“II. 3. Hinzu kommen die berechtigten vorgerichtlichen Anwaltsgebühren, soweit sie noch offen sind. Dabei handelt es sich um weitere 111,38 EUR.

Bei einem berechtigten Streitwert von bis zu 30.000 EUR (26.069,13 EUR) beträgt die einfache Gebühr 758 EUR. Bei Zugrundelegung einer 1,3fachen Gebühr, der Pauschale i.H.v. 20 EUR zzgl. MwSt. ergeben sich Gebühren i.H.v. 1.196,42 EUR. Darauf hat die Bekl. bereits 1.085,04 EUR gezahlt, so dass eine Differenz i.H.v. 111,38 EUR verbleibt.

Nach Auffassung des Senats ist hier eine Erhöhung der 1,3fachen Regelgebühr auf eine 1,5fache Gebühr – wie vom Kl. beantragt – nicht gerechtfertigt. Die Sache ist für den Rechtsanwalt des Kl. nicht überdurchschnittlich aufwändig oder schwierig gewesen. Es handelt sich für den Klägervertreter in diesem Verfahren um einen durchschnittlich schwierigen Verkehrsunfall, nämlich lediglich um die Abwicklung von Sachschäden aus einem Verkehrsunfall. Ein über den durchschnittlichen Verkehrsunfall hinausgehender Aufwand oder eine besondere Schwierigkeit ist weder vorgetragen noch sonst aus der Akte ersichtlich. Der Sachschaden als solcher ist unstreitig. Die Parteien streiten in der Sache lediglich – wie regelmäßig – um die Haftungsquote.

Der Senat ist auch nicht an die Bestimmung einer 1,5fachen Geschäftsgebühr durch den Rechtsanwalt gebunden. Zwar räumt der 9. ZS des BGH dem Rechtsanwalt auch im Rahmen von Nr. 2300 VV RVG einen Spielraum zur Gebührenbestimmung von 20 % (sog. Toleranzgrenze) mit der Folge ein, dass im Falle einer lediglich durchschnittlich aufwändigen Tätigkeit dennoch die Erhöhung der 1,3fachen Geschäftsgebühr auf eine 1,5fache Gebühr einer gerichtlichen Nachprüfung entzogen sei (BGH zfs 2011, 465 m. Anm. Hansens = RVGreport 2011,136 (Hansens) = AnwBl. 2011, 402). Allerdings stößt diese Rspr. zu Recht auf Kritik (vgl. FG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 12.7.2011 – 2 KO 225/11; Nugel, jurisPRVerkR 18/2011 Anm. 4; Hansens, Urteilsanmerkung in zfs 2011, 465; siehe ferner OLG Jena RVGreport 2005, 145 (Hansens) = AGS 2005, 201 = JurBüro 2005, 303).

Der Senat teilt diese Kritik und folgt nicht der o.g. Rspr. des BGH. Der Gesetzgeber hat für den “Durchschnittsfall' in Nr. 2300 VV RVG (bzw. zuvor in Nr. 2400) als Regelsatz die 1,3fache Gebühr vorgesehen. Für eine darüber hinaus gehende Gebühr hat er ausdrückliche Kriterien dahingehend festgelegt, dass der Rechtsanwalt eine Gebühr von mehr als 1,3 nur fordern kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Diese Voraussetzungen unterliegen der gerichtlichen Überprüfung. Das kann nicht durch die vom BGH herangezogene Toleranzgrenze eingeschränkt werden. Der eindeutige Wortlaut einer Vorschrift zieht einer richterlicher Auslegung Grenzen (vgl. BVerfG NJW 2011, 3020). Nr. 2300 VV RVG sieht es aber nicht vor, dass sich der Rechtsanwalt durch einseitige Bestimmung in einem “Durchschnittsfall' anstelle einer 1,3 fachen Regelgebühr zu einer gerichtlich nicht nachprüfbaren 1,5 fachen Geschäftsgebühr verhelfen kann (FG Sachsen-Anhalt, a.a.O.).

Eine andere Wertung, insb. die Einräumung eines Toleranzspielraums, würde dem klaren Gesetzeswortlaut widersprechen und im Ergebnis dazu führen, dass die ohnehin schon erfolgte Erhöhung der Regelgebühr von 1,0 in VV 2300 auf den 1,3fachen Regelsatz in Zukunft in jedem durchschnittlichen Fall auf das 1,5fache angehoben werden könnte und würde. Dies aber läuft der eindeutigen Intention des Gesetzgebers zuwider.“

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