" … 1. Zwar ereignete sich der Unfall beim Betrieb des vom Bekl. zu 1) gesteuerten Sattelzuges, § 7 Abs. 1 StVG. Die Ersatzpflicht der Bekl. ist nicht gem. § 7 Abs. 2 StVG durch höhere Gewalt ausgeschlossen. Auch greift hier kein Anspruchsausschluss nach § 17 Abs. 3 StVG wegen Vorliegens eines unabwendbaren Ereignisses ein. Gegenüber einem Geschädigten, der selbst nicht als Halter eines Kfz für die Betriebsgefahr eines unfallbeteiligten Kfz einzustehen hat, ist § 17 StVG nicht anwendbar."

Der Bekl. zu 1) hat den Nachweis geführt, dass der Unfall nicht durch sein Verschulden verursacht worden ist, § 18 Abs. 1 S. 2 StVG. Im Ergebnis kann dies aber auch letztlich dahin gestellt bleiben. Denn eine Haftung der Bekl. gegenüber dem Kl. besteht jedenfalls deshalb nicht, weil diesen ein weitaus überwiegendes Mitverschulden an dem Zustandekommen des Unfalls trifft, § 254 Abs. 1 BGB, § 9 StVG.

2. Im Rahmen der danach vorzunehmenden Haftungsabwägung ist auf Seiten der Bekl. kein schuldhafter Verkehrsverstoß des Bekl. zu 1) festzustellen.

2.1 Der Bekl. zu 1) hat nicht gegen § 9 Abs. 5 StVO verstoßen. Zunächst greifen die Vorschriften der StVO auch für Fahrvorgänge am hier in Rede stehenden Unfallort, auch wenn dieser auf dem Betriebsgelände eines Supermarktes liegt. Gegenstand der gesetzlichen Regelung der StVO ist gem. § 1 Abs. 1 StVO die Teilnahme am Straßenverkehr. Dies meint alle Vorgänge im öffentlichen Verkehrsraum (König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, § 1 StVO Rn 13). Ob ein Verkehrsraum öffentlich ist oder nicht, bemisst sich nicht nach den Eigentumsverhältnissen an den jeweiligen Grundstücksflächen, sondern danach, ob der in Rede stehende Verkehrsraum ausdrücklich oder stillschweigend durch den jeweils Berechtigten für den öffentlichen Verkehr freigegeben ist (König, a.a.O., § 1 StVO Rn 14). Danach ist ein Verkehrsraum dann öffentlich, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber zumindest für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird (BGH NJW 2004, 1965). Auf Parkplätzen, die – wie hier – Jedermann zugänglich sind, findet die StVO regelmäßig – auch ohne eine entsprechende Beschilderung – Anwendung (vgl. auch OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 8.9.2009 – 14 U 45/09, BeckRS 2010, 01841). Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.

2.2 Nach § 9 Abs. 5 StVO muss sich der Rückwärtsfahrende so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass der Bekl. zu 1) sich mit seinem Sattelzug vorwärts bewegt hat, und nicht rückwärts gefahren ist. Zwar hat der Zeuge T2 im Rahmen des Ermittlungsverfahrens einerseits ausgesagt, der Sattelzug habe sich rückwärts bewegt, als der Kl. zwischen die beiden Hinterachsen des Aufliegers geraten sei. Im gleichen Atemzug hat er seine zuvor gemachten Angaben jedoch entwertet, indem er einräumt, dass er nicht sagen könne, ob sich der Sattelzug noch leicht vorwärts oder rückwärts bewegt habe. Dass der Bekl. zu 1) rückwärts gefahren ist, als es zum Unfall mit dem Kl. kam, steht auch nicht aufgrund der von dem Zeugen U in den Unfallbericht als Angaben des Bekl. zu 1) aufgenommenen Äußerungen des Bekl. zu 1) fest. Es kann dahin gestellt bleiben, ob sich der Bekl. zu 1) – was dieser bestreitet – am Unfallort gegenüber den unfallaufnehmenden Polizeibeamten entsprechend geäußert hat, oder ob hier ein Verständigungs- oder ein Protokollierungsversehen vorliegt. Denn der Sachverständige Prof. T hat aus technischer Sicht die Unfallschilderung des im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen T3 bestätigt. Danach unterliege es keinem Zweifel, dass der Sattelzug vorwärts und nicht rückwärts bewegt worden sei. Der Sachverständige hat das Unfallgeschehen in einer Versuchsreihe nachgestellt und die Ergebnisse anhand der von ihm überreichten Anlagen im Termin mündlich erläutert. Die Versuchsreihe habe ergeben, dass sich der Sattelzug mit maximal 4,5 km/h vorwärts bewegt habe. Eine solch niedrige Geschwindigkeit werde von dem Fahrtenschreiber nicht aufgezeichnet. Der Versuch habe weiter gezeigt, wie es dazu kommen konnte, dass der Kl. zwischen den Hinterachsen des Aufliegers auf dem Rücken zu liegen kam. Dies sei das Ergebnis des übereinstimmend von den Zeugen T3 und T2 im Ermittlungsverfahren beschriebenen Bemühens des Kl., sich an dem vorwärts rollenden Sattelzug mit den Händen abzustützen. Hierdurch habe der Kl. – wie der Sachverständige im Senatstermin anschaulich demonstriert hat – einen Drehimpuls erhalten, wobei der Schwerpunkt im Hüftbereich unverändert bleibe. Dass die attestierten Verletzungen ausschließlich die linke Körperhälfte des Kl. betrafen, sei ein aussagekräftiger Hinweis darauf, dass der Sattelzug in Vorwärtsbewegung gewesen sein müsse. Bei einer Rückwärtsfahrt hätte er zuvor den Körper des Kl. komplett überrollen müssen, um in die fotografisch dokumentierte Endstellung zu...

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