“ … Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadenersatz nicht zu.

1. Wie vom LG zutreffend ausgeführt, traf die Rechtsvorgängerin der Beklagten kein Kontrahierungszwang unter dem Gesichtspunkt des Innehabens einer Monopolstellung. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten war – die Berufsunfähigkeitsversicherung betreffend – nur eine Anbieterin unter vielen. Im Übrigen wäre Voraussetzung für einen Kontrahierungszwang die Unentbehrlichkeit des monopolistischen Gutes für das Gemeinwohl und die durch sein Vorenthalten bedingte Gefährdung notwendiger Lebensbedürfnisse oder Belange des Einzelnen und der Allgemeinheit (Staudinger/Oechsler, BGB, 2003, § 826 Rn 430). Eine so grundlegende Bedeutung für die Lebensgestaltung des Einzelnen kommt der Berufsunfähigkeitsversicherung, für die der Gesetzgeber auch im Rahmen der Neuregelung des Versicherungsvertragsrechts (§§ 172 ff. VVG n.F.) einen Kontrahierungszwang nicht anordnet, nicht zu. Diese gesetzgeberische Entscheidung ist hinzunehmen und kann nicht über eine Ausdehnung von § 826 BGB übergangen werden.

2. Weiter zutreffend verneinte das LG einen Schadenersatzanspruch nach § 826 BGB aus dem Gesichtspunkt einer Verletzung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG.

Allerdings wird die Auslegung des Begriffs der guten Sitten durch die wertsetzende Bedeutung der Grundrechte in der Privatrechtsordnung mit beeinflusst (Oechsler, a.a.O., Rn 55). Die Grundrechte wirken auf das Verhältnis Privater zueinander aber nur mittelbar. Der Versicherer konnte bei seiner Entscheidung, einen Vertrag mit dem Kläger wegen seiner Behinderung nicht abzuschließen, sachliche Gesichtspunkte für seine ablehnende Entscheidung heranziehen und sich im gegebenen Fall zulässig auf solche Gesichtspunkte stützen. Sowohl das Bestreben, die Risiken für die Versichertengemeinschaft berechenbar zu halten, als auch die Orientierung an den Vorgaben des Rückversicherers legitimierten die Entscheidung in einer Weise, die vor dem Grundgesetz Bestand hat. Der Versicherer war nicht verpflichtet, dem Kläger Versicherungsschutz zu einer erhöhten Prämie oder mit einer Ausschlussklausel anzubieten.

Das gilt auch, soweit der Kläger meint, der Versicherer habe auf der Grundlage der nach § 72 SGB IV und der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Statistik in der Rentenversicherung erstellten Übersichten eine individuelle Risikoprognose für ihn erstellen müssen. Wie vom LG zutreffend ausgeführt, entspricht das Versichertenkollektiv der gesetzlichen Rentenversicherung nicht dem Kollektiv der Versicherungsnehmer privater Berufsunfähigkeitsversicherungen.

3. Ein Schadenersatzanspruch aus § 826 BGB folgt auch nicht aus europarechtlichen Gesichtspunkten. Über das gemeinschaftsrechtliche Gebot, das Gemeinschaftsrecht bei der Auslegung des mitgliedstaatlichen Rechts entsprechend der Rspr. des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu berücksichtigen, kann Grundrechten – dazu Artikel 6 EUV – eine Drittwirkung zukommen (Beutler, in: von der Groeben/Schwarz, Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 6. Aufl., Artikel 6 EUV Rn 66). Zwar finden die Grundrechte primär als Abwehrrechte Anwendung. Es existieren allerdings durchaus Bereiche, in denen ihre Funktion als objektive Wertordnung in den Mitgliedstaaten geeignet ist, die Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu steuern (Pernice/Mayer, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Stand: April 2007, Artikel 6 EUV Rn 33). In dieser Funktion verpflichten sie zur Verhinderung grundrechtswidriger Belastungen auch in den Beziehungen zwischen Privatpersonen, soweit das Gemeinschaftsrecht dort relevant ist.

Ein spezifisch gemeinschaftsrechtliches Verbot, bei dem Abschluss privater Versicherungsverträge das Differenzierungskriterium eines gesteigerten Risikos auf Grund einer Behinderung des Versicherungsnehmers zu verwenden, besteht indessen nicht.

Art. 5 der Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13.12.2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen (ABl. EG L Nr. 373 S. 37) macht Vorgaben nur für das Diskriminierungsmerkmal Geschlecht, nicht (auch) für das Merkmal Behinderung. Die Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (ABl. EG L Nr. 180 S. 22) verbietet eine Diskriminierung wegen anderer Merkmale als einer Behinderung. Die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG L Nr. 303 S. 16) gilt nur in dem – wenn auch im weitesten Sinne verstandenen – Bereich des Arbeitsrechts, nicht aber des privaten Versicherungsrechts. Diese auf Artikel 13 EG gestützten Sekundärrechtsakte sind einer Ausdehnung auf andere, vom Gemeinschaftsgesetzgeber bewusst nicht einbezogene Merkmale oder Lebenssachverhalte nicht zug...

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