Entscheidungsstichwort (Thema)

E-Scooter. Elektrokleinstfahrzeug. absolute Fahruntüchtigkeit. Entziehung der Fahrerlaubnis. Absolute Fahruntauglichkeit beim Fahrzeugführer eines als Elektrokleinstfahrzeug einzuordnenden E-Scooters

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für Führer eines als Elektrokleinstfahrzeug einzuordnenden E-Scooters kann zur Bestimmung der absoluten Fahruntüchtigkeit jedenfalls der für Fahrradfahrer geltende BAK-Grenzwert herangezogen werden.

2. Die Nutzung eines solchen E-Scooters an sich kann weder ein Absehen von der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB begründen noch ist sie stets als mildernder Umstand für die Annahme eines Ausnahmefalles von dieser zu werten. Ob ausnahmsweise von der Regelvermutung abzusehen ist, hängt jeweils von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab.

 

Normenkette

StGB §§ 316, 69

 

Verfahrensgang

AG Göttingen (Entscheidung vom 10.05.2023; Aktenzeichen 34 Cs 784 Js 13497/23 (149/23))

 

Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Göttingen wird das Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 10. Mai 2023 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Göttingen zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Göttingen verhängte gegen den Angeklagten mit Urteil vom 10. Mai 2023 eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 25 € wegen Trunkenheit im Verkehr, gewährte dem Angeklagten Ratenzahlung und ordnete daneben ein Fahrverbot für die Dauer von zwei Monaten an.

Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Angeklagte am 5. März 2023 gegen 00:15 Uhr spontan mit einem Miet-E-Scooter die R. Landstraße in G. stadtauswärts in ordnungsgemäßer Fahrtrichtung. Bei dem verwendeten E-Scooter handelte es sich nach den weiteren Urteilsgründen um ein Elektrokleinstfahrzeug nach § 1 eKFV. Diesen nutzte der Angeklagte, um schneller bei einem Freund anzukommen, den er besuchen wollte. Der Angeklagte wurde nach ca. vier Minuten Fahrt, bei welcher er ungefähr einen Kilometer mit dem E-Scooter zurücklegte, von Polizeibeamten angehalten und kontrolliert. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte eine Blutalkoholkonzentration von 1,83 Promille, zeigte indes keine Anzeichen für eine Alkoholisierung. Der Angeklagte verfügt seit dem 5. November 2017 über eine Fahrerlaubnis für Motorräder und seit dem 22. November 2018 auch über eine solche für Personenkraftwagen. Strafrechtlich ist er bis zur Tat nicht in Erscheinung getreten und sein Fahreignungsregister enthielt bis dahin keine Eintragungen.

Die Anordnung der Entziehung der Fahrerlaubnis sowie die Bestimmung einer Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis lehnte das Amtsgericht ab. Das Amtsgericht führte hierzu aus, dass kein Regelfall des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB vorliege, die Indizwirkung aufgrund eines atypischen Sachverhaltes vielmehr wegfalle. Dabei sei berücksichtigt worden, dass der Angeklagte "nur" einen E-Scooter verwendet habe, was stets mildernd, indes nicht ausschließend, bei der Prüfung eines Entfallens der Indizwirkung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB zu werten sei. Erst bei Hinzutreten weiterer mildernder Umstände soll es nach Auffassung des Amtsgerichts ggf. zur einer Ablehnung des Regelbeispiels kommen. Als solche Umstände bewertete das Amtsgericht im konkreten Fall u. a. das Zurücklegen einer nur kurzen Strecke bzw. das Fahren für nur kurze Zeit. Zudem habe sich der Angeklagte nach der Tat kritisch mit seinem Alkoholkonsum auseinandergesetzt. Die "Sanktionsschwere" bei einer Trunkenheitsfahrt mit E-Scootern sei im allgemeinen Bewusstsein nicht so verankert, wie dies bei einer solchen mit einem Pkw aus langjähriger Übung der Fall sei. Der Angeklagte verfüge bereits seit längerer Zeit über die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen, ohne bisher mit einem verkehrswidrigen Verhalten aufgefallen zu sein.

Hingegen sei ein Fahrverbot, eine Nebenstrafe zur zielgenauen, spürbaren und schuldangemessenen Einwirkung auf einen Täter, nach § 44 Abs. 1 Satz 3 StGB anzuordnen gewesen, da keine Maßregel nach den §§ 69, 69a StGB festgesetzt worden sei. Schuldangemessen sei die Verhängung eines Fahrverbots für die Dauer von zwei Monaten.

Gegen dieses Urteil hat sich die Staatsanwaltschaft Göttingen mit ihrem am 11. Mai 2023 eingelegten Rechtsmittel gewandt, das sie mit am 7. Juni 2023 beim Amtsgericht eingegangener Zuschrift als Revision benannt und zugleich mit der Sachrüge begründet hat. Sie hat beantragt,

das Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 10. Mai 2023 im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Göttingen zurückzuverweisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft unterstützt das Rechtsmittel und hat beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 10. Mai 2023 (34 Cs 784 Js 13497/23) hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs insoweit aufzuheben, als dass das Amtsgericht von der Anordnung der Maßregel nach ...

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