Aktuelle Entwicklungen im Recht der Fahrerlaubnis

Einführung

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seiner Entscheidung vom 26.6.2008[1] Verkehrsteilnehmern, denen die Fahrerlaubnis wegen Fahrten unter Alkohol- oder Drogeneinfluss entzogen wurde, das Ausweichen auf eine Führerscheinprüfung im Ausland erschwert. Dieses besonders in Deutschland mit Aufmerksamkeit verfolgte Urteil ist als Fortsetzung einer Reihe von Entscheidungen des EuGH zum sog. Führerscheintourismus einzuordnen. Parallel versucht der deutsche Gesetzgeber mit einer Novellierung der Fahrerlaubnis-Verordnung diesen Missbrauch einzuschränken. Der Beitrag betrachtet die durch EuGH-Rechtsprechung und Gesetzgebung geprägte Entwicklung des Fahrerlaubnisrechts im Bereich der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen unter Berücksichtigung der verkehrspolitischen Ziele der Europäischen Union (EU).

[1] EuGH, Urt. v. 26.6.2008 – C-334/06; C-335/06 und C-336/06; EuGH NJW 2008, S. 2403 = SVR 2008, S. 270 f. S.a. Pressemitteilung Nr. 41/08 des EuGH vom 26.6.2008.

I. Einführung

Der Begriff Führerscheintourismus beschreibt den Erwerb eines in einem EU-Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins für Personen, denen die Fahrerlaubnis – häufig wegen Fahrten unter Alkohol- oder Drogeneinfluss – entzogen wurde. Die Bezeichnung hat sich eingebürgert, weil der gesetzlich geforderte Aufenthalt im betreffenden europäischen Land häufig den Charakter einer kurzen, touristischen Unternehmung hat. Mit dem Führerscheintourismus wird in Deutschland geltendes Recht, insbesondere die Eignungsprüfung nach schweren oder wiederholten Verkehrsverstößen,[2] unter Bezugnahme auf das Gemeinschaftsrecht der EU umgangen. Nach europäischem Recht haben die Mitgliedstaaten die von ihnen ausgestellten Führerscheine gegenseitig anzuerkennen. Durch den Erwerb der Fahrerlaubnis in einem anderen europäischen Mitgliedstaat können sich Kandidaten dem Zuständigkeitsbereich der deutschen Fahrerlaubnisbehörden entziehen. Für die Erteilung der Fahrerlaubnis gelten die Gesetze des jeweiligen Ausstellerstaates. Die den deutschen Behörden vorliegende Verkehrsvorgeschichte ist den anderen Mitgliedsstaaten in der Regel nicht bekannt, da keine einheitliche Registerführung in der EU existiert. Die fehlende Einheitlichkeit des europäischen Fahrerlaubnisrechts wird von vielen nach den strengeren deutschen Rechtsnormen ungeeigneten Kraftfahrern im Rahmen des Führerscheintourismus genutzt, um nationales Recht zu umgehen und ihre Mobilität auf diese Weise zu erhalten.

[2] Die MPU ist unverzichtbar, da mit ihr ein Verhaltenswandel im Sinne einer verlässlichen, verkehrssicheren Verhaltensweise überprüft wird. Vgl. Graumann, zfs 2005, S. 168 ff.; Hillmann, DAR 2005, S. 601 ff.; Geiger, NZV 2007, S. 489 ff.

II. Hintergrund

1. Ansätze der europäischen Verkehrspolitik

Im Weißbuch Verkehr aus 2001 nennt die EU-Kommission die Halbierung der Zahl der Verkehrstoten bis 2010 als Ziel.[3] Das 2003 verabschiedete Europäische Aktionsprogramm für die Straßenverkehrssicherheit bekräftigt dieses Ziel.[4] Neben Maßnahmen zur Verbesserung der Straßeninfrastruktur[5] und Erhöhung der Fahrzeugsicherheit[6] sollen auch die Verkehrsteilnehmer durch verschiedene Maßnahmen zu einem besseren Verkehrsverhalten angehalten werden. Alljährlich werden rund 1,3 Mio. Unfälle im europäischen Straßenverkehr sowie mehr als 40.000 getötete und 1,7 Mio. verletzte Teilnehmer im Straßenverkehr verzeichnet.[7] Dabei sehen sich alle EU-Mitgliedstaaten denselben Problemen gegenüber: Zu den Hauptunfallursachen zählen insbesondere Alkohol- und Drogenkonsum, wobei das Problem des Fahrens unter Drogeneinfluss zunimmt.

[3] Im Weißbuch der EU-Kommission aus 2001 mit dem Titel "Die europäische Verkehrspolitik bis 2010: Weichenstellung für die Zukunft" werden praktische Maßnahmen beschrieben. Hauptziel soll es sein, die Qualität und Effizienz des Verkehrs in Europa bis 2010 wesentlich zu verbessern.
[4] Vgl. Europäisches Aktionsprogramm für die Straßenverkehrssicherheit, Mitteilung der Kommission KOM (2003) 311; zur Halbzeitbilanz des Programms vgl. Mitteilung der Kommission KOM (2006) 74.
[5] Legislativ-Vorschläge dazu findet man unter www.europa.eu.int/com/index_de.htm.
[6] Z.B. Richtlinie 96/27/EG und 96/79/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.1996 und vom 16.12.1996 über den Schutz der Kraftfahrzeuginsassen beim Seitenaufprall und beim Frontalaufprall Amtsblatt L 169 vom 8.7.1996, S. 1 und Amtsblatt L 18 vom 21.1.1997, S. 7.
[7] Jahresbericht Statistik 2007 des European Road Safty Oberservatory (www.erso.eu).

2. Das Kapper-Urteil des EuGH und seine Folgen

Ausgangspunkt der EuGH-Rechtsprechung zum Führerscheintourismus ist die sog. Kapper-Entscheidung vom 29.4.2004.[8] Das Urteil enthielt die auf den ersten Blick unspektakuläre Aussage, dass jeder Mitgliedstaat grundsätzlich verpflichtet ist, die in einem anderen EU-Staat ausgestellten Führerscheine ohne weitere Prüfung anzuerkennen. Auf etwaige Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit derartiger Verwaltungsakte, z.B. wegen Umgehung des Wohnsitzerfordernisses oder der Täuschung über verkehrsrechtliche Vorbelastungen, auf M...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge