[1] Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 sowie Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29.7.1991 über den Führerschein (ABl L 237, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.9.2003 (ABl L 284, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 91/439).

[2] Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens, das die Staatsanwaltschaft Mannheim gegen Herrn S eingeleitet hat und in dem es um die Fahrerlaubnis geht, die Herr S in Österreich erworben hatte, bevor Österreich der Europäischen Union beitrat und bevor ihm eine deutsche Fahrerlaubnis erteilt wurde, die in Deutschland wegen Trunkenheit im Verkehr entzogen wurde.

[28] Am 28.10.1964 erteilte das Verkehrsamt Wien (Österreich) Herrn S die Fahrerlaubnis (Lenkberechtigung) der Klassen A und B.

[29] Im Jahr 1968 ließ Herr S seine österreichische Fahrerlaubnis in eine deutsche Fahrerlaubnis der Klassen 1 und 3 umschreiben. Der österreichische Führerschein wurde ihm belassen.

[30] Am 9.5.1988 verzichtete Herr S. auf die deutsche Fahrerlaubnis und gab den deutschen Führerschein zurück.

[31] Nachdem eine medizinisch-psychologische Untersuchung positiv verlaufen war, erteilte ihm das Ordnungsamt der Stadt Mannheim (Deutschland) am 3.5.1994 eine neue Fahrerlaubnis. Sein österreichischer Führerschein wurde ihm belassen.

[32] Das AG Mannheim verurteilte Herrn S mit Urt. v. 1.12.1997 zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50 DM wegen Trunkenheit im Verkehr. Seine Fahrerlaubnis wurde ihm entzogen, sein Führerschein wurde eingezogen, und es wurde eine Sperrfrist von sechs Monaten für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis bestimmt.

[33] Am 24.7.2000 beantragte Herr S beim Ordnungsamt der Stadt Mannheim eine neue Fahrerlaubnis der Klasse 3. Das Ordnungsamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 2.4.2001 ab und führte zur Begründung aus, dass er nicht das vorgeschriebene medizinisch–psychologische Gutachten vorgelegt habe.

[34] Am 11.4.2005 wurde Herr S beim Führen eines Kraftfahrzeugs angetroffen, ohne dass er im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis gewesen sei. In der Folge verurteilte ihn das AG Mannheim am 30.1.2006 zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 25 EUR. Herr S. bezahlte die festgesetzte Geldstrafe, um die Ersatzfreiheitsstrafe abzuwenden.

[35] Hierzu trug Herr S vor, dass er keinen Einspruch habe einlegen können, weil er den nach Wien gesandten Strafbefehl zu spät erhalten habe.

[36] Bei einer Verkehrskontrolle am 23.12.2005 zeigte Herr S seinen österreichischen Führerschein vor. Im Anschluss daran sprach ihn das AG Mannheim mit Urt. v. 22.6.2006 von dem Vorwurf frei, ein Kraftfahrzeug geführt zu haben, ohne im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis zu sein (Vergehen gem. § 21 Abs. 1 StVG).

[37] Die Staatsanwaltschaft Mannheim strebt die Verurteilung von Herrn S wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis an und hat deshalb gegen dieses Urteil Berufung beim LG Mannheim eingelegt.

[38] Unter diesen Umständen hat das LG Mannheim beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die beiden folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist es – entgegen Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 91/439 – gemeinschaftsrechtlich möglich, dass ein EU-Bürger im Besitz einer wirksamen inländischen und einer weiteren Fahrerlaubnis aus einem anderen Mitgliedstaat sein kann, die beide vor dem Beitritt zur EU des ausländischen Mitgliedstaats erworben waren, und – gegebenenfalls –

2. hat die – vor Inkrafttreten der Fahrerlaubnisverordnung vom 1.1.1999 erfolgte – Entziehung der später erteilten zweiten inländischen Fahrerlaubnis wegen eines Trunkenheitsdelikts die Rechtsfolge, dass auch die Gültigkeit der zuvor erteilten ersten ausländischen Fahrerlaubnis im Inland nach dem Beitritt des ausländischen Mitgliedstaats nicht mehr anerkannt zu werden braucht, selbst wenn die inländische Sperrfrist bereits abgelaufen ist?

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