Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen der Einrede des nicht erfüllten Vertrags nach § 320 BGB vor und ist ihre Geltendmachung nicht ausgeschlossen, stellt sich rechtspraktisch sowohl für den Mieter auch für den Vermieter die Frage nach dem

  • Umfang und
  • der Dauer

der mit der Einrede verfolgten Zurückbehaltung.

2.3.1 Leistungsverweigerung durch den Mieter

Die Regelung des § 320 Abs. 1 BGB gewährt dem Mieter ein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich des gesamten Mietanspruchs und kennt keine Beschränkungen. Dennoch wird diese Frage von der Rechtsprechung unterschiedlich bewertet.

VIII. Zivilsenat des BGH

Nach der vom VIII. (Wohnraummietrechts-)Senat des BGH vertretenen Ansicht ist zugunsten des Vermieters mit Blick auf § 320 Abs. 2 BGB das Zurückbehaltungsrecht des Mieters in Bezug auf die Miete in zweifacher Hinsicht zu beschränken.[1]

  • Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bewirke die Geltendmachung der Einrede des nicht erfüllten Vertrags betragsmäßig lediglich eine begrenzte Zurückbehaltung der Miete, denn der Vermieter werde bereits durch die Minderung einem erheblichen Druck zur Mangelbeseitigung ausgesetzt.
  • Der zeitlichen Beschränkung des Zurückbehaltungsrechts liegt der Gedanke zugrunde, dass der Mieter im Falle einer Nichtbeseitigung eines Mangels durch den Vermieter und entsprechender Mietminderung wegen des Zurückbehaltungsrechts auf unabsehare Zeit überhaupt keine Miete zu zahlen hätte. Dieses Ergebnis widerspreche nach Ansicht des VIII. Zivilsenats dem Zweck des auf einen dauernden Leistungsaustausch gerichteten Wohnraummietverhältnisses. Im Übrigen verfehle die auf Dauer angelegte Zurückbehaltung der nicht geminderten Miete den Zweck des Zurückbehaltungsrecht, wenn nicht mehr erwartet werden könne, dass der Vermieter seiner Verpflichtung zur Mangelbeseitigung unter dem Druck der Zurückbehaltung nachkommen werde.[2]

Hieraus sollen dennoch keine allgemein gültigen Grundsätze abgeleitet werden können. Vielmehr seien bei der Beschränkung des Zurückbehaltungsrechts des Wohnraummieters die gesamten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.[3]

XII. Zivilsenat des BGH

Der für das gewerbliche Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat des BGH betont mit Blick auf die Maßgaben des § 320 Abs. 1 BGB im Grundsatz die Möglichkeit der Zurückbehaltung der gesamten Miete.[4] Wird die Miete jedoch tatsächlich in vollem Umfang zurückbehalten, kann dies ausnahmsweise gegen die Gebote von Treu und Glauben aus § 242 BGB verstoßen. Die Miete kann daher abhängig von den Umständen des Einzelfalls nach § 320 Abs. 2 BGB lediglich in angemessener Höhe zurückzubehalten werden[5], wobei sich die konkrete Höhe an den Mangelbeseitigungskosten orientieren soll und das Dreifache dieser Kosten betragen darf.[6]

Die Rechtsprechung der Instanzgerichte geht nach den Maßgaben der §§ 320 Abs. 2, 242 BGB bei einer vollständigen Zurückbehaltung im Einzelfall ebenfalls von einem Verstoß gegen die Gebote von Treu und Glauben aus. Allerdings soll sich die Höhe der Zurückbehaltung an dem Minderungsbetrag orientieren und das Drei- bis Fünffache betragen dürfen.[7]

 
Hinweis

Folgen für die Mietrechtspraxis

Für die Mietrechtspraxis bedeutet die unterschiedliche Auslegung der Rechte des Mieters aus § 320 BGB durch die beiden Zivilsenate des BGH zwangsläufig eine differenzierte Bestimmung des Umfangs des Zurückbehaltungsrechts zumindest nach dem Vertragszweck.

Aufgrund der Maßgaben des VIII. Zivilsenats des BGH wird der Mieter bei der Wohnraummiete im Falle eines Mangels in eine riskante Situation versetzt. Dennoch wird mit Blick auf die einzelfallbezogene Argumentation des BGH vertreten, dass eine Zurückbehaltung von 3 bis 4 Monatsmieten unbedenklich sei.[8] Der sich hieraus ergebende Gesamtbetrag für die Zurückbehaltung kann in zeitlicher Hinsicht gestreckt werden. Soweit die Zurückbehaltung jedoch unverhältnismäßig und nicht gerechtfertigt ist, ist der Einrede des nicht erfüllten Vertrags die Grundlage entzogen und es liegt ein Fall des Zahlungsverzugs vor.[9] Der Vermieter kann, sofern die jeweiligen Voraussetzungen vorliegen, hierauf mit einer außerordentlichen fristlosen bzw. (hilfsweisen) ordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses reagieren.

Bei einem gewerblichen Mietverhältnis wird mit Blick auf die Rechtsprechung des XII. Zivilsenats des BGH zu beachten sein, dass eine Zurückbehaltung der vollständigen Miete zwar nicht von vornherein ausgeschlossen ist, abhängig von den Umständen des Einzelfalls aber dennoch eine Begrenzung auf das Drei- bis Fünffache des Minderungsbetrags oder der Mangelbeseitigungskosten vorzunehmen ist. Auch hier gilt, dass eine überhöhte Zurückbehaltung der Miete einen Zahlungsverzug begründet, aufgrund dessen der Vermieter bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen das Mietverhältnis außerordentlich fristlos bzw. (hilfsweise) ordentlich kündigen kann.

[1] BGH, Urteil v. 17.6.2015, VIII ZR 19/14, NJW 2015, 3087; zust. Beyer, WuM 2019, 505; Flatow, WuM 2019, 431; a. A. BeckOGK-BGB/Rüfner, Stand: 1.4.2023, § 320 Rn. 44; Staudinger/Emmerich, 2021, 536 Rn. 1...

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