a) Kennzeichnend für den materiellen Schadensersatz ist, dass der Anspruch grundsätzlich auf Ersatz des vollen Schadens gerichtet ist. Daraus folgt, dass der Schädiger auch bei leichtester Fahrlässigkeit den gesamten Schaden zu ersetzen hat, und zwar ohne Rücksicht auf seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Dieser Grundsatz der Totalreparation entspricht dem Haftungskonzept des BGB, an dem alle bisherigen Versuche zur Einführung einer allgemeinen Reduktionsklausel gescheitert sind.

b) Immerhin wurden mit der Änderung des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB durch das 2. Gesetz zur Änderung des Schadensersatzrechts von 2002 Kinder unter zehn Jahren für Schäden aus verkehrsbedingten Unfällen von der Haftung freigestellt. Die zunächst umstrittene Reichweite dieser Vorschrift hat der VI. Zivilsenat mittlerweile geklärt.[7] Hiernach greift dieses Haftungsprivileg nach Sinn und Zweck der Vorschrift nur ein, wenn sich im Einzelfall eine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert hat. Inzwischen liegt hierzu eine gefestigte Rechtsprechung vor, so dass wir kürzlich eine zugelassene Revision durch Beschluss nach § 552a ZPO zurückweisen konnten,[8] nämlich in einem Fall, in dem das Kind mit dem Fahrrad gegen ein Kfz gefahren war, das mit geöffneten Hintertüren am Fahrbahnrand stand und dadurch eine verkehrstypische Gefahr darstellte.

c) Eine wichtige Ausnahme vom Prinzip der Totalreparation gibt es nach § 254 BGB bei Mitverschulden des Geschädigten. Damit hat sich mein Kollege Zoll letztes Jahr in seinem Referat ausführlich befasst und unsere neuesten Fälle geschildert,[9] so dass ich mich hier auf die Grundsätze beschränken kann.

Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt, so hängt nach § 254 Abs. 1 BGB sowohl die Verpflichtung zum Ersatz als auch dessen Umfang von den Umständen und insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht ist. Diese gesetzliche Regelung eröffnet eine denkbar flexible Möglichkeit zur Quotierung und in Extremfällen sogar zur gänzlichen Versagung eines Schadensersatzanspruchs und ist deshalb von eminenter Bedeutung für die Schadenspraxis. Im Gegensatz zu § 17 StVG, der im Rahmen der Gefährdungshaftung für eine Schadensverteilung konsequenterweise allein auf den jeweiligen Beitrag zur Verursachung abstellt, ist Voraussetzung für eine Anwendung des § 254 BGB ein Mitverschulden des Geschädigten, auf das sich übrigens unter Umständen auch ein vorsätzlicher Schädiger berufen kann.[10] Erst wenn das Mitverschulden feststeht, stellt sich die Frage, wer mehr zur Verursachung des Schadens beigetragen hat. Allerdings kann sich beim materiellen Schadensersatz das Ausmaß des Verschuldens nur unter diesem Aspekt und damit nur ausnahmsweise auf die Höhe des Schadensersatzanspruchs auswirken, während beim immateriellen Schaden die Schwere des Verschuldens regelmäßig einen wichtigen Bemessungsfaktor darstellt.[11] Von daher kann man das Konzept des BGB für den materiellen Schadensersatz trotz dieser Ausnahme durchaus als "Alles-oder-nichts-Prinzip" bezeichnen.

[7] BGHZ 161, 180; 173, 82; BGH VersR 2005, 378; 380; 1154; 2007, 1669.
[9] Zoll Homburger Tage 2007 7, 13 ff.
[10] BGH VersR 2003, 613.
[11] BGHZ 18, 149, 157 f.

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