StVO § 8 Abs. 1, StVO § 8 Abs. 2, StVG § 17, ZPO § 286

Leitsatz

1. Die Missachtung des Vorfahrtsrechts begründet einen Anscheinsbeweis für die Unfallursächlichkeit zulasten des Vorfahrtspflichtigen.

2. Wird dieser nicht durch einen atypischen Geschehensablauf erschüttert, kommt regelmäßig nur die Alleinhaftung des Vorfahrtsverletzers in Betracht.

OLG Dresden, Beschl. v. 09.6.2021 – 4 U 396/21

Sachverhalt

I. Die Klägerin verlangt von den Beklagten die gesamtschuldnerische Zahlung von Schmerzensgeld, Ersatz materieller Schäden, die Feststellung ihrer Einstandspflicht für weitere materielle und immaterielle Schäden sowie den Ersatz außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten aufgrund eines Verkehrsunfalles am 25.4.2019. Sie hält angesichts des Unfallhergangs eine Haftungsquote von 50 % zu Lasten der Beklagten für gerechtfertigt. Nach Klageabweisung durch das Landgericht auf der Grundlage eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens verfolgt die Klägerin ihr ursprüngliches Klageziel in reduziertem Umfang weiter. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und die aus ihrer Sicht erforderliche und durch das Landgericht unterlassene Beweiseinholung durch Vernehmung eines Zeugen.

2 Aus den Gründen:

II. Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch – einstimmig gefassten – Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung der Klägerin bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

Zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Berufung der Klägerin greifen nicht durch. Sie geben keinen Anlass, innerhalb der dem Berufungsgericht durch § 529 ZPO gesetzten Grenzen von der erstinstanzlichen Entscheidung abzuweichen oder auch nur eine ergänzende Beweisaufnahme einzuholen.

Wenn – wie hier unstreitig – der Verkehrsunfall für keine der Parteien ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG darstellt, hängt die Haftungsverteilung im Verhältnis der beteiligten Fahrzeughalter zueinander gemäß § 17 Abs. 1 StVG von den Umständen ab, insbesondere davon, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Bei der somit erforderlichen Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge sind nur solche Umstände einzubeziehen, die erwiesenermaßen ursächlich für den Schaden geworden sind. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen nach Grund und Gewicht feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sein. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben deswegen außer Betracht zu bleiben (st. Rechtsprechung – statt vieler: BGH, Urt. v. 21.11.2006 – VI ZR 115/05; OLG Saarbrücken, Urt. v. 12.10.2010 – 4 U 110/10; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.7.2018 – 1 U 117/17 – wie alle nachfolgend zitierten Entscheidungen nach juris). Die unstreitig oder nachgewiesenen Tatbeiträge müssen sich auf den Unfall auch kausal ausgewirkt haben. Der Beweis obliegt demjenigen, der sich auf einen einzubeziehenden Gesichtspunkt beruft (BGH, NZV 1996, 231; König in Hentschel/König/Dauer, StVR 44. Aufl. 2017, § 17 StVG Rn 31 m.w.N.).

Nach diesen Maßstäben ist im Rahmen der Abwägung zu Lasten der Klägerin zunächst ein Vorfahrtsverstoß gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StVO zu berücksichtigen. Unstreitig war der Beklagte zu 1) vorfahrtsberechtigt.

Dass die Missachtung des Vorfahrtsrechts durch die Klägerin unfallursächlich war, steht zunächst nach Anscheinsgrundsätzen fest. Ein Beweis des ersten Anscheins ist immer dann anzunehmen, wenn sich in einem Unfallgeschehen ein hinreichend typisierter Geschehensablauf realisiert hat, der einen Rückschluss auf ein unfallursächliches Fehlverhalten einer Partei regelmäßig zulässt (statt vieler: OLG Zweibrücken, Urt. v. 4.11.2020 – 1 U 78/19). Beim Abbiegevorgang des nicht Vorfahrtsberechtigten gilt die Vorfahrtsberechtigung des anderen Teiles solange, bis der Einfahrende sich vollständig auf der vorfahrtsberechtigten Straße eingeordnet und eine den dort fahrenden Fahrzeugen entsprechende Geschwindigkeit erreicht hat (Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 8 StVO Rn 55; MüKo-Bender, Kommentar zur StVR, § 8 StVO Rn 13, OLG Zweibrücken, a.a.O. m.w.N.).

Die Klägerin hat keinerlei Umstände beweisen können, die geeignet sein könnten, diesen Anschein zu erschüttern. Die von ihr behauptete überhöhte Geschwindigkeit des Beklagten zu 1) hat der Sachverständige gerade nicht bestätigen können, vielmehr zu ihren Gunsten eine maximale Ausgangsgeschwindigkeit von 55 km/h vor der Kreuzung ausgerechnet. Dass er diese tatsächlich erreicht hätte, ist damit ebenso wenig bewiesen wie der Umstand, dass diese Geschwindigkeit eine Auswirkung auf ...

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