Die Verteidigung sollte in jeder Verfahrenslage darum bemüht sein, in aussichtsreichen Fällen ein Sachverständigengutachten einholen zu lassen, ansonsten bestehen kaum noch Erfolgsaussichten für den Betroffenen. Liegt ein Sachverständigengutachten vor, so folgen Staatsanwaltschaft und Richter diesem in aller Regel, auch angesichts fehlender eigener technisch-physikalischer bzw. unfallanalytischer Sachkunde. Nur bei einer Entkräftung der im "standardisierten Messverfahren" gewonnenen Ergebnisse kann das Gericht dazu bewegt werden, den Bedenken der Verteidigung an der Messung zu folgen. Nur ein Sachverständiger mit dem Auftrag zur Überprüfung der Geschwindigkeit, bzw. der Überprüfung des eingesetzten Messgerätes, kann dahin gehende Feststellungen treffen.

I. Risiken gerichtlich in Auftrag gegebener Gutachten

Auf entlastende Ergebnisse in einem noch einzuholenden vom Gericht beauftragten Sachverständigengutachten sollte der Betroffene nicht vertrauen. Selbstverständlich gibt es ständig im Auftrag der Gerichte arbeitende Sachverständigengutachter, die ihren Dauerauftrag nur ihrer besonderen Fachkenntnis zu verdanken haben. Anderenorts wird man das Gefühl nicht los, dass die Justiz immer dieselben "Haus- und Hofgutachter" bestimmt, die sich bereits "bewährt" haben. Manchmal kann man sich als Verteidiger sogar das Ergebnis der Begutachtung bei Kenntnis einiger Gutachterpersonen schon im Vorfeld ausmalen.

II. Privatsachverständigengutachten

Die Verteidigung ist vor dem Hintergrund des Dargestellten oftmals gezwungen, auf Privatgutachter auszuweichen. Ein Privatsachverständigengutachten ist zum einen anzuraten, wenn das Gericht die Einholung eines Gutachtens verweigert. Aber auch, wenn ein gerichtlich eingeholtes Gutachten – mit nachteiligem Ergebnis für den Betroffenen – bereits vorliegt, kommt der Betroffene nicht umhin, zu seiner Entlastung und Entkräftung der u.U. nicht sorgfältig gewonnenen Ergebnisse des gerichtlich bestellten Gutachters ein privates Gegengutachten zur Messung bzw. Ladungssicherung oder zum Verkehrsunfall in Auftrag zu geben. Dem Rechtsanwalt wird es nur bei offenkundigen Fehlern im ersten Gutachten gelingen, dieses zu entkräften. Zwar muss der Betroffene im Bußgeldrecht nicht seine Unschuld nachweisen, sondern die Strafverfolgungsorgane dem Betroffenen eine rechtswidrige und vorwerfbare Handlung, die den Tatbestand eines Gesetzes verwirklicht (§ 1 Abs. 1 OWiG). Die Zeichen stehen hier jedoch ohne Privatgutachten in beiden Szenarien auf Verurteilung.

Angesichts der Bearbeitungszeit von mehreren Wochen durch den Privatgutachter ist es notwendig, diesen rechtzeitig zu beauftragen, damit die Ergebnisse in einem Bußgeldverfahren in erster Instanz zugunsten des Betroffenen noch berücksichtigt werden können. Bei einem unfallanalytischen Gutachten sollte nicht nur das Fahrzeug des Betroffenen noch zur Verfügung stehen, meist ist es auch notwendig, die Unfallspuren beim unfallgegnerischen Pkw zu untersuchen, um zur Wahrnehmbarkeit Stellung zu nehmen. Der Privatgutachter muss je nach Einzelfall unter Umständen Lichtbilder bei den Kfz-Versicherungen anfordern, wenn die Qualität der Fotoaufnahmen der Polizei aus der Akte der Bußgeldstelle nicht ausreicht. Kommt das Privatgutachten zu vorteilhaften Ergebnissen, sollte es rechtzeitig vor dem Gerichtstermin eingereicht werden. Die Verteidigung muss auf einer Ladung des Privatgutachters bestehen, ansonsten wird der Antrag der Verteidigung auf Ladung seiner Person oftmals unbeachtet gelassen. Weigert sich das Gericht, den Privatsachverständigen zu laden, etwa mit dem Argument, es sei bereits ein Gutachter gerichtlich bestellt worden, kommt die Verteidigung nicht umhin, über die Vorschriften des Selbstladungsverfahrens gem. §§ 220, 38 StPO i.V.m. § 46 OWiG vorzugehen.[8] Hierdurch kann die Ladung und Vernehmung des vom Betroffenen in Auftrag gegebenen Privatgutachters letztlich erzwungen werden.

[8] Fromm, SVR 2011, 132 ff.

III. Kosten des Privatgutachters

Hat der Betroffene eine Rechtsschutzversicherung,[9] ist ein Privatsachverständigengutachten von der Deckungszusage umfasst. Sofern dieses für die Verteidigung im Bußgeldverfahren erforderlich ist, trägt der Rechtsschutzversicherer – im Gegensatz zum Zivilverfahren (Unfallregulierung) – im Rahmen der Verteidigung gegen den Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit auch die Kosten eines Privatgutachtens. Ist der Betroffene nicht versichert, so lohnen sich die Kosten für ein Privatsachverständigengutachten gleichwohl, wenn man die Konsequenzen berücksichtigt, die eine Verurteilung nach sich ziehen kann (Punkteaufaddierung, Entziehung der Fahrerlaubnis). Dass die Kosten nur von Mandanten mit entsprechenden finanziellen Möglichkeiten aufgebracht werden können und damit auch die Qualität der Verteidigung verbessern können, ist nichts Unübliches.

Im Falle der Verfahrensförderung ist die Erstattungsfähigkeit eines Privatgutachtens zu bejahen, wenn der Sachverständige vor Gericht vernommen wurde.[10] Das Gericht hat auf Antrag nach § 220 Abs. 3 StPO anzuordnen, dass diesem die gesetzliche Entschädigung aus der Staatskasse zu gewähren ist.

[9] Schäpe in...

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