ZPO § 114 ff. § 121 § 122 Abs. 1 Nr. 3; RVG § 7 Abs. 2 S. 1 HS 1

Leitsatz

Werden zwei Streitgenossen von ein und demselben Prozessbevollmächtigten vertreten, liegen aber nur bei einem von ihnen die persönlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vor, so ist diese Bewilligung hinsichtlich der Anwaltsgebühren auf die für diesen Fall in Nr. 1008 VV RVG vorgesehenen Erhöhungsbeträge zu beschränken.

(Leitsatz der Schriftleitung)

BGH, Beschl. v. 5.2.2019 – II ZB 9/18

Sachverhalt

Der Kl. hat die Bekl. zu 1 und den Bekl. zu 2 vor dem LG Nürnberg-Fürth gesamtschuldnerisch auf Schadensersatz aufgrund einer Kapitalanlage in Anspruch genommen. Das LG hat der Bekl. zu 1 Prozesskostenhilfe (PKH) für die Rechtsverteidigung im ersten Rechtszug unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten bewilligt. Die Bewilligung hat das LG jedoch mit Rücksicht darauf, dass ihr nicht bedürftiger Streitgenosse von demselben Prozessbevollmächtigten vertreten wird, hinsichtlich der Anwaltsgebühren auf die Mehrvertretungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG beschränkt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Bekl. zu 1 hat das OLG Nürnberg zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom OLG zugelassene Rechtsbeschwerde, für die die Bekl. zu 1 PKH begehrt. Der BGH hat den PKH-Antrag für das Rechtsbeschwerdeverfahren zurückgewiesen.

2 Aus den Gründen:

"…"

[5] II. Die Voraussetzungen für die Gewährung von PKH liegen nicht vor. Die von der Antragstellerin beabsichtigte Rechtsverfolgung ist ohne hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 Abs. 1 S. 1 ZPO).

[6] 1. Die Rechtsbeschwerde ist allerdings statthaft, weil das Beschwerdegericht sie in dem angefochtenen Beschluss zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 ZPO). (…) Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insb. frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§ 575 ZPO).

[7] 2. In der Sache hat das LG die Bewilligung von PKH zu Recht auf die Gebühr nach Nr. 1008 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (sog. Mehrvertretungsgebühr) beschränkt und das Beschwerdegericht folglich zu Recht die dagegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen.

[8] a) Mit diesen Entscheidungen sind die Vorinstanzen der Rspr. des Senats (Beschl. v. 1.3.1993 – II ZR 179/91, NJW 1993, 1715) gefolgt. Nach dieser Rspr. ist, wenn zwei Streitgenossen ein und denselben Prozessbevollmächtigten mit der Wahrnehmung ihrer Interessen in einem Rechtsstreit beauftragen, aber nur bei einem von ihnen die persönlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH vorliegen, die Bewilligung bezüglich der Anwaltsgebühren auf die für diesen Fall im Gesetz (jetzt Nr. 1008 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) vorgesehenen Erhöhungsbeträge zu beschränken.

[9] Der Senat hat die Beschränkung der Bewilligung auf die Erhöhungsbeträge bei Vorhandensein eines finanziell leistungsfähigen Streitgenossen damit begründet, dass nach dem Sinn der §§ 114 ff. ZPO die mittellose Partei für ihre Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung staatliche Hilfe nur in Anspruch nehmen kann, soweit sie aus finanziellen Gründen zur Prozessführung außerstande ist. Der finanziell leistungsfähige Streitgenosse werde hierdurch nicht benachteiligt, weil er nicht mit mehr Kosten belastet wird, als er zu tragen hätte, wenn er den Prozessbevollmächtigten allein beauftragt hätte (BGH, Beschl. v. 1.3.1993 – II ZR 179/91, NJW 1993, 1715; jetzt § 7 Abs. 2 S. 1 HS 1 RVG).

[10] b) Diese Senatsrechtsprechung ist in der instanzgerichtlichen Rspr. und im Schrifttum auf Zustimmung (OLG Koblenz MDR 2001, 1261, 1262; MDR 2004, 1206; OLG Naumburg OLGR 2004, 175; Bork in: Stein/Jonas, [ZPO], 23. Aufl., § 114 Rn 8; Zöller/Geimer, ZPO, 32. Aufl., § 114 Rn 7; Saenger/Kießling, ZPO, 7. Aufl., § 114 Rn 11; Seiler in: Thomas/Putzo, ZPO, 39. Aufl., § 114 Rn 11; MüKoZPO/Wache, 5. Aufl., § 114 Rn 39; Wax, LM § 114 ZPO Nr. 37), aber auch auf Ablehnung gestoßen (OLG Bamberg OLGR 2001, 28; Fischer in: Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl., § 114 Rn 3; Fischer JurBüro 1998, 4; Notthoff AnwBl 1996, 611; Rönnebeck NJW 1994, 2273).

[11] c) Der Senat sieht keinen Anlass, seine Rspr. zu ändern.

[12] aa) PKH bezweckt die weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (BVerfGE 81, 347, 356 f.; NJW 2014, 1291 m.w.N.). Diesem Zweck wird die Beschränkung auf die Erhöhungsbeträge ohne Weiteres gerecht. Der Prozessbevollmächtigte erhält aufgrund seines Anspruchs gegen den finanziell leistungsfähigen Streitgenossen (§ 7 Abs. 2 S. 1 HS 1 RVG) seine ungeschmälerte Vergütung. Die anwaltliche Vertretung des bedürftigen Streitgenossen wird dadurch sichergestellt.

[13] bb) Weitergehende Angleichungszwecke erfüllt die PKH nicht.

[14] (1) Die Beschränkung der Bewilligung auf die Erhöhungsbeträge setzt nicht voraus, dass lediglich diese Beiträge auch vergütungsrechtlich geschuldet sind. Da die Beschränkung – wie gezeigt – prozesskostenhilferechtlich begründet ist, bedarf es eines Gleichlaufs von Prozesskostenhilfebewilligung und Vergütungsanspruch nicht. Der Schutz des bedürftigen Streitgenossen wird...

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