Oskar Riedmeyer

Es ist immer wieder dasselbe Erlebnis. In der verkehrsrechtlichen Praxis hat sich ein Verfahren etabliert, dessen rechtliche Grundlagen nicht mehr hinterfragt werden. So war es mit der ständigen Praxis der alleinigen Anordnung der Blutentnahme durch Polizeibeamte, selbst wenn der auffällige Autofahrer vor dem Amtssitz des Ermittlungsrichters angehalten wurde. Weil es sich als allgemeine Übung herausgestellt hatte, wurde die Verfassungsmäßigkeit dieses Vorgehens von den Strafgerichten im Einzelfall nicht mehr geprüft. So ist es jetzt bei der ständigen Videoaufzeichnung zur Abstandskontrolle. Auch hier stellte lange Zeit niemand die Frage, ob es eigentlich rechtmäßig ist, dass jeder Autofahrer im Video erkennbar und über das Kennzeichen in vielen Fällen auch identifizierbar aufgezeichnet wird, ohne dass sich jemand Gedanken darüber machte, ob und wann die nicht auffälligen Autofahrer von den Videos gelöscht werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat diese Praxis nunmehr für verfassungswidrig erklärt, solange keine ausreichenden Landesgesetze bestehen (Beschl. v. 11.8.2009 – 2 BvR 941/08). Jetzt muss der Gesetzgeber handeln und die Länderparlamente müssen die entsprechenden Gesetze – vereinbar mit den Vorgaben des Verfassungsrechts – erlassen.

Allerdings hält die Rechtsprechung für solche Fälle einen doppelten Boden vor. Die feine Unterscheidung zwischen Beweiserhebungsverbot und Beweisverwertungsverbot wird zum Auffangnetz für die Nichtbeachtung der Verfassung. Aber ist dies wirklich der Weisheit letzter Schluss? Kann es richtig sein, dass der Staat – zumal bei Verstößen im Bußgeldbereich – sich anmaßt, auch rechtswidrig erlangte Beweismittel zu verwerten? Heiligt also der Zweck die Mittel? Man muss hier wohl differenzieren. Wenn ein Polizeibeamter ohne Not die Blutprobe selbst anordnet, statt den Ermittlungsrichter damit zu befassen, begeht er einen Dienstverstoß. Ist die Anordnung nicht rechtmäßig, ist zu prüfen, ob eine Körperverletzung vorliegt. Die Videoaufzeichnung ist nicht strafbar. Für die staatlichen Behörden, die die Videoaufzeichnung anordneten, soll es keine praktischen Auswirkungen haben, dass dieses Handeln verfassungswidrig war und nur durch das Aufzeichnen von nicht auffälligen Autofahrern (die weiterhin auf den Videos gespeichert bleiben) die Erkenntnisse erlangt wurden. Die Oberlandesgerichte und möglicherweise der BGH sollten jetzt nochmals gut abwägen, ob derart rechtswidrig erlangte Beweismittel tatsächlich die Grundlage des staatlichen Eingriffsrechts sein können.

Es gibt noch einen weiteren verkehrsrechtlichen Bereich, in dem die Behörden sich gleichsam im rechtsfreien Raum bewegen können: die Anordnung der MPU. Auch hier ist es so dass der Bürger ohne Rechtsschutz bleibt, wenn die Behörde eine solche Anordnung trifft. Verweigert der Autofahrer die Beibringung der MPU, entzieht ihm die Behörde ungeachtet der Rechtmäßigkeit der Anordnung die Fahrerlaubnis. Dagegen könnten zwar die Verwaltungsgerichte angerufen werden, wegen der nahezu ausnahmslos angeordneten vorläufigen Vollziehbarkeit bedeutet dies jedoch einen mindestens mehrere Monate dauernden Entzug der Fahrerlaubnis. Dem Autofahrer bleibt in der Praxis nichts anderes übrig, als sich der Untersuchung zu stellen und möglicherweise dadurch erst der Behörde die Gründe für den Entzug der Fahrerlaubnis zu liefern. Auch hier gilt der Satz, dass der Zweck die Mittel heiligt und die durch eine unrechtmäßige Anordnung ermittelten Gründe später gegen den Betroffenen verwertet werden dürfen. Auch diesen Bereich sollte sich das Bundesverfassungsgericht nochmals genauer ansehen.

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