Entscheidungsstichwort (Thema)

Einsicht in digitale Messdatei bei standardisierter Messung

 

Leitsatz (amtlich)

Hat sich der Tatrichter aufgrund der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung davon überzeugt, dass die Voraussetzungen eines sog. standardisierten Messverfahrens im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 39, 291; 43, 277) eingehalten wurden, verstößt die Ablehnung eines Antrags der Verteidigung auf Einsichtnahme in die digitale Messdatei und deren Überlassung einschließlich etwaiger sog. Rohmessdaten nicht gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens.

 

Normenkette

GG Art. 20 Abs. 3; EMRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. a, b; StPO § 337 Abs. 1, § 338 Nr. 8, § 344 Abs. 2 S. 2; OWiG § 80a Abs. 3 S. 1; StVG § 25 Abs. 1 S. 1; StVO § 49 Abs. 3 Nr. 4; BKat Nr. 11.3.7 Anhang Tabelle 1c; GG Art. 103 Abs. 1; EMRK Art. 6 Abs. 1; StPO §§ 147, 244 Abs. 2, § 261; OWiG § 46 Abs. 1, § 77 Abs. 2 Nr. 1, § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; StVO § 41 Abs. 1; BKatV § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 (B)

 

Tatbestand

Das AG hat den Betr. am 03.09.2015 wegen fahrlässiger Überschreitung der außerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 41 km/h zu einer Geldbuße von 160 Euro verurteilt und gegen ihn wegen eines groben Pflichtenverstoßes i.S.d. §§ 25 I 1 1. Alt. i.V.m. § 4 I 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. lfd.Nr. 11.3.7 der Tab. 1c zum BKat ein Regelfahrverbot von einem Monat angeordnet. Nach den Feststellungen befuhr der seine Fahrereigenschaft einräumende, jedoch die Richtigkeit der mit dem Messgerät ES3.0 (Softwareversion 1.007.1) durchgeführten polizeilichen Geschwindigkeitsmessung bestreitende Betr. am 01.09.2014 um 15.12 Uhr mit einem Pkw eine als zweispurige Kraftfahrstraße ohne Standstreifen ausgebaute Bundesstraße, wobei er die seit der letzten Auffahrt bis zur Messstelle zweimal beidseitig der Fahrbahn nach §§ 41 I i.V.m. Zeichen 274, 49 III Nr. 4 StVO angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h abzüglich einer Messtoleranz von 6 km/h aus Fahrlässigkeit um (mindestens) 41 km/h überschritt. Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel blieb ohne Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der nach § 79 I Nr. 2 OWiG statthaften und auch im Übrigen zulässigen, vom Einzelrichter gemäß § 80a III 1 i.V.m. I OWiG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zur Entscheidung übertragene Rechtsbeschwerde deckt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betr. auf (§ 79 III 1 OWiG i.V.m. § 349 II StPO). Anlass zu einer vertiefenden Erörterung gibt dem Senat allein die verfahrensrechtliche Beanstandung, mit welcher der Betr. die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Art. 20 III GG i.V.m. Art. 6 III Buchst. a und b MRK sowie des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 I GG mit der Begründung rügt, dass ihm die Überlassung der digitalen Messdatei in unverschlüsselter Form durch Gerichtsbeschluss rechtsfehlerhaft verweigert worden sei. Hierdurch sei die Verteidigung zugleich in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt i.S.v. § 79 III 1 OWiG i.V.m. § 338 Nr. 8 StPO unzulässig beschränkt worden.

1. Es bestehen bereits Zweifel, ob die Verfahrensrüge in zulässiger Weise erhoben wurde.

a) Für die Annahme, die Verteidigung sei in einem für die "Entscheidung wesentlichen Punkt" beschränkt worden, reicht es nicht aus, dass die Beschränkung nur abstrakt geeignet ist, das angefochtene Urteil zu beeinflussen. Denn der Rechtsbeschwerdegrund i.S.v. § 79 III 1 OWiG i.V.m. § 338 Nr. 8 StPO ist nur gegeben, wenn die Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem geltend gemachten Verfahrensverstoß und dem Urteil konkret besteht, also die Sachentscheidung auf der Verteidigungsbeschränkung beruht. Im Rahmen der Begründung müssen daher wenigstens Tatsachen vortragen werden, auf Grund derer die Möglichkeit des Beruhens durch das Revisions- oder Rechtsbeschwerdegericht geprüft werden kann (st.Rspr., u.a. BGH, Urt. v. 26.05.1981 - 1 StR 48/81 = BGHSt 30, 131/135 = NJW 1981, 2267 = NStZ 1981, 361 = StV 1981, 500; BGH, Beschlüsse v. 11.02.2014 - 1 StR 355/13 = NStZ 2014, 347 = BGHR StPO § 338 Nr. 8 = StV 2015, 10 und vom 02.12.2015 - 4 StR 423/15 [bei [...]]; vgl. auch LR/Franke StPO 26. Aufl. § 338 Rn. 125; KK/Gericke StPO 7. Aufl. § 338 Rn. 101; SSW/Widmaier/Momsen StPO 2. Aufl. § 338 Rn. 79; Meyer-Goßner/Schmitt § 338 Rn. 59, jeweils m.w.N.).

b) Die Erfüllung dieser Voraussetzungen erscheint schon deshalb fraglich, weil die Rechtsbeschwerde keine Anhaltspunkte dafür aufzeigt, dass die Ablehnung der Überlassung der digitalen Messdatei für die Sachentscheidung des AG eine konkret-kausale Bedeutung erlangt hat. Bei der Rüge der Ablehnung eines Antrags auf Beiziehung von Akten bzw. sonstigen Beweismitteln ist ein substantiierter Vortrag erforderlich, welche Tatsachen sich hieraus ergeben hätten und welche Konsequenzen für die Verteidigung daraus folgten (BGH, Beschl. v. 23.10.2010 - 4 StR 599/0...

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