Gerade ging der 68. Deutsche Juristentag zu Ende. Die Abteilung Berufsrecht hatte sich mit dem Thema "Die Zukunft der freien Berufe zwischen Deregulierung und Neuordnung" befasst. In ihren Beschlüssen hierzu hat sie herausgestellt, dass für die Anwaltschaft die Grundpflichten der Unabhängigkeit, der Verschwiegenheit und des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen nicht zur Disposition gestellt werden dürfen. Dies gibt Anlass, die letztgenannte Grundpflicht noch einmal in den verkehrsrechtlichen Blick zu nehmen:

Ein Unfall im Straßenverkehr bedeutet regelmäßig, dass Ansprüche zwischen einer Vielzahl von Beteiligten entstehen. Dies sind nicht nur die Fahrer, Halter und deren Versicherer. Sehr häufig ist die Person, die das Auto fährt oder hält, nicht mit dessen Eigentümer identisch. Oft sind z.B. auch die Interessen des Arbeitgebers eines der Fahrer involviert. Demgemäß ist das Risiko der Vertretung widerstreitender Interessen entgegen der Regelungen der § 43a Abs. 4 BRAO und § 3 Abs. 1 BORA im Verkehrsrecht außergewöhnlich groß, da nicht selten mehrere Beteiligte an einem Unfall denselben Anwalt um die Durchsetzung ihrer Ansprüche bitten.

Die besonders nach dem Inkrafttreten des Schadenersatzrechtsänderungsgesetzes kontrovers geführte Diskussion, wann im Verkehrsrecht eine Interessenkollision mit dem daraus resultierenden Risiko der Strafbarkeit gem. § 356 StGB gegeben ist, hat leider zu keinem einheitlichen Ergebnis geführt. Es ist insbesondere nach wie vor umstritten, ob und inwieweit die Mandanten über ihre Interessen disponieren können, da das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen gerade auch das Ansehen der Anwaltschaft als Teil der Rechtspflege schützt. Somit bleibt bei der Vertretung mehrerer Beteiligter immer die Gefahr, dass beide Mandate niedergelegt werden müssen und dabei auch der Vergütungsanspruch für die gesamte Tätigkeit entfällt. Eine besondere Unwägbarkeit besteht darin, dass der von dem (oder den) Mandanten geschilderte Unfallhergang oft nicht nur unerheblich von dem tatsächlichen Geschehen abweicht, wie es sich aus den Aussagen von unbeteiligten Zeugen oder einem späteren Rekonstruktionsgutachten ergibt. Eine vermeintlich eindeutige Haftungslage kann sich also zu einem späteren Zeitpunkt ganz anders darstellen und das Vorliegen widerstreitender Interessen evident machen.

Die Zahl der Verkehrsunfälle, die unter Beteiligung eines Rechtsanwalts reguliert werden, sinkt stetig. Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht engagiert sich sehr dafür, die Rolle der Anwaltschaft in der Unfallregulierung zu stärken und wieder auszubauen. Sie setzt dabei insbesondere auf das Argument, dass alleine der Rechtsanwalt der unabhängige Berater ist, der ausschließlich im Interesse des Geschädigten tätig wird. Auch deshalb sollte der Anwalt bei der Mandatsannahme stets den für sich selber sichersten Weg wählen und dann, wenn eine Interessenkollision auch nur denkbar ist, konsequent darauf verzichten, mehrere Beteiligte aus einem Unfall zu vertreten. Er dient damit nicht nur sich selbst, sondern allen Verkehrsanwälten.

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