Hinweis

"Der Beklagte verstieß durch das nicht rechtzeitig angezeigte Überholen eines bereits erkennbar im Überholvorgang befindlichen Fahrzeugs vor ihm gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4 StVO."

Aus einer Gesamtschau der § 3 Abs. 1, 5 Abs. 2 StVO folgt, dass sich der Überholende zu Beginn des Überholvorgangs vergewissern muss, dass ihm der benötigte Überholweg hindernisfrei zur Verfügung steht (Überholen – im Zweifel nie!, BGH VersR 2000, 736). Fehleinschätzungen diesbezüglich gehen zu seinen Lasten (BGH VM 70, 17; OLG Hamm VersR 1999, 898).

Es lag eine unklare Verkehrslage i.S.v. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO vor. Dies ist der Fall, wenn die Verkehrslage unübersichtlich oder ihre Entwicklung nach objektiven Umständen nicht zu beurteilen ist. Am klägerischen Fahrzeug war bereits der linke Fahrtrichtungsanzeiger eingeschaltet und das Fahrzeug hatte bereits zum Überholen angesetzt. Somit konnte der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs nicht davon ausgehen, einen gefahrlosen Überholvorgang durchführen zu können.

Der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs hingegen konnte angesichts dessen nicht davon ausgehen, seinerseits von hinten aus einer Kolonne überholt zu werden, da bei Beginn seines Überholvorganges das Beklagtenfahrzeug sich hinter mehreren Fahrzeug hinter ihm befand und keine Anzeichen erkennbar waren, dass er aus der Kolonne überholt werden würde.“

 

Erläuterung:

Bei mehreren auf ein langsames Fahrzeug aufschließenden Fahrzeugen besteht nach der allgemeiner Rechtsprechung grundsätzlich ein Vorrang des ersten, unmittelbar hinter dem langsamen Verkehrsteilnehmer befindlichen Fahrzeugs, als erstes überholen zu dürfen. Dieser Vorrang wird auch bekräftigt, wenn der Vordere – wie hier der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs – bereits erkennbar eine Überholabsicht angezeigt hat, im Ausscheren begriffen ist oder sich seinem langsameren Vordermann oder einem Hindernis so schnell nähert, dass er genötigt wäre, nach links auszuweichen oder abrupt zu bremsen (Bay VRS 64, 55; Bay VRS 47, 379).

Daraus folgt, dass auch der Überholwillige den vorausfahrenden Verkehrsteilnehmer sorgfältig zu beobachten und sein Verhalten danach einzurichten hat (OLG Celle VersR 79, 476); dies in Verbindung mit dem auch sonst im Verkehrsrecht geltenden Prioritätsgrundsatz sollte z.B. beim Auflösen einer Kolonne dem jeweils Vorausfahrenden den Vortritt gewähren (BGH VRS 72, 22; OLG Schleswig DAR 75, 76). Für denjenigen, der eine Kolonne von mehreren Fahrzeugen in einem Zug überholen will, gilt in der Regel eine unklare Verkehrslage, da er gerade das Fahrverhalten des vorderen Fahrzeugs nicht einsehen und nicht ausreichend abschätzen kann. Bei der Kollision zweier Überholender trifft grundsätzlich den Späteren aufgrund des Bestehens einer unklaren Verkehrslage die Haftung (OLG Celle VR 79, 476).

Nach aktuellerer obergerichtlicher Rechtsprechung (so OLG München, Urt. v. 24.2.2017 – 10 U 4448/16), sei bei einem Überholen einer Kolonne nicht zwingend von einer unklaren Verkehrslage auszugehen; es müssen weitere Umstände, wie beispielsweise ein linksorientiertes Fahren oder Blinken hinzukommen. Allein, dass Fahrzeuge innerhalb der Kolonne dicht auffahren, begründet keine unklare Verkehrslage.

Autor: Verena Bouwmann

RAin Verena Bouwmann, FAin für Verkehrsrecht, München

zfs 4/2019, S. 184

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