundsätzlich gegeben sein. Gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 AMG wird die Kausalität zwischen der Wirkung des angewendeten Arzneimittels und dem eingetretenen Gesundheitsschaden vermutet, wenn das Arzneimittel nach den Gegebenheiten des Einzelfalls grundsätzlich geeignet ist, den geltend gemachten Schaden zu verursachen. Eine Einschränkung für diese Vermutung gilt aber nach § 84 Abs. 2 Satz 3 AMG. Danach gilt die Vermutung nicht, wenn nach den Gegebenheiten des Einzelfalls eine Alternativursache in Betracht kommt.

Endgültiger Beweisbeschluss steht noch aus

Über die endgültige Beauftragung eines Gutachters hat das Gericht noch nicht entschieden. Die Parteien haben zunächst Gelegenheit, sich zu dem Inhalt des Hinweisbeschlusses zu äußern.

(OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 14.8.2023, 4 U 15/23)

Hintergrund:

Nach derzeitigen Schätzungen sind aktuell mehr als 200 Haftungsklagen gegen Vakzinhersteller wegen eingetretener Gesundheitsschäden im Zusammenhang mit Corona-Impfungen bei deutschen Gerichten anhängig. Neben dem beim OLG Bamberg anhängigen Fall findet medial vor allem die beim LG Rottweil anhängige Klage eines Betroffenen Beachtung, der nach einer Impfung mit dem Vakzin des Herstellers Biontech das Sehvermögen auf einem Auge verloren hat. Die Risiken der Impfstoffhersteller in diesen Verfahren sind eher gering. Im Rahmen der Impfstoffbeschaffung hatten die Bundesrepublik und andere EU-Mitgliedstaaten mit den Herstellern vereinbart, sowohl die Entschädigungen als auch die Prozesskosten im Unterliegensfall zu übernehmen.


Schlagworte zum Thema:  Impfung, Schadensersatz, Klage