StVO § 11 Abs. 3

Leitsatz

Der Vorrang des Kreuzungsräumers bzw. Nachzüglers leitet sich (nur) aus § 11 Abs. 3 StVO ab, weshalb für den Vorfahrtsberechtigten im Hinblick auf den Kreuzungsräumer eine besondere Verkehrslage erkennbar sein muss und der Kreuzungsräumer sich über den Vorfahrtsverzicht des Berechtigten mit diesem verständigen muss.

(Leitsatz des Einsenders)

KG, Beschl. v. 12.5.2011 – 22 U 40/11

Sachverhalt

Die Bekl. zu 1) war mit ihrem Pkw im Kreuzungsbereich, in den sie bei Grün eingefahren war, hängen geblieben, als der kreuzende Verkehr bei für sie grün zeigender Lichtzeichenanlage einfuhr. Für die Bekl. zu 1) war die Sicht durch einen im Kreuzungsbereich stehenden Lkw versperrt; sie musste damit rechnen, dass auch die Sicht für den kreuzenden Verkehr auf ihr Fahrzeug beeinträchtigt war. Die Bekl. zu 1) fuhr mit ihrem Fahrzeug an und stieß mit dem Fahrzeug der Kl. zusammen, das zwei weiteren Fahrzeugen folgte, die bereits die Kreuzung bei grünem Lichtzeichen in ihrer Fahrtrichtung passiert hatten.

Das LG ging von einer vollen Haftung der Bekl. zu 1) aus. Dem folgte das KG in seinem Hinweisbeschluss.

2 Aus den Gründen:

"Ausgehend von der sich danach ergebenden Sachlage, nach der die Sicht für die Bekl. zu 1) durch einen Lkw versperrt war, zuvor schon zwei weitere Fahrzeuge aus der Richtung des Fahrers des Pkw der Kl. fuhren und sowohl der Lkw als auch die Pkw bereits bei für sie grünem Lichtzeichen losgefahren und damit als bevorrechtigter Verkehr erkennbar waren, hat das LG zu Recht mit ausführlicher Begründung die volle Haftung der Bekl. angenommen. In dieser Situation, in der der Bekl. zu 1) das Kreuzungsräumen zuvor schon verwehrt war und der Querverkehr bereits die Kreuzung befahren hatte, konnte sie sich nicht mehr darauf verlassen, dass sie als Kreuzungsräumerin erkennbar war, zumal sie damit rechnen musste, durch den Lkw für bevorrechtigte Verkehrsteilnehmer verdeckt zu sein, sodass diese eine besondere Verkehrslage schon nicht hätten erkennen können. Sie durfte daher nicht mehr bzw. jedenfalls nicht mehr vor eindeutiger Klärung mit dem bevorrechtigten Verkehr anfahren, sondern hatte nun den Vorrang zu gewähren. Wegen der Sichteinschränkung hätte sie sich weiterhin nur vortasten dürfen und im Zweifel stehen bleiben müssen, zumal sie sich im Bereich eines Mittelstreifens (mit Straßenbahngleisen) befand. Das Anfahren ohne freie Sicht und ohne – wie die Bekl. zu 1) anlässlich ihrer persönlichen Anhörung bekundet hat – auf (wie bewiesen ist: weitere) von rechts kommende bevorrechtigte Fahrzeuge zu achten, wurde der Situation ersichtlich nicht mehr gerecht und stellte ein grob fahrlässiges Verhalten dar. Im Übrigen gilt hier – anders als das LG unter Bezug auf § 11 Abs. 1 StVO (möglicherweise missverständlich) ausgeführt hat – allenfalls bei für den Zeugen V noch erkennbarer besonderer Verkehrslage ein Nachzüglervorrang des Kreuzungsräumers nach § 11 Abs. 3 StVO (vgl. zu dem der jetzt geltenden Fassung des Abs. 3 entsprechenden § 11 Abs. 2 StVO a.F.: BGH mit Urt. v. 9.11.1976 – VI ZR 264/75 – NJW 1977, 1394 [II.1.] = BGHZ 56, 149, 150 und OLG Hamm mit Urt. v. 9.1.1990 – 27 U 177/89 – NZV 1991, 31), sodass sich die Bekl. zu 1) als Kreuzungsräumer zumindest zuvor über den Vorfahrtsverzicht mit dem Zeugen V hätte verständigen müssen (vgl. Zieres, in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 27 Rn 735). Die von dem BGH (a.a.O.) für den Vorrang der Nachzügler ebenfalls genannte Vorschrift des § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 4 StVO in der damals geltenden Fassung (Gelb ordnet an: … für Verkehrsteilnehmer in der Kreuzung: "Kreuzung räumen") ist dagegen 1980 geändert worden, weil für Verkehrsteilnehmer in der Kreuzung Gelb keine Bedeutung hat (vgl. König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 37 StVO Rn 26), weshalb aufgrund des geänderten Wortlautes des § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 5 StVO in der (seit 1980) geltenden Fassung der Nachzüglervorrang des Kreuzungsräumers aus dieser Vorschrift nicht (mehr) ableitbar ist."

Mitgeteilt von den Mitgliedern des 22. Zivilsenats des Kammergerichts

3 Anmerkung:

1) Häufig werden Kraftfahrer, die bei für sie grün zeigender Lichtzeichenanlage in eine Kreuzung eingefahren sind, an der Weiterfahrt durch voraus fahrende Linksabbieger gehindert, die kreuzenden Gegenverkehr beachten müssen und deshalb anhalten. Das führt dazu, dass bei Umspringen der Lichtzeichenanlage für den seitlichen Verkehr die Gefahr von Zusammenstößen der Nachzügler mit dem Anfahren des seitlichen Verkehrs besteht. Das wird dadurch ausgeschlossen, dass dem Nachzügler – grds. – ein Vorrang gegenüber dem seitlich anfahrenden Verkehr eingeräumt wird. Der seitlich einfahrende Verkehr muss Nachzüglern das Verlassen der Kreuzung ermöglichen und auf den hängen gebliebenen Verkehr Rücksicht nehmen (vgl. BGH NJW 1971, 1407; BGH NJW 1977, 1394; KG NZV 2003, 43; OLG Köln VRS 72, 212; OLG Hamburg NZV 1993, 405; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 37 StVO Rn 17; Burmann/Heß/Janker/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 22. Aufl., § 37 StVO Rn 6)...

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