VVG § 115 Ab. 1 Nr. 1; PflVG § 1; StVG § 7 Abs. 1 § 18 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1, Abs. 2 § 831; WHG § 89

Leitsatz

1. Der Entladevorgang gehört zum "Gebrauch" des Fahrzeugs im Sinne des § 1 PflVG, solange das Kraftfahrzeug oder seine an und auf ihm befindlichen Vorrichtungen daran beteiligt sind. Der Schaden, der beim Hantieren mit Ladegut eintritt, ist dann "durch den Gebrauch" des Kraftfahrzeugs entstanden, wenn es für die schadensstiftende Verrichtung aktuell, unmittelbar, zeitlich und örtlich nahe eingesetzt worden ist. Das Entladen eines Tanklastzugs mittels einer auf ihm befindlichen Pumpe ist danach dem Gebrauch des Kraftfahrzeugs zuzuordnen, solange der Druck der Pumpe noch auf das abzufüllende Öl einwirkt und die Flüssigkeit durch den Schlauch heraustreibt.

2. Zum Begriff der Anlage im Sinne des § 89 Abs. 2 Satz 1 WHG.

BGH, Urt. v. 16.1.2024 – VI ZR 385/22

1 Sachverhalt

Die Parteien streiten noch um einen von der Beklagten mit der Wider- und Drittwiderklage geltend gemachten Schadensersatzanspruch aufgrund einer Heizöllieferung.

Die Bekl. ist Miteigentümerin eines Hausgrundstücks. Sie bestellte bei der Kl. Heizöl. Diese beauftragte mit der Lieferung den Streithelfer der Drittwiderbeklagten, einen Spediteur, dessen Kfz-Haftpflichtversicherer die Drittwiderbeklagte ist. Als Fahrer der Spedition lieferte der Drittwiderbeklagte der Beklagten das Heizöl am 1.7.2019. Das Hausgrundstück der Beklagten verfügt über einen Erdtank. Der Zugang zum Erdtank führt über einen Domschacht, in dem sich neben dem Füllstutzen für den Erdtank ein weiterer, "blinder" Füllstutzen befindet, der zu einem im Jahr 2007 entfernten Tank im Haus führte. Die Bekl. wies den Fahrer bei Anlieferung des Öls darauf hin, dass von den zwei im Domschacht vorhandenen Einfüllstutzen einer "blind" ist. Der Fahrer schloss den Ölschlauch des Tankwagens anstatt an den zum Erdtank gehörenden an den über ein Stück Rohrleitung in den Keller führenden Einfüllstutzen an und pumpte mit der Pumpe des Tanklastwagens 2.926 I Heizöl in den Keller. Es kam zu Verunreinigungen des Erdreichs und am Gebäude.

2 Aus den Gründen: “…

[10] Rechtsfehlerhaft hat das BG einen Anspruch gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer nach § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 VVG, § 1 PflVG verneint (unter 1.). Außerdem rechtfertigen die vom BG getroffenen Feststellungen seine Annahme, die gegen die Kl. und den Fahrer geltend gemachten Schadensersatzansprüche seien aufgrund mitwirkender Gefahr der Anlage nach § 254 BGB i.V.m. § 89 Abs. 2 Satz 1 WHG nur zur Hälfte berechtigt, nicht (unter 2.).

[11] 1. Mit der Begründung des BG kann ein Anspruch gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer nach § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 VVG, § 1 PflVG nicht verneint werden. Die gegen den Fahrer nach § 823 Abs. 1 BGB und den Streithelfer des Kfz-Haftpflichtversicherers nach § 831 Abs. 1 BGB bestehenden Ansprüche sind von der Leistungspflicht des Kfz-Haftpflichtversicherers umfasst.

[12] a) Ohne Rechtsfehler hat das BG allerdings einen Anspruch der Beklagten gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer aus § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 VVG, § 1 PflVG i.V.m. § 7 Abs. 1, § 18 Abs. 1 StVG mit der Begründung verneint, dass der Schaden nicht "bei dem Betrieb" des Fahrzeugs entstanden sei. Das wird von der Revision auch nicht angegriffen.

[13] aa) Ein Schaden ist dann "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeugs im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit) geprägt worden ist. Erforderlich ist dabei stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d.h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit grundsätzlich maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (vgl. Senat NZV 2023, 265 Rn 8 f.; NJW 2022, 624 Rn 6; jeweils m.w.N.). Bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktionen ist es erforderlich, dass ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Kraftfahrzeugs als eine der Fortbewegung und dem Transport dienende Maschine (vgl. § 1 Abs. 2 StVG) besteht. Eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG entfällt daher, wenn die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Kraftfahrzeuges keine Rolle mehr spielt und das Fahrzeug nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt wird (vgl. Senat v. 18.7.2023 – VI ZR 16/23, NJW 2022, 624; NJW 1995, 1150, 1151).

[14] bb) Ursache des Schadens war nach den nicht angegriffenen Feststellungen des BG, dass der Fahrer des Tanklastwagens den Schlauch des Fahrzeuges im Domschacht an den "blinden" Einfüllstutzen anschloss, der in den Keller des Hauses führte. Die F...

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