VVG § 95 Abs. 1 § 115 Abs. 1 § 123; ZPO § 59 § 60 § 138 Abs. 3 und 4

Leitsatz

Zur Zulässigkeit einer Einlassung mit Nichtwissen seitens des unmittelbar in Anspruch genommenen Kfz-Haftpflichtversicherers hinsichtlich der Darstellung des Unfallhergangs durch den Geschädigten.

BGH, Urt. v. 23.7.2019 – VI ZR 337/18

Sachverhalt

Bei einem Verkehrsunfall wurde das Fahrzeug des Kl. durch einen Pkw beschädigt, der nach seinem Kennzeichen bei der beklagten Haftpflichtversicherung versichert war. Der Unfallgegner des Kl. stellte sich mit dem Namen B. vor und gab seine Anschrift und Telefonnummer an. Eine polizeiliche Unfallaufnahme fand nicht statt. Die Bekl. bestritt den von dem Kl. behaupteten Unfallhergang mit Nichtwissen und führte zur Begründung an, ihr liege eine überprüfbare Darstellung des Unfallhergangs nicht vor. Nach dem unstreitig gewordenen Sachverhalt war das Kfz des Unfallgegners 9 Tage vor dem Unfallereignis von dem damaligen VN der Bekl. an eine Person veräußert worden, die sich als "Johann R." ausgegeben hatte. Eine Ummeldung des Pkw, die der Erwerber zugesagt hatte, erfolgte nicht.

Die Bekl. versuchte, den Erwerber des bei ihr versicherten Pkw unter der im Kaufvertrag angegebenen Anschrift wie auch den von dem Kl. mitgeteilten Fahrzeugführer unter der von dem Kl. mitgeteilten Anschrift zu erreichen. Beide Schreiben kamen als unzustellbar zurück. Der VN der Bekl. erstattete gegen den Erwerber Strafanzeige wegen der falsch angegebenen Personalien.

Das AG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl. blieb erfolglos. Die zugelassene Revision des Kl. hatte keinen Erfolg.

2 Aus den Gründen:

"[5] I. Das BG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, das AG habe zu Recht den vom Kl. geltend gemachten Schadensersatzanspruch verneint. Der Kl. habe zwar einen Schadensersatzanspruch gem. §§ 7, 17 StVG in Verbindung mit § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG nach Grund und Höhe schlüssig dargelegt. Das AG habe aber zutreffend angenommen, dass die Bekl. die Unfallbeteiligung des bei ihr versicherten Kfz zulässigerweise mit Nichtwissen habe bestreiten können und der Rechtsstreit daher auf dieser (streitigen) Grundlage zu entscheiden gewesen sei. Die hier entscheidungserhebliche, strittige und höchstrichterlich noch ungeklärte Frage, ob der alleinverklagte Haftpflichtversicherer den Unfallhergang bzw. die Beteiligung des bei ihm versicherten Fahrzeugs an dem behaupteten Verkehrsunfall in Fällen wie dem vorliegenden mit Nichtwissen bestreiten dürfe, sei zu bejahen. Da die Geständniswirkung des § 138 Abs. 3 ZPO somit nicht eingreife, sei der beweisbelastete Kl. für die Unfallbeteiligung des bei der Bekl. versicherten Kfz beweisfällig geblieben. Insoweit seien Beweiserhebung und Beweiswürdigung durch das AG nicht zu beanstanden."

[6] II. Diese Erwägungen halten im Ergebnis den Angriffen der Revision stand. Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das BG das Bestehen eines Direktanspruchs des Kl. gegen die Bekl. nach § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 122, 95 Abs. 1 VVG verneint hat, weil der Kl. die Anspruchsvoraussetzungen nicht nachweisen konnte.

[7] 1. Das BG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Unfallbeteiligung eines bei der Bekl. nach § 1 PflVG haftpflichtversicherten Kfz notwendige Voraussetzung für den gegen die Bekl. geltend gemachten Direktanspruch ist. Nur in diesem Fall kann sich hier ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Kl. nach §§ 7, 17, 18 StVG oder § 823 BGB gegen einen VN der Bekl. oder gegen einen Mitversicherten richten, wie es § 115 Abs. 1 VVG erfordert (vgl. Senarsurt. v. 5.12.1978 – VI ZR 233/77, VersR 1979, 256, 258, juris Rn 10; v. 31.1.2012 – VI ZR 43/11, BGHZ 192, 261 Rn 6; v. 8.12.2015 – VI ZR 139/15, BGHZ 2018, 140 Rn 20; v. 27.2.2018 – VI ZR 109/17, VersR 2018, 624 Rn 15; Beckmann in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., § 115 Rn 23 f. m.w.N.; Lennartz in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2016, § 115 VVG Rn 21 m.w.N.).

[8] 2. Anders als die Revision meint, hat das BG die behauptete Unfallbeteiligung des bei der Bekl. haftpflichtversicherten Kfz zu Recht seitens des insoweit beweisbelasteten (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, 45. Aufl., StVG § 7 Rn 48 m.w.N.; Kaufmann in Geigel, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kapitel 25 Rn 249 m.w.N.) Kl. für beweisbedürftig gehalten. Die Bekl. durfte sich zu dieser Behauptung gem. § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen erklären, so dass sie nicht nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt.

[9] a) Nach § 138 Abs. 4 ZPO ist eine Erklärung mit Nichtwissen – also die Einlassung, die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Behauptungen des Gegners nicht zu kennen (vgl. BGH, Urt. v. 12.11.2015 – I ZR 167/14, WRP 2016, 985 Rn 124) – nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind; bei einer juristischen Person kommt es insoweit auf ihre Organe an (vgl. BGH, Urt. v. 8.1.2019 – II ZR 139/17, VersR 2019, 815 Rn 34; v. 22.4.2016 – V ZR 256/14, WM 2016, 1384 Rn 20; v. 19.4.2001 – I ZR 238/98, NJW-RR 2002, 612, 613, juris Rn 28...

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