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Die technische Entwicklung im Karosserie- und Fahrzeugbau, insbesondere in der Karosserieinstandhaltungstechnik, führt zu ständigen Neuerungen bei der Instandsetzung von Kraftfahrzeugen. So wenig heute Autos wie vor 40 Jahren gebaut werden, so wenig sind Reparaturmethoden von heute mit denen vor 40 Jahren vergleichbar. Das ist auch für den technischen Laien ohne Weiteres erkennbar. Ob und wann herkömmliche Reparaturmethoden durch neue Reparaturverfahren abgelöst werden, ist dagegen eine Frage, die auch Fachleute oftmals nicht exakt beantworten können, weil erst die jahrelange Entwicklung, Erprobung und der Einsatz von neuen Reparaturtechniken in der Praxis deren wirklichen Wert zeigen. In der Zwischenzeit können unterschiedliche Reparaturmethoden am Markt in Konkurrenz treten, was die Schadensbehebung insbesondere im Haftpflichtfall zu einem rechtlichen Problem werden lässt. Ein ähnliches Phänomen ist in anderem Zusammenhang bekannt: Im Bereich der Arzthaftung[2] stellt sich beim Einsatz neuer Heilmethoden in vielen Fällen das Problem, ob die im Einzelfall angewandte neue Heilmethode den Anforderungen an eine Heilbehandlung nach medizinischem Standard genügt. Während sich Rechtsprechung und Wissenschaft im Bereich der Arzthaftung zwischenzeitlich auf einigermaßen sicherem Terrain bewegen,[3] lässt sich dies für die rechtliche Beurteilung alternativer Reparaturmethoden bei der Behebung von Schäden an Kraftfahrzeugen nicht sagen. Der Verfasser hat sich bereits an anderer Stelle mit einem Ausschnitt aus diesem Themenkreis befasst.[4] Eine breiter angelegte, rechtssystematische Einordnung des Problems, die auch die Stellung des Sachverständigen beleuchtet, ist dabei unterblieben. Diese soll jetzt nachgeholt werden.

[2] Passenderweise fällt auch dieser Bereich – wie die Kfz-Schäden aus Verkehrsunfällen – in die Zuständigkeit des VI. Zivilsenats des BGH.
[3] Vgl. BGHZ 113, 297; 168, 103; 172, 254; MüKo-BGB/Wagner, 6. Aufl., § 823 Rn 823 ff.; zur Rechtslage nach dem Patientenrechtegesetz vgl. jurisPK-BGB/Lafontaine, 7. Aufl., § 630a BGB Rn 309 ff.
[4] Wern, jM 2014, 184 ff.; vgl. jetzt auch Nugel, NZV 2015, 12 ff.

A. Grundsätze der Schadensbehebung bei Schäden an Kraftfahrzeugen

I. Naturalrestitution und Wertersatz

Kommt es bei einem Unfall zu einem Schaden an einem Kraftfahrzeug, für den ein anderer aufgrund einer Haftungsnorm (z.B. §§ 7 Abs. 1 StVG, 18 Abs. 1 StVG, § 823 BGB) eintrittspflichtig ist, steht dem Eigentümer des Fahrzeugs als dem Geschädigten gegen den Haftungsschuldner ein Anspruch auf Schadensersatz zu. Wie Schadensersatz zu leisten ist, wird durch die Vorschriften der §§ 249 ff. BGB geregelt. Zentrale Norm ist dabei § 249 BGB, der zu Recht als "Magna Charta" für den Geschädigten im Schadensrecht bezeichnet worden ist.[5]

[5] So etwa Steffen, NJW 1995, 2057, 2059.

1. Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 BGB

Gemäß § 249 Abs. 1 BGB hat der zum Schadensersatz Verpflichtete den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Der Anspruch richtet sich also gegen den Haftungsschuldner selbst. Dieser muss nach der Konzeption des Gesetzes einen Zustand herstellen, der so nie bestanden hat, nämlich einen Zustand, wie er bei Hinwegdenken des schädigenden Ereignisses eingetreten wäre.[6] Um diesen (hypothetischen) Zustand herzustellen, bedarf es grundsätzlich einer Vergleichsbetrachtung zwischen der Güterlage[7] des Geschädigten nach dem Schadensereignis und der (hypothetischen) Güterlage, wie sie ohne das Schadensereignis bestünde (sog. Differenzhypothese).[8] Alle sich hiernach ergebenden Unterschiede hat der Haftungsschuldner in Natur, also nicht rein wertmäßig, auszugleichen (totaler Schadensausgleich durch Naturalrestitution).[9]

[6] Insoweit ist der – auch vom BGH (z.B. BGHZ 27, 181; 61, 56; 178, 338) oftmals gebrauchte – Begriff der "Wiederherstellung" ungenau.
[7] Der Begriff der "Güterlage", wie er etwa von Rüßmann in: jurisPK-BGB, 6. Aufl., § 249 Rn 1 gebraucht wird, erscheint mir vorzugswürdig gegenüber anderen Begriffen wie etwa Vermögen (so etwa Medicus/Luckey in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 8. Aufl., § 249 Rn 5). Denn es handelt sich um einen umfassenden Vergleich, der sich nicht auf wirtschaftliche Güter beschränkt, die am Markt mit einem bestimmten Wert gehandelt werden.
[8] Die Differenzhypothese in diesem Sinne muss Ausgangspunkt aller schadensrechtlichen Überlegungen sein, wenn sie auch im Einzelfall durch normative Gesichtspunkte "korrigiert" wird; vgl. Staudinger/Schiemann, Neubearb. 2005, § 249 Rn 4 ff.; jurisPK-BGB/Rüßmann, 7. Aufl., § 251 Rn 12; Steffen, NJW 1995, 2057 f. Das hat auch der BGH stets so gesehen; vgl. BGHZ 45, 212; 54, 45; 98, 212; 188, 78; Urt. v. 18.10.2011 – VI ZR 17/11, NJW 2012, 50.
[9] Vgl. nur BGHZ 155, 1; Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearb. 2005, § 249 Rn 3.

2. Naturalrestitution nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB

Die praktische Bedeutung der Schadensbehebung durch den Ersatzverpflichteten nach § 249 Abs. 1 BGB ist gering.[10] Denn die meisten Geschädigten haben aus verständlichen Gründen kein Interesse daran, dem Haftungsschuldner, also meistens dem Schädiger, die Art und Weise der Schadensbehebung zu überlass...

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