StVG §§ 7, 17; BGB § 253

a) Ein Mitfahrer braucht sich ein unfallursächliches Verschulden des Fahrzeugführers im Verhältnis zum Unfallgegner (Kraftfahrer) nicht anspruchsmindernd anrechnen zu lassen, weil es dafür keine Zurechnungsnorm gibt.

b) Ein Schmerzensgeld i.H.v. 10.000 EUR für erhebliche Verletzungen (Schädelhirntrauma I. Grades, Innenknöchelfraktur des rechten Sprunggelenks, Thoraxprellung, multiple Schürfwunden und Prellungen; stationäre Behandlung; Dauerschaden mit Bewegungseinschränkung des Sprunggelenks), grobes Verschulden des Unfallgegners (85 – 105 km/h innerorts unter Einfluss von Alkohol, 1,12 Promille, und Haschisch) sowie zögerliches Regulierungsverhalten bei unzweifelhafter Haftung dem Grunde nach (keine Abschlagszahlungen über 4 Jahre) ist nicht ermessensfehlerhaft.

(Leitsätze des Einsenders)

KG, Beschl. v. 3.5.2010 – 12 U 119/09

Der Kläger wurde als Beifahrer bei einem Verkehrsunfall erheblich verletzt. Der Fahrer des Fahrzeugs, indem sich der Kläger befand, fuhr aus der untergeordneten Straße mit dem Fahrzeug in die bevorrechtigte Straße ein. Dort näherte sich der Beklagte zu 1) mit dem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Fahrzeug, ohne Licht mit erheblich überhöhter Geschwindigkeit, wobei er sich bei mindestens 1,2 Promille sowie unter Einfluss von Haschisch befand und stieß mit dem Fahrzeug zusammen, in dem sich der Kläger befand. Die Beklagten traten dem geltend gemachten Schaden des Klägers (Sachschäden und Schmerzensgeld sowie Feststellungsbegehren) entgegen und vertraten die Auffassung, der Kläger müsse sich entgegenhalten lassen, dass dem Beklagten die Vorfahrt zugestanden habe.

Der Senat billigte in einem Hinweisbeschluss die Auffassung des LG in dem mit der Berufung angefochtenen Urteil, dass von einer Haftung der Beklagten, die während des vier Jahre währenden Rechtsstreits keine Abschlagszahlungen geleistet hatten, auszugehen sei.

Aus den Gründen:

“Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist nicht der Fall.

1. Zu Recht und mit zutreffender Begründung geht das LG in der angefochtenen Entscheidung davon aus, dass die Beklagten dem Kläger den diesem bei dem Verkehrsunfall entstandenen Schaden zu 100 % zu ersetzen haben. Wie das LG zutreffend ausführt, kann letztlich dahinstehen, ob ganz schwerwiegende Gründe für eine Alleinhaftung der Beklagten an dem Unfall sprechen.

a) Der Kläger wurde als Beifahrer bei einem Unfall verletzt, an dem auch das von dem Beklagten zu 1) gefahrene und gehaltene, bei der Beklagten zu 2) versicherte Fahrzeug beteiligt war. Die Haftung der Beklagten folgt mithin unabhängig von der Frage etwaigen Verschuldens der Fahrzeugführer der beiden beteiligten Fahrzeuge bereits aus der Betriebsgefahr (§§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG). Umstände, aus denen sich ergeben könnte, dass sich der Unfall für den Beklagten zu 1) als höhere Gewalt i.S.v. § 7 Abs. 2 StVG bzw. als unabwendbares Ereignis i.S.v. § 17 Abs. 3 S. 1 StVG darstellen könnte, haben die Beklagten nicht vorgetragen, solche Umstände sind auch sonst nicht ersichtlich. Angesichts der vom gerichtlich bestellten Sachverständigen Dipl.-Ing. W festgestellten Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs von mindestens 85 km/h dürfte die Annahme von ‘höherer Gewalt’ bzw. eines ‘unabwendbaren Ereignisses’ auch eher fern liegend sein.

b) Entgegen der in der Berufungsbegründungsschrift geäußerten Rechtsansicht muss sich der Kläger als Beifahrer ein etwaiges Verschulden ‘seines’ Fahrers nicht zurechnen lassen. Um einem Beifahrer ein Fehlverhalten des Fahrers zurechnen zu können, bedarf es einer Rechtsgrundlage. Derartiges ist jedoch nicht erkennbar; denn der Kläger war weder Erfüllungsgehilfe noch gesetzlicher Vertreter des M, sodass schon deshalb eine Zurechnung nach §§ 254 Abs. 2 S. 2, 278 BGB ausscheidet. Ebenso wenig war der Kläger ein weisungsgebundener ‘Verrichtungsgehilfe’ i.S.d. § 831 BGB (vgl. zur Zurechnung des Verhaltens Dritter zu Lasten des Geschädigten etwa Palandt/Heinrichs, BGB, 69. Aufl. 2010, § 254 Rn 49, 50; Senat, Urt. v. 13.10.2008 – 12 U 61/07 – KGReport 2009, 449 = VRS 116, 183; Senat, Urt. v. 31.10.1994 – 12 U 4031/93 – DAR 1993, 72 = NZV 1995, 109 = VRS 88, 241; OLG Naumburg, Urt. v. 12.12.2008 – 6 U 106/08 – VM 2009, 27 Nr. 26).

c) Da es mithin für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die vom LG in seinem Urteil verwerteten schriftlichen Aussagen der Zeugen in der Strafakte nicht ankommt, beruht die angefochtene Entscheidung nicht auf der von den Beklagten behaupteten Verletzung ihres rechtlichen Gehörs.

2. Auch die Ausführungen des LG zur Schadenshöhe sind nicht zu beanstanden.

a) Das LG hat dem Kläger zu Recht ein Schmerzensgeld i.H.v. 10.000 EUR zugesprochen. Angesichts der Schwere der vom Kläger erlittenen Verletzungen, des grob verkehrswidrigen Verhaltens des Beklagten zu 1) und der Ve...

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