Es war schon für einige Szenarien prognostiziert worden, dass eine Welle von Wiederaufnahmeverfahren anrollen könnte. Dies fand jedoch bisher nicht statt. Für eine kurze Weile könnten nun aber Messungen mit dem Gerät Leivtec XV3 für die Wiederaufnahme von Verfahren sorgen, wenn die Verurteilung ein Fahrverbot beinhaltet hat, § 85 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, S. 2 OWiG. Denn für Nebenfolgen nichtvermögensrechtlicher Art, also bei Festsetzung eines Fahrverbots, gilt die Einschränkung des § 85 Abs. 2 S. 1 OWiG nicht (BeckOK StVR/Lay OWiG § 85 Rn 29).

Mit dem Wiederaufnahmeverfahren soll ein auf einer falschen Tatsachengrundlage aufgebautes Fehlurteil beseitigt werden. Die Frage ist deshalb (u.a.), ob der Umstand, dass das Messgerät Werte auswerfen kann, die die Verkehrsfehlergrenze übersteigen und deshalb kein standardisiertes Messverfahren mehr vorliegen soll, als "neue Tatsache" angesehen werden kann. Denn die Figur des standardisierten Messverfahrens ist eine Rechtsanwendung, keine Tatsache. Und selbst eine fehlerhafte Rechtsanwendung stellt keine neue Tatsache dar (BeckOK OWiG/Ganter OWiG § 85 Rn 8). Auch ist gerade unklar, ob durch Nachprüfung der Messung tatsächlich eine neue Tatsache zu Tage tritt, oder ob die Messung nicht doch einfach zutreffend war. Denn die Messung an sich wird ja als Tatsachenmaterial nicht verändert.

Zu denken ist jedoch an ein Sachverständigengutachten als neues Beweismittel. Denn im Zweifel erfolgte die Verurteilung auf Basis der Rechtsprechung des BGH zu den standardisierten Messverfahren ohne sachverständige Begutachtung. Ein neues Sachverständigengutachten ist (jedoch nur) dann geeignet, die Wiederaufnahme nach §§ 85 Abs. 2 Nr. 1 OWiG, 359 Nr. 5 StPO zu begründen, wenn es dem früheren Gutachten die Grundlage entziehen kann, und nicht bereits dann, wenn es aufgrund der bekannten Anknüpfungstatsachen vom früheren abweicht (KK-OWiG/Lutz, § 85 Rn 15). Nachdem die Rechtsprechung beim standardisierten Messverfahren von antizipierten Sachverständigengutachten spricht, wäre dies also auch argumentativ belastbar.

Dies zeigt, dass die Wiederaufnahme kein Selbstläufer ist. Dennoch ist es erstrebenswert, dass bei Konstellationen wie einem für unzuverlässig eingestuften Messgerät dem Betroffenen die nochmalige Überprüfung ermöglicht wird.

Vorsicht noch beim Antrag: Der Antrag gegen einen Bußgeldbescheid geht zum AG (§ 85 Abs. 4 S. 1 OWiG), das nach Einspruch zuständig gewesen wäre (§ 68 OWiG). Der Antrag gegen eine gerichtliche Bußgeldentscheidung ist an das durch das OLG (§ 140a Abs. 2, 4 GVG) für Wiederaufnahmen als zuständig erklärte Gericht zu stellen (Krenberger/Krumm OWiG § 85 Rn 37).

Nach § 360 Abs. 2 StPO kann das Gericht einen Aufschub sowie eine Unterbrechung der Vollstreckung anordnen. Hierzu besteht jedoch nur Anlass, wenn der Wiederaufnahmeantrag Erfolgsaussichten hat.

RAG Dr. Benjamin Krenberger

zfs 1/2022, S. 53 - 54

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