EuGVVO Art. 27 28

Leitsatz

1. Die für die Aussetzung gem. Art. 27 EuGVVO erforderliche Parteiidentität ist zu verneinen, wenn der in Deutschland ansässige Beteiligte eines Verkehrsunfalls seine unfallbedingten Schadensersatzansprüche gegen den ausländischen Haftpflichtversicherer bei seinem deutschen Wohnsitzgericht einklagt, nachdem zuvor der ausländische Unfallbeteiligte wegen seiner Ansprüche Klage gegen ihn bei den Gerichten des anderen EU-Staats erhoben hat.

2. Zu den Kriterien, nach denen über die Aussetzung eines Rechtsstreits gem. Art. 28 Abs. 1 EuGVVO zu entscheiden ist.

BGH, Urt. v. 19.2.2013 – VI ZR 45/12

Sachverhalt

Der in Deutschland ansässige Kl. nimmt die Bekl. zu 1), den in Belgien ansässigen Haftpflichtversicherer des Unfallgegners, wegen eines Verkehrsunfalls in Belgien auf Schadensersatz in Anspruch. Der Streit der Parteien dreht sich um die Frage, ob der vorliegende, beim LG Konstanz anhängige Rechtsstreit im Hinblick auf ein Verfahren vor belgischen Gerichten hätte ausgesetzt werden müssen. In jenem Verfahren hat der Unfallgegner des Kl., der frühere Bekl. zu 2) seinerseits Schadensersatz von dem Kl. gefordert.

Die Klage des Kl. hatte vor dem LG und dem OLG Erfolg. Mit der von dem OLG zugelassenen Revision hat die Bekl. zu 1) die Abweisung der Klage verfolgt. Die Revision der Bekl. zu 1) führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung zur neuen Verhandlung und Entscheidung.

2 Aus den Gründen:

[6] "… 1. Die Revision ist insgesamt statthaft (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Sofern das BG eine Beschränkung der Revisionszulassung für die Bekl. beabsichtigt haben sollte, wäre diese unzulässig, so dass die Revision unbeschränkt zugelassen ist (vgl. Senatsurt. v. 12.12.2006 – VI ZR 4/06, VersR 2007, 811 Rn 4 m.w.N., insoweit in BGHZ 170, 180 nicht abgedruckt)."

[7] 2. Die Entscheidung des BG, den Rechtsstreit nicht nach Art. 27, 28 EuGVVO auszusetzen, kann mit der Revision angegriffen werden. Das Verfahren der Aussetzung nach Art. 27, 28 EuGVVO bestimmt sich nach nationalem Recht (vgl. Kropholler/von Hein, 9. Aufl., EuZPR, Art. 27 Rn 24; Rauscher/Leible, EuZPR/EuIPR, Bearb. 2011, Art. 28 EuGVVO Rn 7; siehe auch BGH, Urt. v. 6.2.2002 – VIII ZR 106/01, NJW 2002, 2795, 2797). Nach § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO in der seit dem 1.1.2002 geltenden Fassung kann das OLG in seinen Beschlüssen die Rechtsbeschwerde zulassen. Wenn ein gesonderter Beschluss über die Ablehnung der Aussetzung anfechtbar sein kann, muss auch eine Überprüfung der in einem Urteil ausgesprochenen Ablehnung im Rahmen der Revision möglich sein (vgl. Anders, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 4. Aufl., § 252 Rn 3; MüKo-ZPO/Gehrlein, 4. Aufl., § 252 Rn 8; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, 33. Aufl., § 252 Rn 1; siehe auch BAG NJW 1968, 1493 f.; Musielak/Ball, ZPO, 9. Aufl., § 557 Rn 9; a.A. Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 252 Rn 1c; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 71. Aufl., § 252 Rn 5; Hk-ZPO/Wöstmann, 5. Aufl., § 252 Rn 2).

[8] 3. Die Revision wendet sich nicht gegen die zutreffende Annahme der Vorinstanzen, dass der Geschädigte, der seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, nach Art. 11 Abs. 2, Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO vor dem Gericht seines Wohnsitzes eine Klage unmittelbar gegen den VR erheben kann, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist und der VR seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates hat (vgl. Senatsurteile vom 6.5.2008 – VI ZR 200/05, BGHZ 176, 276 Rn 4 ff.; vom 23.10.2012 – VI ZR 260/11, VersR 2013, 73 Rn 20; EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – C-463/06, VersR 2008, 111 Rn 21 ff. – Odenbreit).

[9] 4. Die Revision beanstandet ohne Erfolg, dass das BG eine Aussetzung des Rechtsstreits nach Art. 27 EuGVVO abgelehnt hat.

[10] a) Art. 27 EuGVVO regelt, dass dann, wenn bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden, das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aussetzt, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht (Abs. 1), und dass, sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, sich das später angerufene Gericht zugunsten dieses Gerichts für unzuständig erklärt. Die Klage ist im letztgenannten Fall als unzulässig abzuweisen (vgl. BGH, Urt. v. 9.10.1985 – IVb ZR 36/84, NJW 1986, 662; OLG Köln, VersR 2012, 1058 f.; Kropholler/von Hein, EuZPR, 9. Aufl., Art. 27 EuGVVO Rn 25; Wagner, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., Art. 27 EuGVVO Rn 60 f.).

[11] Art. 27 EuGVVO ist den Prozessvoraussetzungen und damit der Zulässigkeit der Klage zuzuordnen. Die Vorschrift normiert ebenso wie das Prozesshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO eine negative Prozessvoraussetzung (vgl. zu Art. 21 EuGVÜ BGH, Urt. v. 9.10.1985 – IVb ZR 36/84, NJW 1986, 662; vom 20.11.2003 – I ZR 294/02, BGHZ 157, 66, 68 zu Art. 31 Abs. 2 CMR; OLG Stuttgart OLGR 2001, 288, 289). Die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von...

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