HaftpflG § 13; StVG § 1 Abs. 1, 2; StVO § 2 § 7 § 9 § 11 Abs. 3

Leitsatz

1. Kommt es beim Abbiegen eines Kfz bei Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten des § 9 Abs. 1 S. 4 StVO und Verletzung des Vorrangs der Straßenbahn gem. § 9 Ab. 3 S. 1 StVO zu einer Kollision des ausschwenkenden Anhängers mit einer auf der Nebenspur fahrenden Straßenbahn, haftet der Abbiegende allein.

2. Der Abbieger muss den Abbiegevorgang so lange zurückstellen, bis er sicher sein kann, dass er keinen anderen Verkehrsteilnehmer auf dem neben ihm befindlichen Fahrstreifen – hier durch Ausschwenken des Anhängers bei der Bogenfahrt – gefährdet.

3. Sorgfaltswidrig handelt der Linksabbieger, der unmittelbar vor dem Abbiegen sich nicht durch (zweite) Rückschau versichert, ob sich ein anderer Verkehrsteilnehmer nähert und es dadurch zu einer. Gefährdung aufgrund des Ausschwenkens des Anhängers bei der Bogenfahrt kommt.

4. Ein Straßenbahnführer darf grds. darauf vertrauen, dass andere Verkehrsteilnehmer §§ 2 Abs. 3, 9 Abs. 3 S. 1 StVO beachten und die Schienen nicht besetzen; insoweit besteht keine Wartepflicht gem. § 11 Abs. 3 StVO.

5. Ein Straßenbahnführer braucht nicht damit zu rechnen, dass ein vor ihm fahrendes Fahrzeug bei Annäherung der Straßenbahn in den Gleisbereich einbiegt – auch dann nicht, wenn der andere Fahrer seine Abbiegeabsicht bereits angekündigt hat (Anschluss an OLG Hamm, Urt. v. 13.4.2018 – 7 U 36/17, NJW-RR 2018, 1427).

OLG Celle, Urt. v. 27.11.2018 – 14 U 59/18

Sachverhalt

Der klagende Betreiber einer Straßenbahn macht die Verurteilung des bei der Bekl. zu 1) Haftpflichtversicherten. Bekl. zu 2) als Halter eines Lkw – Gespanns nach einer Kollision mit dem Gespann zur Zahlung restlichen Schadensersatzes geltend. Der Fahrer der aus drei Waggons bestehenden Straßenbahn mit einer Länge von 35,4 m befuhr eine Landstraße in Richtung eines Kreises. Die Schienen waren nicht auf einemeigenen Gleiskörper verlegt, sondern auf der Fahrspur des Individualverkehrs eingelassen. Links von dem mittig auf der Geradeausspur verlaufenden Schienenstrang befindet sich eine zu einem Parkplatz eines Einkaufmarkts führende Linksabbiegerspur.

Dort stand der Bekl. zu 2) mit dem von ihm geführten Gespann, um vor dem beabsichtigten Abbiegen den Gegenverkehr passieren zu lassen. Als der Bekl. abbog, näherte sich von hinten die Straßenbahn. Beim Abbiegen des Gespanns schwenkte die hintere rechte Ecke des Aufliegers in den Gleisbereich hinein und kollidierte mit dem mittleren Waggon der Straßenbahn.

Der Senat ging von einer alleinigen Heftung des Halters und Fahrers des Gespanns aus und sprach dem Betreiber der Straßenbahn weitergehend als das Landgericht einen Anspruch auf restlichen Schadensersatz zu.

2 Aus den Gründen:

"… 1. Die Kl. hat gegen die Bekl. als Gesamtschuldner einen weiteren Schadensersatzanspruch in Höhe von 47.093,20 EUR gem. §§ 7 Abs. 1, 17, 18 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 4 VVG, 823 Abs. 1, 249 ff. BGB."

Anders als das LG meint, ist von einer Alleinhaftung der Bekl. aufgrund des Verkehrsunfalls vom 27.11.2014 auszugehen. Unabhängig von der Frage, ob der Verkehrsunfall für den Zeugen K. unabwendbar i.S.v. § 13 Abs. 2 HPflG war, tritt die mangels Verschuldens des Zeugen K. allein verbleibende Betriebsgefahr der Straßenbahn hinter dem Verkehrsverstoß des Bekl. zu 2 zurück.

Im Einzelnen:

a) Der Verkehrsunfall war für den Bekl. zu 2 nicht unabwendbar i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG.

Ein Verkehrsunfall ist unabwendbar, wenn dieser auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (BGHZ 117, 337). Gefordert wird nicht absolute Unvermeidbarkeit, sondern ein an durchschnittlichen Verhaltensanforderungen gemessenes ideales, also überdurchschnittliches Verhalten (BGH NJW 1986, 183; OLG Koblenz NZV 2006, 201), welches sachgemäß, geistesgegenwärtig und über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinausglitt, wobei alle möglichen Gefahrenmomente zu berücksichtigen sind (BGHZ 113, 164).

Der Bekl. zu 2 hätte die Kollision vermeiden können, wenn er die von ihm genutzte. Linksabbiegerspur mittig befahren hätte. Nach den – insoweit nicht angegriffenen – Angaben des Sachverständigen Dipl.-Ing. O. ist der Bekl. zu 2 jedoch mit seinem Lkw-Anhänger-Gespann so weit rechts gefahren, dass er mit der rechten Außenseite sich auf der Trennlinie zwischen der Linksabbieger- und der Geradeausspur, in der die Straßenbahnschienen verlaufen, befand. Wäre er vor dem Abbiegevorgang nach links mittig gefahren, wäre es trotz des Ausschwenkens des Anhängers nach rechts nicht zur Kollision mit der Straßenbahn gekommen.

Der Bekl. zu 2 hätte die Kollision auch dadurch vermeiden können, wenn er seinen Abbiegevorgang bis zum vollständigen Passieren der Straßenbahn zurückgestellt hätte, nachdem er diese als sich von hinten nähernd wahrgenommenen hatte, da ihm bewusst war, jedenfalls als Berufskraftfahrer hätte bewusst sein müssen, dass der Auflieger beim Abbiegen ausschwenkt und er die Straßenbahn damit gefährdet.

b) Ob der Verkehrsunfall auch für den Zeugen K unabwendbar i.S.v. § 13 Abs. 3 HPflG war, kann dahinste...

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