"… II."

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Voraussetzungen für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 111a Abs. 1 StPO liegen nicht vor.

Die Kammer sieht keine dringenden Gründe für die Annahme, dass dem Beschuldigten gem. § 69 Abs. 1 StGB die Fahrerlaubnis entzogen werden wird, da aller Voraussicht nach die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB dafür, den Beschuldigten als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, ausnahmsweise widerlegt ist.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob auf Fahrten mit E-Scootern, die Elektrokleinstfahrzeuge i.S.d. § 1 Abs. 1 eKFV sind und demgemäß auch als Kraftfahrzeuge i.S.d. § 1 Abs. 2 StVG ausgewiesen werden (LG Dortmund, Beschl. v. 7.2.2020 – 31 Qs 1/20 Rn 8, juris m.w.N.), der für die absolute Fahruntüchtigkeit bei Kraftfahrzeugen geltende Grenzwert einer Blutalkoholkonzentration von 1,1‰ anzuwenden ist (so LG München I, Beschl. v. 29.11.2019 – 26 Qs 51/19, Rn 15, juris; LG Dortmund, Beschl. v. 7.2.2020 – 31 Qs 1/20, Rn 8, juris; Kerkmann, “Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter', NZV 2020, 161 m.w.N.) oder ob für sie der Grenzwert für Fahrradfahrer von 1,6‰ gilt.

Selbst wenn von einem Grenzwert von 1,1‰ auszugehen wäre, so dass der Tatbestand des § 316 Abs. 1 StGB mit hoher Wahrscheinlichkeit erfüllt wäre, da der dringende Verdacht besteht, dass der Beschuldigte den E-Scooter zum Tatzeitpunkt mit einer BAK von mindestens 1,27‰ gefahren hat und seine Fahruntüchtigkeit zumindest billigend in Kauf nahm, so kommt doch ein Absehen von der Regelwirkung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB in Betracht. Entgegen dieser Regelvermutung kann bei einer Verwirklichung des § 316 StGB von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die den seiner allgemeinen Natur nach schweren und gefährlichen Verstoß günstiger erscheinen lassen als den Regelfall, oder die nach der Tat die Eignung positiv beeinflusst haben (MüKo StGB/Athing/von Heintschel-Heinegg, 3. Aufl., § 69 Rn 74 m.w.N.; vgl. LG Dortmund, Beschl. v. 7.2.2020 – 31 Qs 1/20, Rn 9, juris). Ein solcher Umstand ist unter anderem in der Tatsache zu sehen, dass sich das abstrakte Gefährdungspotenzial von E-Scootern erkennbar von dem der “klassischen' Kraftfahrzeuge, wie Pkws, Lkws, Krafträder, usw., unterscheidet (vg|. LG Dortmund, Beschl. v. 7.2.2020 – 31 Qs 1/20, Rn 13, juris; Schefer, “Kritische Anmerkungen zur absoluten Fahruntüchtigkeit beim Führen eines E-Scooters', NZV 2020, 239 (242) m.w.N.). Das ergibt sich bereits aus der durch Gewicht und Höchstgeschwindigkeit bestimmten äußeren Beschaffenheit von E-Scootern (Schefer, NZV 2020, 239 (242) m.w.N.). Diese weisen in aller Regel ein Gewicht von ca. 20 bis 25 kg und eine mögliche Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h auf (LG München I, Beschl. v. 29.11.2019 – 26 Qs 51/19, Rn 19, juris). Entgegen der Auffassung des LG München I, das hieraus auf ein erhebliches Verletzungspotenzial für Dritte schließt, wird anhand dieser Angaben deutlich, dass ein E-Scooter in Bezug auf diese, für die Beurteilung des Gefährdungspotenzials entscheidenden, technischen Daten in erster Linie mit einem Fahrrad oder einem Fahrrad mit einem elektrischen Hilfsantrieb (sogenannte Pedelecs) vergleichbar ist (vgl. LG Dortmund, Beschl. v. 7.2.2020 – 31 Qs 1/20, Rn 13, juris). Davon geht im Übrigen auch der Gesetzgeber selbst aus und hat deswegen in BR-Drucks 158/19, S. 23 explizit festgehalten, dass die Fahreigenschaften sowie die Verkehrswahrnehmung von Elektrokleinstfahrzeugen mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von 12 km/h bis 20 km/h am stärksten denen des Fahrrads ähnelten, weshalb nach der Vorstellung des Gesetzgebers Verkehrs- und verhaltensrechtlich die Regelungen über Fahrräder gelten sollten, sofern keine besonderen Vorschriften erlassen würden. Schließlich sind auch die Leistungsanforderungen bei dem Führen eines E-Scooters, insbesondere in Bezug auf das Halten des Gleichgewichts und kontrollierte Lenkbewegungen, nahezu identisch mit denen des Fahrens auf einem Fahrrad (vgl. LG Dortmund, Beschl. v. 7.2.2020 – 31 Qs 1/20, Rn 13, juris; Schefer, NZV 2020, 239 (242)).

Aufgrund dieser Parallelität hinsichtlich des Gefährdungspotenzials zwischen E-Scootern und Fahrrädern ist bei der Anwendung des § 69 StGB im Zusammenhang mit einer Trunkenheitsfahrt auf einem E-Scooter grundsätzlich zu berücksichtigen, dass eine gem. § 316 StGB möglicherweise strafbare Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad gerade nicht die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB nach sich zieht und insoweit, abhängig von den Umständen des Einzelfalls, Wertungswidersprüche entstehen können. Insofern kann nicht ohne weiteres von der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB ausgegangen werden. Vielmehr wird bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter in aller Regel zu prüfen sein, ob daraus auf eine Verantwortungslosigkeit des Beschuldigten geschlossen werden kann, die mit einer Trunkenheitsfahrt mit “klassischen' Kraftfahrzeugen vergleichbar ist und somit von seiner Ungeeigne...

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