BGB § 823

1. Eine Streu- und Räumpflicht wird nur dann ausgelöst, wenn eine allgemeine Glättebildung, nicht dagegen nur vereinzelte Glättestellen vorhanden sind.

2. Der infolge eines Glatteisunfalls Geschädigte trägt die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen, aus denen nach den Grundsätzen der Verkehrssicherungspflicht eine Streupflicht erwächst. Ist er allerdings innerhalb des zeitlichen Rahmens des Bestehens der Streupflicht zu Fall gekommen, spricht der erste Anschein dafür, dass er bei Beachtung der Verpflichtung zur Streupflicht nicht gestürzt wäre.

(Leitsätze der Schriftleitung)

BGH, Beschl. v. 26.2.2009 – III ZR 255/08

Aus den Gründen:

[4] “… Das BG ist – unter Bezugnahme auf den Beschluss des Senats vom 21.1.1982 (III ZR 80/81, VersR 1982, 299; s.a. OLG Karlsruhe VersR 1976, 346; OLG Hamm OLGR 1995, 268, 269; OLG Jena zfs 2001, 11, 12; OLG Zweibrücken OLGR 2001, 99; OLG Brandenburg LKV 2005, 40) – davon ausgegangen, dass eine Streu und Räumpflicht eine allgemeine Glättebildung und nicht nur das Vorhandensein vereinzelter Glättestellen voraussetzt. Für das Vorliegen einer allgemeinen Glätte, insoweit könne sich die Klägerin nicht auf einen Anscheinsbeweis stützen, und für die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht trage die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast.

[5] Dies entspricht der Rspr. des Senats, wonach der Geschädigte die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen trägt, aus denen nach den Grundsätzen für die Verkehrssicherungspflicht eine Streupflicht erwächst (Beschl. v. 19.12.1991 – III ZR 2/91 – BGHR BGB § 839 Abs. 1 S. 1 Streupflicht 7; s.a. BGH, Urt. v. 27.11.1984 – NJW 1985, 484, 485; Beschl. v. 7.6.2005 – NJW-RR 2005, 1185). Zwar sind bei Glatteisunfällen die Regeln über den Anscheinsbeweis anwendbar, wenn der Verletzte innerhalb der zeitlichen Grenzen der Streupflicht zu Fall gekommen ist. Dann spricht – ähnlich wie bei einem Verstoß gegen konkret gefasste Unfallverhütungsvorschriften – nach dem ersten Anschein eine Vermutung dafür, dass es bei Beachtung der Vorschriften über die Streupflicht nicht zu den Verletzungen gekommen wäre, dass sich also in dem Unfall gerade diejenige Gefahr verwirklicht hat, deren Eintritt die Schutzvorschriften verhindern wollten. Diese Beweiserleichterung kann mithin aber erst und nur Platz greifen, wenn zuvor festgestellt ist, dass das Unfallereignis in einem Zeitraum stattgefunden hat, während dessen die Unfallstelle gestreut gewesen sein musste. Für die Bestimmung dieses Rahmens ist indessen der Anspruchsteller beweispflichtig (Senat, Beschl. v. 19.12.1991 a.a.O.; BGH, Beschl. v. 7.6.2005 a.a.O.).

[6] Soweit das OLG Frankfurt in seiner in der Beschwerde angesprochenen Entscheidung ausgeführt hat, dass bei einem Sturz auf einem eisglatten Zebrastreifen vor einer Schule zur Zeit des Schulbeginns regelmäßig der Beweis des ersten Anscheins für eine unfallursächliche Streupflichtverletzung der Gemeinde spreche, betrifft dies nicht die im Mittelpunkt des Berufungsurteils stehende Frage, ob das hier streitgegenständliche Unfallereignis zu einem Zeitpunkt stattgefunden hat, während dessen die Unfallstelle gestreut werden musste (= zeitliche Grenzen der Streupflicht), sondern die nachfolgende Frage, ob dann, wenn ein Verletzter innerhalb der zeitlichen Grenzen der Streupflicht zu Fall gekommen ist, ein Anscheinsbeweis für eine Streupflichtverletzung und deren Unfallursächlichkeit besteht. … ”

 
Anmerkung

Für die Begründung der Streu- und Räumpflicht ist es entscheidend, dass eine Glättebildung vorliegt, die Maßnahmen zur Herabsetzung der hieraus drohenden Gefahren fordert (vgl. OLG Zweibrücken r+s 1993, 459). Zunächst ist der Eigentümer eines Grundstücks auf Grund der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht aus der Eröffnung seines Grundstücks für den Zugang von Bewohnern und Besuchern des Hauses verpflichtet, für die Sicherung des Zugangs zu sorgen insbesondere Schnee zu räumen und die Eisbildung durch Streuen zu verhindern (vgl. Horst, MDR 2001, 187 ff.). Beweispflichtig für das Vorliegen einer gefährlichen Glätte des Bodens, die die Streupflicht begründet, ist der geschädigte Anspruchssteller (vgl. BGH NJW 1984, 432). Häufig wird den Anliegern in öffentlich-rechtlichen Satzungen die Pflicht zum Räumen und Streuen auf öffentlichen Fußgängerwegen auferlegt, wobei häufig angeordnet wird, dass zwischen 7 Uhr morgens und 20 Uhr abends gestreut werden muss, da in der Regel das Ortsstatut das konkrete Verkehrsbedürfnis berücksichtigt (OLG Schleswig zfs 1999, 189; Geigel/Wellner, Der Haftpflichtprozess, 25. Aufl., 14. Kapitel Rn 162). Allerdings richten sich Beginn, Ende und Umfang der Streupflicht nach dem Verkehrsbedürfnis (LG Frankfurt VersR 1983, 892). Grundsätzlich wirkt die Anordnung im Ortsstatut über den morgendlichen Beginn der Streupflicht wie eine Sperre für haftungsrechtliche Folgen einer zuvor unterbliebenen Streuung und einer darauf beruhenden Verletzung von Benutzern des Bürgersteigs infolge der Glätte (vgl. OLG Celle VersR 1966, 67; OLG Schle...

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