Anwaltshaftung: Sündenbock oder Supermann?

Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Das gilt für alle Berufe – auch den des Anwalts. Bislang gingen Experten über Jahrzehnte davon aus, dass jeder Anwalt im Schnitt alle 5 Jahre einen Regressfall an seine Haftpflicht meldet. Wie oft Anwälte auch tatsächlich verurteilt wurden und wie hoch die Schäden sind, gehört zu den bestgehüteten Geheimnissen der Versicherungsbranche. Der BGH jedenfalls weitet den Pflichtenkanon der Anwälte stetig aus.

Die Haftungsquote dürfte sich allerdings zuungunsten der Anwälte entwickelt haben. Das liegt vor allem an der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die die Sorgfaltspflichtanforderungen derart erhöht hat, dass diese nur noch schwer nachzuvollziehen oder einzuhalten sind.

Pflichtenerfindungsrecht als neues Rechtsgebiet?

Nicht zufällig ist diese immer strenger werdende  Rechtsprechung schon als „Pflichtenerfindungsrecht“ bezeichnet worden. Hinzu kommt die gestiegene Bereitschaft der Mandanten, den eigenen Anwalt in Regress zu nehmen.

Ein Indiz für eine Häufung der Regressfälle könnte auch daraus abgeleitet werden, dass die einschlägigen Kommentare zur Anwaltshaftung ständig an Umfang zulegen. Das muss indes nicht mit einer Häufung der Schadensfälle einhergehen – zumal die Haftpflichtversicherer schon längst Alarm geschlagen hätten, wenn sie nicht mehr wirtschaftlich arbeiten würden.

Vielmehr könnte das Phänomen schlicht darauf zurückzuführen sein, dass die Rechtsprechung den Pflichtenkanon der Anwälte ständig erweitert hat.

Das waren noch Zeiten...

Während nämlich der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung aus dem Jahre 1970 noch vergleichsweise harmlos formulierte:

„Ein Anwalt, der beim Durchlesen und Korrigieren einer Berufungsbegründung kurz vor Ablauf der Begründungsfrist in seinem Büro am Schreibtisch einschläft und erst nach Fristablauf wieder erwacht, kann sich nicht auf einen unabwendbaren Zufall berufen",

zog Karlsruhe in den nachfolgenden Jahrzehnten die Zügel immer straffer. Er überspannte den Bogen dabei manchmal mächtig.

Bundesverfassungsgericht bremst BGH

Die aberwitzige Forderung, Anwälte müssten Richter sogar auf deren Fehler aufmerksam machen, kassierte das Bundesverfassungsgericht schließlich wieder ein. Wörtlich heißt es in den Beschluss ( 1 BvR 399/02):

„... Rechtskenntnis und -anwendung sind vornehmlich Aufgabe der Gerichte. Fehler der Richter sind - soweit möglich - im Instanzenzug zu korrigieren. Soweit dies aus Gründen des Prozessrechts ausscheidet, greift grundsätzlich nicht im Sinne eines Auffangtatbestandes die Anwaltshaftung ein.

Anwaltshaftung ist kein Sicherheitnetz für gerichtliche Fehler

Kein Rechtsanwalt könnte einem Mandanten mehr zur Anrufung der Gerichte raten, wenn er deren Fehler zu verantworten hätte. Nach der Zivilprozessordnung treffen die Gerichte Hinweis- und Belehrungspflichten. Die Parteien und ihre Anwälte vor dem erstinstanzlichen Familiengericht tragen im Wesentlichen Verantwortung hinsichtlich des unterbreiteten Sachverhalts und der Antragstellung oder - wie hier - bei der Formulierung von Vergleichsverträgen.

Die Gerichte sind verfassungsrechtlich nicht legitimiert, den Rechtsanwälten auf dem Umweg über den Haftungsprozess auch die Verantwortung für die richtige Rechtsanwendung zu überbürden...“ 

Pflichtenexzess geht weiter

Die Entscheidung datiert vom 12. August 2002. Das hinderte den Bundesgerichtshof indes nicht, mit Urteil vom 13. März 2003 (IX ZR 181/99) einem Anwalt gleichwohl den schwarzen Peter zuzuschieben, obwohl das Familiengericht in einer komplizierten Ehescheidungsangelegenheit komplett versagt hatte.

Der BGH verurteile einen Anwalt auf Zahlung von insgesamt 82.715,11 EUR an seinen ehemaligen Mandanten als Unterhaltsschaden. Dazu war dieser durch ein deutsches Gericht verurteilt worden, nachdem er über seinen Anwalt die Scheidung von seiner Frau eingereicht hatte.

Niemand merkte, dass der Ehemann nicht richtig verheiratet war

Bei der Eheschließung 1962 war der Mandant noch griechischer Staatsangehöriger. Die Ehe mit einer Griechin war vor einem griechisch-orthodoxen Geistlichen in Hannover besiegelt worden. Der Geistliche wurde erst 1964 gegenüber der deutschen Regierung zu Eheschließungen in Deutschland ermächtigt. 1989 trennte sich der Kläger - inzwischen Arzt und deutscher Staatsangehöriger - von der Frau.

Später wurde erkannt, dass die 1962 geschlossene Ehe nicht mit den deutschen Vorschriften über die Eheschließung von Ausländern in Deutschland (§ 15a EheG alte Fassung) im Einklang stand. Der Mandant vertrat die Ansicht, dass er bei richtiger Beratung durch den Anwalt seiner Schein-Ehefrau nichts hätte zahlen müssen.

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