Das Punktesystem und die Regelung über die Tilgungsfristen im Verkehrszentralregister sind ein anschauliches Beispiel dafür, dass ein einfaches Grundprinzip durch sehr diffizile Gedanken, die durchaus ihre Berechtigung haben, "perfektioniert" und damit letztlich kompliziert ausgestaltet werden kann. Wenn formuliert ist, dass es zu einem Rechtsproblem unterschiedliche Auffassungen gibt, hängt von der unterschiedlichen Beantwortung juristischer Streitfragen möglicherweise ab, ob einem Betroffenen die Fahrerlaubnis entzogen wird oder nicht. Letztlich kann das dazu führen, dass die Rechtmäßigkeit einer behördlichen Maßnahme – insbesondere der Entzug der Fahrerlaubnis – davon abhängt, in welchem Gerichtsbezirk die Maßnahme getroffen wurde. Das sollte vermieden werden. Natürlich ist es illusorisch, Rechtsnormen zu fordern, die keine Auslegungszweifel nach sich ziehen. Es gibt aber die Kategorie der klaren und der komplizierten Regeln. Das deutsche Punktesystem tendiert eher zur letztgenannten Gruppe.

Sieht man sich in Europa um, so konstatiert man, dass es in vielen Ländern der Europäischen Union ein System für Mehrfachtäter gibt.[37] Speziell Österreich hat zum 1. Juli 2005 ein ganz einfaches "Vormerksystem" eingeführt: Fällt ein Fahrerlaubnisinhaber mit bestimmten Verkehrszuwiderhandlungen ("Vormerkdelikt") wiederholt auf, wird die erste Auffälligkeit in das Führerscheinregister eingetragen, bei der zweiten Auffälligkeit entsprechend der Zuwiderhandlung die Teilnahme an einer Nachschulung durch Psychologen oder weitere Fahrschulstunden, aber auch ein Fahrsicherheitskurs oder ein Ladungssicherheitskurs verfügt. Nach Begehung des dritten "Vormerkdelikts" innerhalb von zwei Jahren erfolgt ein dreimonatiges Fahrverbot. Jede "Vormerkung" wirkt zwei Jahre ab der Übertretung der Vorschriften.[38] Ein bestechend einfaches System, mit dem wohl gute Erfahrungen gemacht wurden, allerdings soll die Liste der "Vormerkdelikte" erweitert werden.[39]

Vielleicht kann auch die Erkenntnis, dass die Unfallwahrscheinlichkeit mit der Zahl der Eintragungen – unabhängig von der Schwere der Zuwiderhandlungen – steigt,[40] Ansatz für Reformüberlegungen sein, die letztlich zu einer Vereinfachung führen sollten. Denn das Punktesystem ist auf einen schnellen Vollzug in sehr vielen Fällen (Stichwort "Massenverfahren"[41]) ausgelegt, bei der die Behörden oft unter Zeitdruck stehen. Dem sollte die gesetzliche Grundlage entsprechen.

[37] Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Großbritannien, Irland, Dänemark, Luxemburg, Tschechische Republik, Slowenien, Kroatien, Zypern.
[38] Vgl. Übersicht zum Vormerksystem bei www. oeamtc.de oder auch http://de.wikipedia.org/wiki/Vormerksystem.
[40] Schade, Risikogruppen im VZR als Basis für eine Prämiendifferenzierung in der Kfz-Haftpflicht, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft M 159, 2004, S. 38 f, 45 f., 50.
[41] Derzeit sind über 8,6 Millionen Kraftfahrer im Verkehrszentralregister eingetragen, vgl. www.kba.de, Rubrik Statistik.

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