Einführung

Nach Art. 3 Abs. 2 GG sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Niemand darf wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden (Art. 3 Abs. 3 GG). Die Auswertung der gängigen Schmerzensgeldtabellen zeigt, dass dieses Postulat von den Gerichten bei der Bemessung von Schmerzensgeldbeträgen nicht eingehalten wird. Wenn es um Verletzungen der Geschlechtsorgane geht, werden Männern deutlich höhere Schmerzensgeldbeträge zugesprochen als Frauen.

Im folgenden Aufsatz werden zunächst die entsprechenden Entscheidungen gelistet und dann der Frage nachgegangen, warum Gerichte bei der Bezifferung der Schmerzensgeldsummen in vergleichbaren Fällen bei Männern und Frauen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.

A. Einleitung

Die Lektüre von Schmerzensgeldentscheidungen, die Narben betreffen, zeigt, dass verletzte Frauen unter vergleichbaren Bedingungen höhere Schmerzensgelder als verletzte Männer bekommen.

Für eine deutlich sichtbare Narbe auf der Stirn als Folge eines Faustschlags hat das Amtsgericht Aachen für den verletzten Mann 750 EUR ausgeworfen, einer Frau sprach das Amtsgericht Mannheim für eine unschöne Narbe am Unterarm, die durch einen Hundebiss entstand, 2.000 EUR zu.[1] Für eine lange Narbe in der rechten Gesichtshälfte trotz einer Mithaftung von 70 % hat das Amtsgericht Dresden einer Frau 2.500 EUR gewährt.[2]

In einigen Entscheidungen, die noch sensiblere Bereiche betreffen, werden diese unterschiedlichen Beträge damit gerechtfertigt, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts und der Bedeutung der weiblichen Schönheit härter betroffen seien. Die Wertschätzung und das Ansehen einer jungen Frau hingen nämlich nicht unwesentlich vom äußeren Erscheinungsbild ab.[3] Im Hinblick auf eine 2,5 × 5 cm große Bisswunde am rechten Busen eines 17-jährigen Mädchens führt das Amtsgericht Duisburg aus, die Narbe an der Brust sei im bekleideten Zustand zwar nicht zu sehen, dennoch sei nachvollziehbar, dass die Klägerin hierdurch in der Wahrnehmung der eigenen Weiblichkeit in einer nicht unerheblichen Weise beeinträchtigt sei.[4]

Solche Differenzierungen und die dafür gegebenen Begründungen sind weder überzeugend, noch sind sie mit dem Grundgesetz und dem Gleichbehandlungsgesetz in Einklang zu bringen.[5] Sie sind möglicherweise ein Ausgleich dafür, dass sich die Situation bei Verletzung der primären Geschlechtsorgane genau umgekehrt darstellt. Hier werden Frauen durch geringere Schmerzensgelder benachteiligt.[6]

Die primären Geschlechtsorgane von Mann und Frau sind unterschiedlich. Dennoch rechtfertigen sich gravierende Unterschiede in der Höhe des Schmerzensgelds bei halbwegs vergleichbaren Verletzungsfolgen nicht. Dies gilt z.B. für den Verlust eines Hodens oder eines Eileiters. Da in beiden Fällen die Zeugungsfähigkeit weiterbesteht, weil es sich um paarige Organe handelt, kann man den Verlust eines Hodens beim Mann mit dem Verlust eines Eileiters bei einer Frau vergleichen (siehe unter B.).

Gleiches gilt für den Verlust der Zeugungsfähigkeit (siehe unter C.) oder schwereren Verletzungen, bei denen der Verlust der Zeugungsfähigkeit noch mit Inkontinenz und Mastdarmentleerungsstörungen verbunden ist (siehe unter D.) oder bei leichten, vorübergehenden Verletzungen im Genitalbereich (siehe unter E.). Überprüft man die Schmerzensgeldtabellen[7] in diesen Bereichen, ergibt sich exemplarisch folgendes Bild.

[1] AG Mannheim, zitiert in Hacks/Wellner/Häcker, SchmerzensgeldBeträge, 31. Aufl. 2013, Nr. 3034.
[2] AG Dresden, zitiert in Hacks/Wellner/Häcker, ebenda, Nr. 1683.
[3] OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 11.11.1993 – 12 U 162/92, zitiert bei juris.
[4] Hacks/Wellner/Häcker, SchmerzensgeldBeträge, 31. Aufl. 2013, Nr. 3063.
[5] In diesem Sinn auch OLG Köln, Urt. v. 7.1.2000 – 19 U 62/99 zum vorübergehenden Verlust des Haupthaares nach Frisörbehandlung, zitiert bei juris: "Bei der Bemessung darf jedoch nicht verkannt werden, dass das Schmerzensgeld ausschließlich dem Ausgleich erlittener körperlicher und seelischer Schäden dient, nicht aber dem Ausgleich für Verletzungen des eigenen Schönheitsideals".
[6] Jäger/Luckey, Schmerzensgeld, 6. Aufl. 2011, S. 603.
[7] Z.B. Hacks/Wellner/Häcker, SchmerzensgeldBeträge, 31. Aufl. 2013; Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld 6. Aufl. 2011; Slizyk, Beck'sche Schmerzensgeld-Tabelle 2012, 8. Aufl. 2012; Geigel/Pardey, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl. 2001, Kap. 7 Rn 57–86; Celler Schmerzensgeldsammlung (http://app.olg-ce.niedersachsen.de/cms/page/schmerzensgeld.php?sort=betrag).

B. Verlust eines Hodens/Eileiters

I. Verlust eines Hodens

 
10.000 EUR OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.10.1985 – 8 U 100/83, VersR 1986, 659[8]
10.000 EUR OLG Köln, Urt. v. 21.4.1997 – 12 U 114/96, NJWE-VHR 1998, 273[9]
12.500 EUR OLG Nürnberg, Urt. v. 23.9.1997 – 1 U 1983/97, NJWE-VHR 1998, 19; VersR 1998, 594[10]
13.750 EUR OLG Brandenburg, Urt. v. 14.11.2001 – 1 U 12/01, VersR 2002, 313[11]
15.000 EUR LG Regensburg, Urt. v. 23.7.2007 – 4 O 2167/06, VersR 2007, 1709[12]
15.000 EUR LG Ulm – 6 O 332/04, n.v.[13]
15.000 EUR OLG Brandenburg, Urt. v. 15.7.2010 – 12 U 232/09, VersR 2011, 267[14]
18.000 EUR OLG Köln, Urt. v. 2...

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