Leitsatz (amtlich)

1. Ein Mitfahrer braucht sich ein unfallursächliches Verschulden des Fahrzeugführers im Verhältnis zum Unfallgegner (Kraftfahrer) nicht anspruchsmindernd anrechnen zu lassen, weil es dafür keine Zurechnungsnorm gibt.

2. Ein Schmerzensgeld i.H.v. 10.000 EUR für erhebliche Verletzungen (Schädelhirntrauma I. Grades, Innenknöchelfraktur des rechten Sprunggelenks, Thoraxprellung, multiple Schürfwunden und Prellungen; stationäre Behandlung; Dauerschaden mit Bewegungseinschränkung des Sprunggelenks), grobes Verschulden des Unfallgegners (85 - 105 km/h innerorts unter Einfluss von Alkohol, 1,12 Promille, und Haschisch) sowie zögerliches Regulierungsverhalten bei unzweifelhafter Haftung dem Grunde nach (keine Abschlagszahlungen über 4 Jahre) ist nicht ermessensfehlerhaft.

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Aktenzeichen 24 O 358/06)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der Tenor zu 5. richtig wie folgt lautet:

Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits und die Kosten der Streithilfe zu tragen.

 

Gründe

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Der Senat folgt den im Wesentlichen zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet worden sind. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

I. Berufung

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist nicht der Fall.

1. Zu Recht und mit zutreffender Begründung geht das LG in der angefochtenen Entscheidung davon aus, dass die Beklagten dem Kläger den diesem bei dem Verkehrsunfall entstandenen Schaden zu 100 % zu ersetzen haben. Wie das LG zutreffend ausführt, kann letztlich dahinstehen, ob ganz schwerwiegende Gründe für eine Alleinhaftung der Beklagten an dem Unfall sprechen.

a) Der Kläger wurde als Beifahrer bei einem Unfall verletzt, an dem auch das von dem Beklagten zu 1) gefahrene und gehaltene, bei der Beklagten zu 2) versicherte Fahrzeug beteiligt war. Die Haftung der Beklagten folgt mithin unabhängig von der Frage etwaigen Verschuldens der Fahrzeugführer der beiden beteiligten Fahrzeuge bereits aus der Betriebsgefahr (§§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG). Umstände, aus denen sich ergeben könnte, dass sich der Unfall für den Beklagten zu 1) als höhere Gewalt i.S.v. § 7 Abs. 2 StVG bzw. als unabwendbares Ereignis i.S.v. § 17 Abs. 3 Satz 1 StVG darstellen könnte, haben die Beklagten nicht vorgetragen, solche Umstände sind auch sonst nicht ersichtlich. Angesichts der vom gerichtlich bestellten Sachverständigen Dipl.-Ing. W festgestellten Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs von mindestens 85 km/h dürfte die Annahme von "höherer Gewalt" bzw. eines "unabwendbaren Ereignisses" auch eher fernliegend sein.

b) Entgegen der auf S. 5 der Berufungsbegründungsschrift geäußerten Rechtsansicht muss sich der Kläger als Beifahrer ein etwaiges Verschulden "seines" Fahrers nicht zurechnen lassen. Um einem Beifahrer ein Fehlverhalten des Fahrers zurechnen zu können, bedarf es einer Rechtsgrundlage. Derartiges ist jedoch nicht erkennbar; denn der Kläger war weder Erfüllungsgehilfe noch gesetzlicher Vertreter des F. M., so dass schon deshalb eine Zurechnung nach §§ 254 Abs. 2 Satz 2, 278 BGB ausscheidet, Ebenso wenig war der Kläger ein weisungsgebundener "Verrichtungsgehilfe" i.S.d. § 831 BGB (vgl. zur Zurechnung des Verhaltens Dritter zu Lasten des Geschädigten etwa Palandt/Heinrichs, BGB, 69. Aufl. 2010, § 254 Rz. 49, 50; KG, Urt. v. 13.10.2008 - 12 U 61/07, KGReport 2009, 449 = VRS 116, 183; KG, Urt. v. 31.10.1994 - 12 U 4031/93, DAR 1993, 72 = NZV 1995, 109 = VRS 88, 241; OLG Naumburg, Urt. v. 12.12.2008 - 6 U 106/08 - VM 2009, 27 Nr. 26).

c) Da es mithin für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die vom LG in seinem Urteil verwerteten schriftlichen Aussagen der Zeugen in der Strafakte nicht ankommt, beruht die angefochtene Entscheidung nicht auf der von den Beklagten behaupteten Verletzung ihres rechtlichen Gehörs.

2. Auch die Ausführungen des LG zur Schadenshöhe sind nicht zu beanstande.

a) Das LG hat dem Kläger zu Recht ein Schmerzensgeld i.H.v. 10.000 EUR zugesprochen. Angesichts der Schwere der vom Kläger erlittenen Verletzungen, des grob verkehrswidrigen Verhaltens des Beklagten zu 1) und der Verzögerung der Schadensregulierung durch die Beklagte zu 2) ist die vom LG bei der Bemessung des Schmerzensgeldes getroffene Ermessensentscheidung nicht zu beanstanden. Ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen des LG ist darauf hinzuweisen, dass sich das zögerliche Regulierungsverhalten der Beklagten zu 2) aus dem Akteninhalt ergibt und damit auch bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen war. Da dem Kläger als Beifahrer ein Verschulden nicht zugerechnet werden kann und die Merkmale "unabwendbares Ereignis" bzw. "höhere Gewalt" a...

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