BGB § 827; VVG § 81 Abs. 2

Leitsatz

1. Wer ein Fahrzeug unter Alkoholeinfluss von mind. 1,98 Promille führt und dabei mit einem Verkehrszeichen und einem Gebäude kollidiert, handelt grundsätzlich grob fahrlässig gemäß § 81 Abs. 2 VVG. Die Leistungskürzung auf Null durch den Kaskoversicherer ist gerechtfertigt, wenn keine hinreichend entlastenden Umstände feststellbar sind.

2. Der Nachweis eines die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustandes krankhafter Störung der Geistestätigkeit bei Fahrtantritt gemäß § 827 S. 1 BGB obliegt dem Versicherungsnehmer. Behauptet er, sich die Kopfverletzungen (Platzwunde und Galeahämatom) nicht bei dem Unfall, sondern bereits vor Fahrtantritt durch einen Sturz auf den Boden oder einen Stein zugezogen zu haben, ohne hierfür Zeugen zu benennen, reicht es für den für eine Parteivernehmung gemäß § 448 ZPO erforderlichen "Anbeweis" nicht aus, wenn ein forensisch-psychiatrischer Gutachter die spätere Schilderung des Versicherungsnehmers für möglich und plausibel hält mit der möglichen Folge, dass er in einen "geordneten anamnestischen Dämmerungszustand" verfallen sei. Es liegen unter diesen Umständen auch keine hinreichenden Anknüpfungstatsachen für die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens vor.

KG, Beschl. v. 3.5.2022 – 6 U 39/21

Sachverhalt

Der Kl. begehrt von der Bekl., mit der er durch einen Versicherungsvertrag verbunden ist, der auch Vollkaskoschutz beinhaltet, die vereinbarte Versicherungsleistung in Höhe der Kosten für die Beseitigung eines Unfallschadens am versicherten Fahrzeug Porsche 911 Carrera 3.4 mit dem amtlichen Kennzeichen … , den er am 12.8.2018 in München an dem Fahrzeug verursachte, als er bei einer Fahrt unter Alkoholeinfluss von zumindest 1,98 Promille von der Fahrbahn abkam und mit dem Haus auf dem Grundstück E.straße … kollidierte. Die Beklagte hält sich für leistungsfrei.

2 Aus den Gründen:

Dem Kl. steht der geltend gemachte Anspruch aus dem Versicherungsvertrag nicht zu, denn die Bekl. ist wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Kl. gemäß § 81 Abs. 2 VVG vollständig von der Leistung frei. Dies ergibt sich aus einer Bewertung der Schwere des Verschuldens des Kl., das eine Leistungskürzung auf Null rechtfertigt und gebietet.

1) Der Kl. hat mit einem Blutalkoholgehalt von mindestens 1,98 Promille in absolut fahruntüchtigem Zustand sein bei der Bekl. versichertes Fahrzeug geführt und dabei die Kontrolle über das Fahrzeug verloren. In einer Kurve geriet er mit dem Fahrzeug auf den Gehweg und kollidierte dort mit einem Verkehrsschild und einem Gebäude bzw. Gebäudeteil. Anschließend setzte er mit dem beschädigten Fahrzeug seine Fahrt fort und hielt letztlich im rechten Winkel zur Fahrbahn am rechten Fahrbahnrand an.

Das Führen eines Kraftfahrzeuges in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand gehört zu den schwersten Verkehrsverstößen. Wer sich in absolut fahruntüchtigem Zustand an das Steuer eines Kraftfahrzeuges setzt, handelt grundsätzlich grob fahrlässig (BGHZ 190, 120–131, Rn 11; …).

2) Dem Kl. gelingt hier der Nachweis nicht, dass er sich bei Antritt der Fahrt in fahruntüchtigem Zustand in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden hat. Diesen Nachweis hat bei Anwendung des § 81 VVG der VN zu führen, wenn er sich auf die Vorschrift des § 827 BGB zu seiner Entlastung berufen will (BGHZ 190, 120–131. Rn 12 …).

3) a) Der Kl. beruft sich hier darauf, dass er auf dem Grundstück seiner Bekannten gestürzt sei und in Folge dieses Sturzes, bei dem er sich auch Kopfverletzungen zugezogen habe, in einen geordneten amnestischen Dämmerungszustand verfallen sei mit der Folge, dass ab einem Zeitpunkt vor Antritt der Fahrt kein Erinnerungsvermögen vorhanden sei und erst nach Beendigung der Fahrt wieder sein Bewusstsein einsetze.

aa) Der Kl. hat zum Beweis hierfür seine eigene Parteivernehmung angeboten, der die Bekl. widersprochen hat.

Eine Vernehmung des Kl. als Partei von Amts wegen gemäß § 448 ZPO war nicht zulässig. Die nach pflichtgemäßem Ermessen vom Gericht anzuordnende Parteivernehmung von Amts wegen setzt grundsätzlich das Bestehen einer gewissen Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Behauptungen der beweisbelasteten Partei aufgrund des bisherigen Verhandlungsergebnisses bei einer nonliquet-Situation im Übrigen voraus. Dieser "Anbeweis" kann sich aus einer schon durchgeführten Beweisaufnahme oder aus dem sonstigen Verhandlungsinhalt, insbesondere aus einer Anhörung nach § 141 ZPO oder aus Ausführungen der Partei nach § 137 Abs. 4 ZPO ergeben (BGH NJW 2020, 776). Der im Termin vor dem LG anwesende Kläger hat von der Möglichkeit des § 137 Abs. 4 ZPO keinen Gebrauch gemacht. Ein sonstiger "Anbeweis" für die Richtigkeit seines Vortrages lag nicht vor.

Hierzu reicht es nicht aus, dass der Kl. sich an den Fahrtantritt in alkoholisiertem Zustand nach seinem Vortrag nicht mehr erinnern könne. Denn ein derartiger Erinnerungsverlust – sollte er tatsächlich vorliegen – kann auch erst nachträglich durch e...

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