Eine – insbesondere – kontrovers erörterte Konstellation liegt vor, wenn in einer Klausel ein pauschaler Bezug auf die in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger erfolgt, ohne dass sich daran direkt eine Einschränkung des Katalogs mit angeführten Infektionen und Erregern anschließt.

a) Argumente für und gegen eine dynamische Verweisung

In diesen Bedingungswerken wird i.d.R. auf einen Anhang verwiesen, der eine Liste der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger gem. den §§ 6 und 7 IfSG enthält und dadurch einen weiteren Argumentationsspielraum eröffnet: Beispielsweise sieht § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG einen Verweis auf eine bedrohlich übertragbare Krankheit vor, die nicht bereits nach den Nummern 1 bis 4 meldepflichtig ist. Dann können aus Sicht eines verständigen VN eben auch andere als die in den Nummern 1–4 von § 6 IfSG genannten Infektionen und Erreger vom Versicherungsschutz erfasst sein. Unklarheiten gehen hierbei jedenfalls zu Lasten des Verwenders und die COVID-19 Erkrankung lässt sich bei einer Betrachtung zugunsten des VN sehr wohl im Sinne der oben genannten Ausnahmeklausel als eine bedrohlich übertragbare Krankheit verstehen, von der eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht.

Diese Einschätzung teilt auch das LG Mannheim in einer ersten Entscheidung: Enthalten die Bedingungen keine enumerative Aufzählung von verschiedenen Erregern bzw. Krankheiten, sondern nehmen auf die §§ 6, 7 IfSG Bezug, geht der durchschnittliche VN aus Sicht des Gerichtes davon aus, dass alle unter dieser Vorschrift fallenden Erreger und Krankheiten Grundlage der versicherten Betriebsunterbrechung sein können.[33]

Praxistipp: Nach Ansicht des LG Mannheim soll eine dynamische Verweisung immer dann in Betracht kommen, wenn in den Bedingungen kein Hinweis auf eine konkrete Gesetzesfassung vorhanden ist. Enthalten die Bedingungen dagegen einen solchen Hinweis auf ein konkretes Datum des IfSG wäre der Fall auch aus Sicht des LG mithin wohl anders zu beurteilen.[34] ,

Kurzum: Bei einem konkreten vereinbarten Datum als Bezugspunkt bedarf es dann der einfachen Prüfung, ob eine Aufnahme in das IfSG zu diesem Zeitpunkt erfolgt ist, um eine Deckung auszulösen.[35]

Der Bezug auf das IfSG ist aber jeweils genau zu prüfen und im Kontext mit einer – häufig erfolgten – namentlichen Aufzählung bestimmter Krankheitserreger auszulegen. Denn eine namentliche Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger legt nahe, dass der Versicherer nur für diese besonderen, explizit aufgezählten Risiken einstehen möchte. Auch aus Sicht des durchschnittlichen VN wäre andernfalls zu erwarten, dass auf besondere Weise klargestellt wird, dass diese Aufzählung nicht abschließend sein soll – so durch die Verwendung von Wörtern wie "insbesondere" oder "beispielsweise". Ein Hinweis auf eine bloß beispielhafte Aufzählung liegt überzeugender Weise auch nicht in der Verwendung des Wortes "namentlich", da dieses in diesem Kontext kein Synonym für "insbesondere" darstellt, sondern im Sinne von "mit ihrem Namen benannt" verwendet wird.[36] Diese Auslegung nimmt jedenfalls eine Vielzahl an Gerichten vor – gerade auch, wenn zusätzlich noch das Wort "folgende" verwendet wird.[37]

Die in vielen Verfahren auftretende, gleichermaßen branchenübliche Aufzählung einer Klausel der Betriebsschließungsversicherung "Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne der Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger" ist mit diesen Argumenten mithin als abschließend anzusehen und enthält keine dynamische Verweisung auf das Infektionsschutzgesetz. Durch die Verwendung des Wortes "namentlich" in unmittelbarem Anschluss an die §§ 6 und 7 IfSG wird nach diesem Verständnis ohne weiteres deutlich, dass gerade zum einen nur die in diesen Vorschriften überhaupt und zum anderen auch nur namentlich nach genannten Krankheiten und Krankheitserreger gemeint sein sollen. Auf die Generalklauseln in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 IfSG und § 7 Abs. 2 IfSG wird dagegen im Zusammenspiel mit dem Zusatz "folgende" gerade nicht verwiesen. Diese Erwägungen gelten umso mehr, wenn das Wort "folgende" mittels Fettdruck deutlich vom übrigen Text hervorgehoben wird, während keine Öffnungsklausel mit dem Zusatz "insbesondere", "u.a." oder "beispielsweise" enthalten ist.[38] Dann ist auch für den VN klar und verständlich erkennbar, dass ein Versicherungsschutz nur für sämtliche Krankheiten und Krankheitserreger gewährt wird, die namentlich aufgeführt sind.[39]

[33] LG Mannheim, Urt. v. 29.4.2020 – 11 O 66/20 = zfs 2020, 392.
[34] Vgl. auch Günther in FD-VersR 2020, 429369.
[35] Korff, COVuR 2020, 246; Fortmann, VersR 2020, 1073.
[36] LG Bayreuth, Urt. v. 15.10.2020 – 22 O 207/20.
[37] OLG Hamm, Beschl. v. 15.7.2020 – I-20 W 21/20 – juris; LG Essen, Beschl. v. 16.6.2020 – 18 O 150/20 – juris; LG Ellwangen, Urt. v. 17.9.2020 – 3 O 187-20 – juris; LG Bayreuth, Urt. v. 15.10.2020 – 22 O 207/20; LG Stuttgart, Urt. v. 2.11.2020 – 18 O 264/20; LG Oldenbu...

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