Kein Umgangsrecht für die leibliche Mutter
Die Klägerin war bereits eheliche Mutter zweier Kinder, als sie im April 2000 Zwillinge aus einer außerehelichen Beziehung gebar. Unmittelbar nach der Geburt erkrankte die Klägerin psychisch, litt unter Depressionen und Angstzuständen. Auf Druck ihres Ehemannes stimmte sie nach etwas mehr als zwei Wochen nach der Geburt zu, die beiden Babys in eine Pflegefamilie zu geben. Notariell unterschrieb sie eine Erklärung, wonach sie die beiden Mädchen zur Adoption freigeben wolle. Im Juni 2001 schließlich wurde die Adoption gerichtlich ausgesprochen. In einem bei dem zuständigen Jugendamt geführten Gespräch sagten die Adoptiveltern zu, die Mutter werde jedes Jahr einen Bericht über die Entwicklung der Kinder sowie Fotos ihrer Töchter erhalten.
Keine Aufhebung des Adoptionsbeschlusses
Anfang des Jahres 2002 beantragte die Klägerin die Aufhebung der Adoption mit der Begründung, sie habe aufgrund der Gesamtsituation unter großem psychischen Druck gestanden. Außerdem habe der leibliche Vater der Adoption nicht zugestimmt. Nachdem sie mit ihrem Begehren gerichtlich keinen Erfolg hatte, beantragte sie, dass ihr zumindest ein regelmäßiges Umgangsrecht mit den beiden Töchtern eingeräumt würde.
Kindeswohl steht dem Umgangsrecht entgegen
Auch dieses Ansinnen lehnten die Gerichte ab. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nahm die von der Mutter eingereichte Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Die Richter argumentierten im wesentlichen damit, dass die beiden Zwillinge nicht einmal drei Wochen nach der Geburt bei ihrer Mutter verbracht hätten. Eine soziale, familiäre Beziehung haben in dieser kurzen Zeit nicht aufgebaut werden können. Aus diesem Grunde sei aus dem Gesichtspunkt des Kindeswohls ein Umgangsrecht nicht erforderlich. Ein Umgangsrecht der Mutter könne den Kindern sogar schaden, denn hierdurch könne der Aufbau der sozialen Bindungen zur Adoptionsfamilie gestört werden. Das Kindeswohl sei aber die maßgebliche Maxime für die Entscheidung über ein Umgangsrecht.
EGMR auf deutscher Linie
Darauf zog die Kindesmutter zum EGMR. Dieser kam zu dem klaren Ergebnis, es sei nicht zu beanstanden, dass in Deutschland die Mutter eines Kindes, das zur Adoption freigegeben wurde, den Kontakt zu ihrem Kind nicht erzwingen könne. Es sei aus Sicht der Menschenrechtskonvention unbedenklich, dass in Deutschland das Wohl des Kindes der wesentliche Maßstab für eine solche Entscheidung sei. Im Fall der Adoptionsfreigabe habe dieser Maßstab Vorrang vor dem Elternrecht. Auch wenn die Mutter nach Geburt ihrer Zwillinge unter Berücksichtigung der Gesamtsituation unter erheblichen familiären Druck geraten sei, so sei sie doch nicht daran gehindert gewesen, eine eigenverantwortliche Entscheidung über die Adoption zu treffen. Diese habe sie nach ausführlichen Gesprächen mit dem Jugendamt mit der wünschenswerten Klarheit getroffen. Hiernach müsse sie ihre mütterlichen Gefühle dem Wohlergehen der Kinder unterordnen.
Entscheidung noch nicht rechtskräftig
Da die Entscheidung von der Kleinen Kammer des EGMR getroffen wurde, hat die Mutter nun drei Monate Zeit, Beschwerde einzulegen und eine Überprüfung durch die Große Kammer zu beantragen. Das Gericht ist aber nicht gezwungen, die Entscheidung an die Große Kammer auf Antrag der Mutter abzugeben.
(EGMR, Urteil v. 5.6.2014, 31021/08)
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